Schweiz
Interview

Marcel Napierala Gründer der Medbase im Interview

Medbase-Chef: «Müssen aufpassen, dass wir nicht deutsche Verhältnisse schaffen»

Rund 70 medizinische Zentren und 55 Apotheken betreibt das Unternehmen Medbase, das zur Migros gehört. Im Interview erklärt Firmenchef Marcel Napierala, wie Kosten gespart werden können, wie viel Freiheiten er im Migros-Universum geniesst und wieso er sich vor deutschen Verhältnissen fürchtet.
29.09.2025, 07:0929.09.2025, 07:46
Florence Vuichard / ch media

Haben Sie schon nachgeschaut, um wie viel Ihre Krankenkassenprämie 2026 steigen wird?
Marcel Napierala: Ja. Um 4,5 Prozent.

Wechseln Sie jetzt Ihre Kasse?
Nein. 4,5 Prozent entspricht dem mittleren Kostenanstieg in der Schweiz. Zudem bin ich mit meinem alternativen Versicherungsmodell sehr zufrieden, das auf eine koordinierte Versorgung setzt.

medbase
Medbase betreibt in der Schweiz rund 70 Arztpraxen.Bild: medbase.ch

Sie sind also nicht nur Medbase-Chef, sondern auch Medbase-Kunde?
Ja. Das ist aber eher ein Zufall. Ich bin von unserem Modell der koordinierten Versorgung überzeugt. Es ist gut für die Patienten, und es ist gut angesichts der steigenden Gesundheitskosten. Jedes Jahr vier bis fünf Prozent mehr: So kann es nicht weitergehen.

Werden dank der sogenannt koordinierten Versorgung tatsächlich Kosten gespart?
Ja. Denn Koordination bedeutet, dass genau nur die Leistungen erbracht werden, die erbracht werden müssen. Und dass diese abgestimmt werden zwischen Hausärztinnen, den Physiotherapeuten und Spezialistinnen. So werden Redundanzen verhindert. Aber ich weiss schon: Koordination ist ein grosses Wort in unserem fragmentierten Gesundheitswesen. Ich halte nichts von diesen Grabenkämpfen zwischen Spitälern, Kantonen, Bund, Krankenversicherer und Hausärzten. Ich habe immer davon geträumt, dass wir viel partnerschaftlich miteinander arbeiten könnten. Ich träume jetzt noch davon.

Können Sie denn beweisen, dass mit solchen koordinierten Versorgungsmodelle auch wirklich gespart wird?
Wir haben das wissenschaftlich untersucht am Beispiel von Diabetes-Typ 2-Patienten – gemeinsam mit der Krankenversicherung Swica und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Kosten von Patienten in einem interprofessionellen, koordinierten Programm liegen pro Jahr rund 1800 Franken tiefer als im Schnitt. Insgesamt haben wir rund 10 Prozent tiefere Leistungskosten im Vergleich zu traditionellen, nicht koordinierten Praxen. Unsere 260‘000 Patienten und Patientinnen in einem alternativen Versicherungsmodell sparten 2024 rund 200 Millionen Franken an Prämien.

Medbase gilt auch dank der Migros als günstig. Doch günstig heisst oft auch schlechter, und bei der Gesundheit will man ja nicht M-Budget.
Wir sind günstiger, aber nicht schlechter. Wir unterwerfen uns Qualitätsrichtlinien, verfolgen wissenschaftliche Richtlinien, betreiben eine evidenzbasierte Medizin. Man muss aber unheimlich effizient sein, um rentabel arbeiten zu können. Doch auch wir haben für die Patienten eigentlich zu wenig Zeit. Hier müssen wir in der Schweiz aufpassen, dass wir mit den politischen Massnahmen in der ambulanten Medizin nicht deutsche Verhältnisse schaffen.

Das heisst?
In Deutschland hat man im Prinzip einen guten Zugang zu Hausärzten oder Spezialisten, vorausgesetzt man ist zusatzversichert. Denn jene, die nur die gesetzliche Krankenkasse haben, müssen lange warten. England ist noch schlimmer. Es ist grauenhaft. Das National Health System ist zwar gut und hat hohe qualitative Ansprüche. Wenn man drin ist, ist es okay. Aber viele kommen erst gar nicht rein.

Sie haben mit Medbase knapp 70 Gruppenpraxen. Wie viele sollen noch dazukommen?
Im Zentrum steht bei uns die Medizin. Die Grösse ist nicht entscheidend.

Aber Sie sind in den vergangenen Jahren zum grössten Hausarztpraxisverbund der Schweiz gewachsen, mehrheitlich durch Übernahmen.
Irgendwann habe ich erkannt, dass es Grösse braucht, wenn man innovieren oder optimieren will. Grösse hilft auch bei Effizienzgewinnen, zum Beispiel bei der Datenverarbeitung. Vor vier Jahren haben wir ein einheitliches Praxis-Informationssystem für alle installiert. Das war ein riesiger Aufwand. Das war für uns eine sehr grosse Investition. Nun haben wir zusätzlich mit dem gleichen System eine telemedizinische Einheit eröffnet.

Sie betreiben diese selber?
Ja. Früher haben wir mit einem externen Anbieter gearbeitet. Aber jetzt machen wir es selber, weil wir mit Telemedizin unsere Prozesse in den physischen Standorten unterstützen wollen. Reiseberatungen, Impfberatungen, kleine Bagatellfälle – hier können wir am Telefon schnell Abhilfe schaffen. Wenn eine Patientin nach telemedizinischer Beratung etwa eine ärztliche körperliche Untersuchung oder weitere physische Abklärungen benötigt, erfolgt dies dann koordiniert im jeweiligen Medical Center. Es ist eine kleine Einheit, bestehend aus einer Handvoll Ärzten und befindet sich noch im Aufbau. Dank des einheitlichen Informationssystems haben sie Zugriff auf die jeweiligen Patientenakten.

Ist das denn spannend, als Arzt in einem Callcenter zu arbeiten?
Es kann sehr abwechslungsreich sein, in der Telemedizin zu arbeiten. Früher sah ein Hausarzt 60 bis 70 Patienten am Tag, heute wollen die Ärztinnen und Ärzte nicht mehr in diesem Rhythmus arbeiten. Trotzdem haben sie noch immer sehr viele Konsultationen. Dank unserer Telemedizin-Einheit kann ein Arzt auch einen Tag von zu Hause aus arbeiten.

Marcel Napierala, Chef und Gründer von Medbase.
Marcel Napierala, Chef und Gründer von Medbase.Bild: zvg

Medbase ist fast ein Supermarkt: Sie haben Arztpraxen, Apotheken, psychologische Praxen, Zahnarztzentren und einen Gross- und Onlinehandel. Passt das wirklich zusammen?
Ja, das gehört alles zur medizinischen Grundversorgung.

Medbase hat 2024 einen Umsatz von 1,3 Milliarden Franken….
....Dieses Jahr werden es wohl 1,4 Milliarden Franken sein.

Machen Sie auch Gewinn?
Wir haben für 2024 einen operativen Gewinn von gut 34 Millionen Franken ausgewiesen. Auch nach den Abschreibungen für die Übernahmen bleibt ein positives Resultat.

Haben Sie eine Margen-Vorgabe von der Migros?
Nein. Aber in der Grundversorgung, insbesondere der Hausarztmedizin, gibt es keine grossen Margen. Wir müssen natürlich Gewinne schreiben, wie jede andere ökonomische Einheit, damit wir weiter investieren können.

Haben Sie keine Angst, dass die Migros Medbase plötzlich verkaufen will?
Gesundheit ist eines der vier strategischen Geschäftsfelder der Migros.

Jetzt schon. Aber wie lange noch?
Ich kann nicht für die Migros sprechen. Aber sie ist eine Detailhandelsgruppe mit rund 32 Milliarden Franken Umsatz. Darin sind wir ein kleiner, aber wichtiger Bestandteil, da uns das gemeinsame Engagement für die Grundversorgung verbindet. Sie lässt uns viel Autonomie. So konnten wir zum Beispiel auch entscheiden, welche Migros-Firmen wir bei uns integrieren wollten. Und welche nicht.

Wirklich?
Ja. Die Hörgerätekette Miseno etwa hat nicht zu uns gepasst. Wir haben sie uns genau angeschaut, aber uns dann gegen sie entschieden. Hingegen haben wir das Zahnarztzentrum integriert und jüngst auch die Serviceplattform Impuls, obwohl diese uns viel kostet. Und auch die Wepractice-Standorte mit ihren psychotherapeutischen Dienstleistungen gehören nun zu uns. Diese leisten eine sehr wichtige Arbeit in einem Bereich der Grundversorgung, der immer wichtiger wird.

Finden Sie eigentlich problemlos Ärzte?
Wir rekrutieren im Verhältnis zur Branche gut. Wir bieten gute Arbeitsmodelle mit attraktiven Arbeitszeiten – nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer, die nicht 100 Prozent arbeiten wollen.

Zahlen Sie auch gut?
Wir zahlen definitiv nicht die höchsten Löhne. Andere haben ganz andere Möglichkeiten als wir und werben uns mit höheren Löhnen Leute ab. Für uns ist es ein Riesenproblem.

Per 2026 soll das neue Tarifsystem Tardoc eingeführt werden für ambulante Leistungen, also für Ihre Ärzte. Freuen Sie sich?
Grundsätzlich ist das gut. Aber es wird eine Herkules-Aufgabe für die ganze Branche. Wir simulieren mit Vollgas und schulen unsere Leute. Sie müssen den Tarif abbilden und dann auch richtig abrechnen. Wir wollen, dass unsere Leute korrekt abrechnen.

Eine Tarifanpassung sollte doch im Computerzeitalter nicht so ein Problem sein, oder?
Wir sind bei der Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen leider noch im prähistorischen Stadium. Es gibt Spitäler, die sagen, dass sie sich darauf vorbereiten, sechs Monate lang keine Rechnungen stellen zu können. Dort drohen Liquiditätsengpässe. Das ist nicht gut.

Nebst den technischen Problemen: Im Prinzip ist der Tardoc für Hausarztmedizin eine gute Sache?
Ja, wir sollen mit dem Wechsel mehr einnehmen. Aber ich glaube nicht in dem Ausmass, in dem wir uns das erhofft haben.

Sie betreiben auch vier Radiologie-Standorte. Die Radiologen gehören beim Tardoc zu den Verlierern. Schliessen Sie nun die Standorte?
Nein. Wir erwarten Tarifkürzungen zwischen 15 und 20 Prozent. Das ist massiv. Das heisst, unsere Marge wird dort sinken – und wir werden damit leben müssen. Denn wir können dort nicht noch effizienter werden. Und wir können nicht einfach mehr Leute durch die Röhren lassen. Das wäre auch aus medizinischen Überlegungen nicht richtig. Und gerade deshalb ist die koordinierte Versorgung so wichtig – Hand in Hand – vom Krankenversicherer bis hin zum Leistungserbringer eben – zugunsten der Patientinnen und Patienten.

(aargauerzeitung.ch)

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pafeld
29.09.2025 07:34registriert August 2014
"Jedes Jahr vier bis fünf Prozent mehr: So kann es nicht weitergehen."

Wollen wir wetten? Ich würde im Moment jedenfalls deutlich mehr Geld darauf setzen, dass es die nächsten 5 Jahre exakt so weitergeht, als dass der Turn-around geschafft wird.
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Pragmatiker17
29.09.2025 07:41registriert Juli 2025
"Irgendwann habe ich erkannt, dass es Grösse braucht, wenn man innovieren oder optimieren will."

Genau das begreifen jene verblödeten Politiker und Mitbürger nicht, die am gescheiterten Modell "Jedem Tälchen sein Spitälchen" festhalten wollen.
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zimo
29.09.2025 07:56registriert November 2021
ich war im Telmedmodell versichert und habe nur schlechte Erfahrungen gemacht. Inkompetente Beratungen, schnelles Abwickeln, bis hin zu Fehldiagnose. 2 Wochen hab ich jeden 2. Tag angerufen, da die Schmerzen schlimmer wurden, Medis&Inhalieren war der Rat. Bis ich es am Sonntag nicht mehr ausgehalten habe und auf den Notfall musste. Diagnose war eine Nasen/Stirnhöhlenentzündung die schon Eiter gebildet hatte. Das ganze hat sich so verschleppt, dass ich fast 6 Monate Antibiotika nehmen musste.Ich habe den Fall gemeldet und nie eine Rückmeldung erhalten.
Für mich ist das keine alternative mehr
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