Am Montagnachmittag verschüttete eine Lawine bei Zermatt VS mehrere Menschen. Drei Personen sind dabei verstorben, eine Person wurde verletzt.
Benjamin Zweifel arbeitet am Institut für Schnee- und Lawinenforschung. Im Interview mit watson erklärt er, was Lawinengefahrenstufen für Schneesportler bedeuten und welche Sicherheitsvorkehrungen man treffen sollte.
Mehrere Menschen wurden gestern von einer Lawine mitgerissen. Sie befanden sich abseits der Piste – obschon Lawinengefahrenstufe vier galt. Was bedeutet diese Gefahrenstufe?
Benjamin Zweifel: Diese Stufe bedeutet, dass eine grosse Gefahr gilt. Es gibt verschiedene Ausprägungen: Zum einen ist es für die Wintersportler kritisch, denn es herrschen gefährliche Verhältnisse ausserhalb der gesicherten Pisten. Aber zudem kann es, je nach Ausprägung, auch grosse Tallawinen geben. So können auch Verkehrswege oder Infrastrukturen gefährdet sein. Im konkreten Fall bei Zermatt gab es Tallawinen, das war eine sehr ausgeprägte Gefahrenstufe vier.
Wie sollten sich die Menschen verhalten, bei einer Gefahrenstufe vier?
Bei der Stufe vier ist sehr grosse Vorsicht geboten. Man muss damit rechnen, dass man deutlich grössere Lawinen auslösen kann, das ist auch im konkreten Fall im Wallis passiert. Bei den Lawinengrössen gibt es ebenfalls eine Skala von eins bis fünf, die Lawine von gestern hatte eine Grösse vier. Bei einer erheblichen Gefahrenstufe, also Stufe drei, kann man meist nur Lawinen der Grösse zwei oder drei auslösen.
Nehmen Lawinenunfälle bei Wintersportlern zu?
Das kann man nicht allgemein beantworten. Man müsste genau wissen, wie viele Leute abseits der Piste unterwegs sind. Aber tatsächlich gibt es eine grosse Zunahme der Menschen, welche diese Sportarten ausüben. Skitouren und Freeriden boomen. Auf der anderen Seite sieht man, dass die Unfallzahlen relativ konstant bleiben, es gibt keine Zunahme. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass viele Menschen doch sehr vernünftig unterwegs sind und die Gefahren oft richtig einschätzen.
Ab welcher Lawinengefahrenstufe raten Sie von Aktivitäten abseits der Piste ab?
Auch hier kann ich keine allgemeingültige Antwort geben. Es kommt darauf an, wie sattelfest man in der Beurteilung der Lawinengefahr ist. Man muss sich mit der Auslaufzone der Lawine auseinandersetzen und mit der Beurteilung der gefährlichen Steilhänge auskennen. Diese Kenntnisse braucht man aber auch, wenn die Lawinengefahrenstufen zwei oder drei gelten. Und: Man sollte trotz dieser Kenntnisse vorsichtig unterwegs sein. Abschliessend gilt: Je höher die Gefahrenstufe, desto eingeschränkter ist man mit den vertretbaren Aktivitäten.
Wann gab es in der Schweiz die letzte Lawine auf einer Piste?
Die Lawine in Zermatt war neben der Piste, das ist sehr wichtig bei dieser Diskussion. Die Schweizer Skigebiete betreiben einen enormen Aufwand, die Gebiete zu sichern, mit den Lawinensprengungen. In aller Regel funktioniert das. Es ist höchst selten, dass es auf der Piste zu Lawinenunfällen kommt. Tragischerweise gab es aber genau einen solchen Fall diesen Winter in Saas-Fee auf einer Piste.
Etwa in den USA werden in den Skigebieten grossflächiger die Lawinen gesprengt. Muss man die Touristen in der Schweiz besser sensibilisieren?
In den USA werden ganze Gebiete vor Lawinen gesichert, auch die Teile zwischen den präparierten Pisten. Das macht man in Europa nicht, denn die Skigebiete in den Alpen sind deutlich grösser als jene in Nordamerika. Das Vorgehen aus den USA wäre in Europa nicht möglich, der Aufwand wäre zu gross. Meiner Meinung nach wäre es auch nicht sinnvoll. Die Menschen sollten die Eigenverantwortung kennen und wahrnehmen und wissen: Wenn man die Piste verlässt, muss man die Gefahr selbst beurteilen.
Welchen Rat geben Sie den Schneesportlerinnen und -sportlern mit auf den Weg?
Wenn man von einer Lawine erfasst wird, ist das immer eine lebensbedrohliche Situation. Deswegen ist es wichtig, dass man sich präventiv sehr gut informiert und sich so verhält, dass man nie eine Lawine auslöst oder in eine hineingerät. Wenn man Schneesportarten macht, sollte man sich gut über die Gefahren informieren, etwa in einem Lawinenkurs und sicherlich auch das aktuelle Lawinenbulletin konsultieren.
Damit ist eigentlich alles gesagt zu diesem tragischen Unfall.
Sehr löblich auch, dass er der unschönen Tendenz aus den Alpen eine Art "Berg-Disneyland" zu machen (so wie teilweise in Nordamerika) eine klare Absage erteilt.
Wer sich neben der gesicherten Piste aufhält, hat eine Holschuld und steht zu 100% in Eigenverantwortung.
Es wäre der komplett falsche Weg, wenn wir anfangen Variantenhänge, welche keine offiziellen Pisten sind, ebenfalls zu sprengen und "Achtung Gefahr" -Schilder im alpinen Raum aufstellen.
Fazit: Man bleibt auf der Piste. Und wer abseits der Piste fährt, ist selber für die Konsequenzen und Kosten verantwortlich.