Herr Ruff, Sie sind Oberarzt beim Checkpoint Zürich, einem Gesundheitscenter für die LGBTQIA+-Community. Das Affenpocken-Virus ist gerade in aller Munde. Welche Erfahrungen wurden damit in Zürich gemacht?
Flavian Ruff: Seit dem ersten Schweizer Fall Ende Mai haben wir etwas über 100 Personen mit der Affenpockeninfektion behandelt. Momentan sind die Zahlen leicht rückläufig, was jedoch mit Vorsicht zu geniessen ist. Eine Ansteckung ist nach wie vor möglich.
Welche Symptome haben Betroffene?
Klassischerweise haben Betroffene zunächst Allgemeinsymptome wie Fieber, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder Husten. Es gibt Patienten, denen es nach ein paar Tagen wieder gutgeht. Bei anderen zeigt sich das klassische Pockenbild auf der Haut, welches für Betroffene sehr schmerzhaft sein kann und auch die Gefahr von unschönen Narben mit sich bringt. Zudem sehen wir auch Menschen mit schweren Komplikationen wie zum Beispiel bakteriellen Superinfektionen oder Enddarmentzündungen.
Wie steckt man sich mit dem Affenpockenvirus an?
Es ist nicht so leicht übertragbar, aber eine Ansteckung kann durch engen Haut- oder Schleimhautkontakt geschehen. Vor allem Pusteln sind ansteckend. In der Literatur sind auch Übertragungen durch grosse Atemwegströpfchen beschrieben. Nicht zuletzt ist eine Infektion indirekt möglich, wenn man gleichzeitig das gleiche Handtuch oder die Bettwäsche wie ein Infizierter benützt.
Eine Studie des «The New England Journal of Medicine» hat gezeigt, dass über 90 Prozent der Affenpockeninfizierten homosexuelle Männer sind. Müssen sich Heterosexuelle keine Sorgen über eine Infektion machen?
Dem Affenpockenvirus ist es egal, welche sexuelle Orientierung man hat. Zurzeit ist die Ansteckung vor allem in der MSM-Community aktiv (Männer, die Sex mit Männern haben). Aber es ist absolut möglich, dass es auch Heterosexuelle trifft – ohne jetzt der Hetero-Bevölkerung Angst zu machen.
Unter welchen Umständen würde sich das Virus ausbreiten?
Wenn wir jetzt nichts gegen Affenpocken machen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Virus weiter ausbreitet. Affenpocken erinnern mich an die Anfänge von HIV (Human Immunodeficiency Virus), als viele zu spät realisierten, dass nicht nur Homosexuelle betroffen sind. Das Risiko besteht bei allen, die wechselnde Sexualpartner haben.
Es gibt dennoch viele Stimmen, die sagen, das Virus sei nur in der Gay-Community eine Gefahr. Einige Medien gehen sogar so weit, dass sie der Gay-Community zu einer Sexpause raten.
Ich möchte festhalten, dass viele der Checkpoint-Klienten ihr Sexleben bereits selbst massiv zurückgefahren haben, um sich nicht zu gefährden. Doch eine Generallösung, die langfristig funktioniert, ist das nicht. Weder für die Hetero- noch die Homo-Community. Denn Sex ist ein Grundbedürfnis und gehört zum Menschsein dazu.
Die Generallösung soll das Vakzin sein. Der Bund hat davon 40'000 Impfdosen bestellt. Wer soll sich impfen lassen?
In einer Welt ohne Impfstoffknappheit sollte es jedem möglich sein, sich zu impfen, wer das will. Doch das hat die Schweiz verpasst. Der Bund empfiehlt, zunächst die MSM-Community und Trans-Personen mit wechselnden Sexualpartnern zu impfen und alle, die im Gesundheitswesen arbeiten und Direktkontakt mit Betroffenen haben.
Gibt es auch eine gesetzliche Quarantäne wie beim Coronavirus?
Dies ist kantonal unterschiedlich geregelt. Eine schweizweite Quarantäne gib es aktuell nicht. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt, auf sexuelle Kontakte für 21 Tage zu verzichten und Kontakte zu anderen Personen zu meiden, bis die letzten Hautkrusten abgefallen sind.
Muss man Kontakte auch meiden, wenn man keine Pocken hat?
Es gibt einige Infizierte, die beispielsweise nur Fieber, aber keine Pocken auf der Haut haben. Bei denen spricht in den meisten Fällen nichts dagegen, auch zu arbeiten – sobald das Fieber abgeklungen ist. Es braucht in jedem Fall eine individuelle Beurteilung.
Was sollen Infizierte am Arbeitsplatz sagen, wenn man für längere Zeit keine engen Kontakte haben darf?
Am besten sagt man am Arbeitsplatz gar nicht, dass man Affenpocken hat. Wer krankgeschrieben ist, muss dem Arbeitgeber keine Diagnose mitteilen. Wir empfehlen das, weil es sonst praktisch zu einem Zwangsouting führt. Denn viele Leute denken, Affenpocken betrifft nur die MSM-Community. Zudem werden so auch unnötige Ängste geschürt.
Affenpocken = Zwangsouting. Das tönt nach einem extremen Stigma.
Das ist genau das Problem und es hat auch mit den Medien zu tun. Viele Menschen lesen nur die Schlagzeilen und bilden sich ein Urteil. Wer die Kommentare zu Affenpocken-Artikeln einiger Medien liest, merkt, wie haarsträubend viele Vorurteile sind. Ich würde sogar sagen, man fühlt sich zurückversetzt in die 80er-Jahre, als das Stigma zu HIV/Aids entstand, das bis heute andauert.
Verständnisfrage: Ist die Sexualität bei irgendeiner Krankheit von Relevanz?
Nein! Es gibt keine Krankheit auf dieser Welt, die nur Homosexuelle bekommen können. Viren haben keine Vorurteile gegenüber den Menschen, die sie befallen.
Was müssen wir von den Affenpocken für künftige Virus-Krankheiten lernen?
Das Wichtigste ist, Infektionskrankheiten die Schuldfrage zu entziehen. Das bedeutet: Keine Menschen zu diskriminieren, die von einer Infektion befallen sind. Genauso wichtig ist es, offen und wissenschaftlich fundiert zu kommunizieren. Nicht zuletzt müssen wir schneller reagieren, um Lösungen zu finden wie den Impfstoff oder die antiviralen Medikamente. Gerade für uns Mediziner ist es ernüchternd, wenn es Medikamente gibt, die im Ausland bereits verfügbar, aber in der Schweiz noch nicht zugelassen sind. Denn Infektionskrankheiten scheren sich nicht um Landesgrenzen.
Ich verstehe ja die Intetion hinter dieser Antwort, aber dieses kategorische zurückweise ist halt einfach unwissenschaftliche.
Das gleiche wie bei Cornona:
"Alter" ist auch kein "direkter" Risikofaktor für eine Infektion, dem Virus ist eine Zahl in einem Passport egal. Nur hängen halt viele Risikofaktoren mit dem Alter einer Person zusammen.
Homosexualitàt ist auch kein direkter Risikofaktor, nur gibts halt in der Community wohl eine signifikaten Zahl Menschen, die eine Risikoverhalten an den Tag lehnen.
Dass man das überhaupt sagen muss ist schon besorgniserregend.
Ein Armutszeugnis für unsere moderne Gesellschaft, dass man so einen Fakt explizit erwähnen muss