Daniel Koch kommt gerade von einer Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Alain Berset, als ihn die «Schweiz am Wochenende» zum Gespräch trifft. Er setzt sich mit zwei Metern Abstand zum Journalisten hin und stellt ein kleines Plastikfläschchen mit Desinfektionsmittel neben sich auf den Tisch.
Sie stehen seit Januar pausenlos im Einsatz wegen der Coronapandemie. Ihre Gelassenheit ist zu einem Markenzeichen geworden. Gibt es trotzdem Momente, die Ihnen nahe gehen?
Daniel Koch: Das gibt es selbstverständlich immer wieder. Es ist nicht alles nur cool. Besonders, wenn mir die Menschen in E-Mails oder Briefen ihre Probleme schildern, macht das auch mich betroffen. Im Grossen und Ganzen erlebe ich meine Arbeit als sehr positiv.
Die Schweiz konnte seit dem 11. Mai viele Massnahmen gegen die Pandemie lockern. Haben Sie schon auswärts gegessen?
Ich bin unterwegs einmal spontan eingekehrt, ein anderes Mal war ich in einem Café. Ein richtiges Nachtessen folgt demnächst.
Je tiefer die Fallzahlen sinken, desto mutiger werden die Menschen. In der Aarauer Altstadt und der Basler Steinenvorstadt versammelten sich in den vergangenen Tagen hunderte Menschen auf engem Raum. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Grundsätzlich können die Menschen wieder eher rausgehen, auch ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, sofern sie die Distanz- und Hygieneregeln einhalten. Die Ansteckungsgefahr ist im Moment recht klein. Bei grossen Menschenansammlungen wie in Basel oder Aarau ist das Infektionsrisiko zwar auch nicht allzu gross. Wenn sich dann aber doch eine infizierte Person in der Menge aufhält, hat man plötzlich hunderte oder tausende Personen, die sich potenziell angesteckt haben. In Südkorea mussten nach einem solchen Vorfall über 1500 Menschen in die Quarantäne. Das kann nicht unser Ziel sein. Ausgang ist möglich, aber wir müssen vernünftig bleiben.
Was heisst vernünftig?
Man kann sich zu viert treffen und ein Bier trinken gehen. Man sitzt an einem Tisch und weiss, mit wem man zusammen war.
Doch die Gästeregistration in den Restaurants funktioniert nur beschränkt. Manche Lokale haben Listen auf Papier, andere eine Website, andere fragen gar nicht.
Es ist im Interesse der Betreiber, die Daten der Gäste zu erfassen. Wenn beispielsweise ein Kellner erkrankt, ist es entscheidend, dass er die Gäste der vergangenen zwei Wochen direkt informieren kann. Sonst werden die Behörden gezwungen sein, die betreffenden Lokale öffentlich bekannt zu machen, damit sich die Gäste in Quarantäne begeben können. Das ist für den Ruf eines Lokals nicht unbedingt positiv.
Eine Pflicht zur Registration wäre aus Datenschutzsicht heikel.
Der Staat will keine Daten über das Ausgehverhalten der Menschen. Unser einziges Ziel ist es, Personen zu finden, die möglicherweise mit dem Virus in Kontakt kamen.
Grossveranstaltungen bestehen per Definition aus grossen Menschenansammlungen. Wird es diese auf absehbare Zeit nicht mehr geben?
Die Frage wird auch hier sein, ob man die Kontakte der Menschen rückverfolgen kann. Bei einem Open-Air-Festival oder an einer Fasnacht ist das aussichtslos. Dort verlieren wir die Infektionsketten sofort. Man kann auch nicht zehntausend Menschen in Quarantäne stellen, wenn ein Fasnachts- oder Festivalteilnehmer infiziert war. Bei anderen Events ist es eher möglich.
Können Sie ein Beispiel machen?
Das kann ein Konzert mit Sitzplätzen sein, wo sich genau sagen lässt, wer wo gesessen hat. Möglicherweise sind zwei Meter Abstand zwischen den Zuhörern nicht einzuhalten, aber wenn nur jeder zweite Platz besetzt ist, dann kann man sich das überlegen.
Sind unter diesen Bedingungen auch Fussballspiele mit Publikum wieder möglich?
Es wird unsere Aufgabe sein, alle diese Fragen einzeln anzuschauen, auch mit den Veranstaltern. Wir wollen eine möglichst grosse Normalität erreichen, ohne grosse unkontrollierbare Risiken einzugehen.
Etliche Unternehmen beordern zurzeit ihre Mitarbeiter aus dem Homeoffice zurück in die Büros. Ist das der richtige Moment?
An vielen Arbeitsplätzen liegen zwei Meter Abstand nicht drin. Wenn man vermeiden will, dass ganze Büros in Quarantäne gehen müssen, ist Homeoffice immer noch die bessere Option. Wenn zudem alle Arbeitnehmenden auf einmal mit dem Homeoffice aufhören, wird das Gedränge in den öffentlichen Verkehrsmitteln grösser. Das wollen wir vermeiden.
Hinter allen Lockerungsschritten lauert die Gefahr einer zweiten Ansteckungswelle. In Ihrem Metier müssen Sie in Worst-Case-Szenarien denken.
Man kann Worst-Case-Szenarien nie ausschliessen, doch man sollte sich nicht darauf versteifen. Entscheidend sind die wahrscheinlichen Szenarien. Aus heutiger Sicht wahrscheinlich ist etwa, dass im Herbst und Winter wieder sehr viele Atemwegsviren zirkulieren werden. In diesem Kontext wird es schwieriger sein, die Infektionen mit dem neuen Coronavirus zu identifizieren und die Infektionsketten nachzuverfolgen. Wir müssen uns deshalb auch darauf vorbereiten, dass uns das Contact Tracing wieder entgleist. Bei 200 bis 300 neuen Fällen pro Tag wird man sich auch die Frage stellen, ob erneut Schutzmassnahmen in Kraft treten müssen. Das Ziel lautet aber ganz klar, eine zweite Welle zu verhindern.
Was bereitet Ihnen mehr Sorgen: die schwierigere Rückverfolgbarkeit oder die trockene Luft in der kalten Jahreszeit?
Es ist beides. Das Virus verbreitet sich in kalter und trockener Luft möglicherweise besser. Zudem haben bei den aktuell warmen Temperaturen nur wenige Menschen grippe-ähnliche Symptome, davon trägt nur etwa ein Prozent das Virus in sich. Darum ist es aktuell einfacher, sie zu identifizieren. Im Herbst werden sehr viel mehr Menschen grippale Symptome aufweisen aufgrund aller anderen zirkulierenden Viren. Wir werden deshalb auch sehr viel mehr Menschen testen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine mit dem neuen Coronavirus infizierte Person durch die Maschen fällt, ist grösser. Deshalb ist das Risiko einer zweiten Welle im nächsten Winter tendenziell höher. Das Ziel lautet dennoch, die Welle zu unterdrücken oder zumindest auf einem tiefen Niveau zu halten.
Entscheidend ist auch, möglichst bald einen Impfstoff zu finden und einen möglichst grossen Teil der Bevölkerung zu immunisieren. Der Kampf um die Ampullen hat begonnen. Beginnt jetzt die Zeit des Impfstoff-Nationalismus?
Man wird alles daransetzen, dass es nicht zu einem Kampf zwischen den Ländern kommt. In einer globalisierten Welt ist es im Interesse aller Staaten, dass auch die anderen Länder Zugang zum Impfstoff haben. Wenn die Lage in einzelnen Ländern plötzlich wieder ausser Kontrolle gerät, schadet das allen.
Wer muss zuerst geimpft werden?
Das Pflege- und das Spitalpersonal. Als Schweiz haben wir übrigens auch ein grosses Interesse daran, dass das Pflegepersonal in Italien und Frankreich geimpft wird. Wir haben viele Leute aus diesen Ländern, die bei uns arbeiten. Wir wollen auch nicht, dass plötzlich Spitäler in den Nachbarländern ausfallen, wie dieses Jahr im Elsass, und Patienten in die Schweiz evakuiert werden müssen.
In den USA hat Donald Trump die «Operation Warp Speed» gestartet, damit die Vereinigten Staaten möglichst als Erste einen Impfstoff erhalten. Ist das nicht eine Gefahr für uns?
Die USA waren in Sachen Impfstoffe schon immer sehr eigenständig unterwegs. Das ist nichts Neues. Sie dürften früher oder später auch merken, dass es im Interesse aller ist, wenn man zusammenarbeitet.
Was tut die offizielle Schweiz, damit sie nicht zu kurz kommt?
Alle Staaten sind im Gespräch mit den Pharmafirmen. Die Impfstoffproduzenten haben ein Interesse daran, dass nicht nur ein einziges Land bedient wird. Sie wollen ihre Kundschaft möglichst breit bedienen.
Sind das nicht nur schöne Versprechen?
Nein. Die meisten Pharmafirmen haben bereits Konzepte erarbeitet mit internationalen Verteilschlüsseln. Im Grossen und Ganzen bin ich zuversichtlich, dass es möglich sein wird, im grossen Stil Impfstoffe zu produzieren. Die Produzenten werden auch untereinander kooperieren.
Bevor es so weit ist, muss erst einmal ein Impfstoff vorliegen. Eine Studie des US-Pharmaunternehmens Moderna hat in der ersten Phase ermutigende Resultate geliefert. Ihre Einschätzung?
Zu einzelnen Produkten kann man noch nichts sagen. Selbst in der Phase drei mit Tausenden Probanden ist es schwierig, verlässliche Aussagen über die Wirksamkeit und Einsatztauglichkeit eines Impfstoffs zu machen.
Ab wann ist es realistisch, dass man in Produktion gehen kann?
Dieses Jahr scheint mir ein serienreifer Impfstoff eher unwahrscheinlich.
Es gibt auch virale Krankheiten wie HIV, gegen die nie ein Impfstoff gefunden wird. Ist das beim Coronavirus eine Möglichkeit?
Die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Impfstoff findet, ist recht gut. Wie gut der Impfstoff aber sein wird, das ist die entscheidende Frage: Wie lange hält die Schutzwirkung an, und wie gut schützt er?
Bis dahin sollen unter anderem Gesichtsmasken helfen, die Ansteckungen einzudämmen. Sie haben sich zu Beginn der Pandemie sehr skeptisch gezeigt, was deren Wirksamkeit anbelangt. Sind Sie das immer noch?
Es gibt Orte, an denen wir sagen, Masken machen Sinn. Aber der Nutzen ist beschränkt. Ich habe kürzlich im öffentlichen Verkehr eine Person gesehen, die eine FFP2-Maske mit Ventil trug: Eine solche Maske schützt nur den Träger, aber nicht die Umgebung. So funktioniert es natürlich nicht. Wenn man es streng wissenschaftlich betrachtet, gibt es sehr wenig Evidenz für den Nutzen von Masken im öffentlichen Raum, wo man den Abstand einhalten kann.
Es gibt Experten, die das anders sehen.
Masken können sinnvoll sein, weil es die Menschen daran erinnert, dass wir uns weiterhin in einer aussergewöhnlichen Situation befinden. Die Leute werden hoffentlich vorsichtiger und desinfizieren ihre Hände häufiger.
Wann glauben Sie, dass wieder ein Gefühl von Normalität in den Alltag zurückkehren wird: Erst wenn wir einen Impfstoff haben oder schon früher?
Es wird mit Sicherheit ein Gefühl von Normalität zurückkehren. Doch die Normalität wird nicht mehr so sein wie vorher. Aber es wird ziemlich normal sein.
Ich glaube am liebsten würde er schon lange mal sagen also schaut die Situation ist so aber um ehrlich zu sein, seid ihr nicht sozial, mitfühlend, verantwortungsvoll und rücksichtsvoll genug um mit der Wahrheit umgehen zu können. Deshalb informieren wir so, dass das Land nicht total zusammenbricht und ein Wettkampf a la only the strongest survive stattfindet.
Ähnlich gut wie: „Die Aare wird wieder bebadbar sein“.
Dr. Koch, you are my hero😊👍🏻!