6 von 10 Konzertbesuchern erleben sexuelle Übergriffe – Frauen doppelt so oft wie Männer
Wer an ein Konzert geht oder ein Musikfestival besucht, möchte die Livemusik geniessen und eine gute Zeit verbringen. Die Realität sieht aber oft anders aus, wie eine aktuelle Studie in den USA zeigt: Sechs von zehn Konzertbesucherinnen und -besuchern haben in ihrem Leben während eines Live-Auftritts schon einmal sexuelle Belästigungen oder Übergriffe erlebt. Diese umfassten alle Arten von grenzüberschreitendem Verhalten – von sexuell anzüglichen Bemerkungen bis hin zu sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen.
Die Studie von Anna Elizabeth Price von der Sacred Heart University in Fairfield, Connecticut, und Ashley Driscoll, basiert auf der Umfrage «Fan Experience Survey» der Initiative Groove Safe, die im Jahr 2024 unter insgesamt 1091 Personen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sind im Fachjournal Injury Prevention erschienen.
Frauen mehr als doppelt so oft betroffen
Die Befragten waren im Zeitraum eines Jahres vor der Umfrage mindestens einmal an einem Live-Konzert. 51 Prozent von ihnen waren Frauen, rund zwei Drittel waren zwischen 30 und 49 Jahre alt und ebenfalls zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie häufig oder sehr häufig Live-Konzerte besuchen. Sechs von zehn der Befragten (61 Prozent) sagten aus, sie hätten bei mindestens einem dieser Besuche unerwünschtes sexualisiertes Verhalten – beispielsweise sexuelle Belästigungen oder Übergriffe – erlebt.
Dabei zeigte sich ein krasser Unterschied zwischen Männern und Frauen: 39 Prozent der Männer gaben an, Opfer solcher Übergriffe gewesen zu sein, bei den Frauen war der entsprechende Anteil mit 82 Prozent mehr als doppelt so hoch. Jede fünfte Frau sagte zudem aus, dass dies häufig vorkomme. Es zeigte sich zudem, dass Frauen in grossen Konzertsälen oder Stadien besonders gefährdet zu sein scheinen – und zwar auch dann, wenn sie mit Freunden oder ihrem Partner unterwegs sind. Die Ergebnisse der Umfrage sind im Fachjournal Injury Prevention erschienen.
«Es wird sowieso nichts unternommen»
Es fällt auf, dass die weit überwiegende Mehrheit – 88 Prozent – der von den Übergriffen betroffenen Personen die Vorfälle nicht bei den Konzertveranstaltern oder dem Sicherheitsdienst gemeldet hat. 574 Befragte gaben ihre Gründe dafür an. Fast die Hälfte von ihnen sagte, sie hätten nicht gewusst, wie sie den Vorfall hätten melden oder an wen sie sich hätten wenden sollen. 42 Prozent gaben hingegen an, dass sie den Vorfall hätten melden können, dies aber bewusst unterlassen hätten. Die häufigste Erklärung dafür bestand darin, dass sie der Meinung waren, eine Meldung würde nichts nützen: «Es wird sowieso nichts unternommen.» Diese Begründung kam von Frauen und Männern gleichermassen.
Andere Gründe, von einer Meldung abzusehen, waren etwa Scham, Alkohol- oder Drogenkonsum oder die Angst, dass der Schilderung des Vorfalls kein Glauben geschenkt werde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätte, wurde von den Befragten als äusserst gering eingeschätzt – besonders dann, wenn es sich um eine prominente Person handelte.
Nicht alle Formen der Belästigung berücksichtigt
Entsprechende Studien wurden bereits in Ländern wie Australien, Grossbritannien oder Schweden durchgeführt. Auch sie deuteten darauf hin, dass sexuelles Fehlverhalten bei Musikveranstaltungen weitverbreitet ist. Für die USA fehlten jedoch ausführliche Umfragen. Die vorliegende Untersuchung bestätigt nun die Ergebnisse der früheren Studien. Das Problem könnte allerdings noch grösser sein, als die Zahlen der neuen Umfrage vermuten lassen, denn diese listete nicht alle Formen der Belästigung in ihrem Fragebogen auf. Exhibitionismus und Upskirting (ohne Zustimmung erfolgtes Fotografieren oder Filmen unter die Kleidung einer Person, um deren Intimbereich aufzunehmen) fehlten beispielsweise.
Wie die Studienautorinnen einräumen, könnte allerdings ein anderer Faktor das Ergebnis in die andere Richtung beeinflusst, das Problem also tendenziell als grösser dargestellt haben: Möglicherweise haben eher Personen an der Umfrage teilgenommen, die bereits Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen und Belästigungen gemacht haben. Dies ist jedoch kein Grund zur Entwarnung. Price und Driscoll schreiben:
Konzertveranstalter sollten daher viel aktiver auf Prävention und Schulungen setzen, finden die Studienautorinnen. Sicherheitspersonal sollte sichtbarer sein und es müsste klare Verfahren für die Opfer geben, die eine Meldung machen wollen. (dhr)
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