«Grosseltern haben ein Samichlaus-Trauma»: Ein Chlaus erzählt
Sie sind seit über 30 Jahren als Samichlaus unterwegs. Wie kam es dazu?
Stefan Gaug: Ich war 14 Jahre alt und in der Jungwacht. Viele Leiter bei der Jungwacht waren Schmutzli oder Samichläuse. So hat sich das für mich ganz natürlich ergeben. Und dann hat es mir so gut gefallen, dass ich nicht mehr aufgehört habe. Sobald ich dann aber vor der ersten Türe stehe und der Schmutzli mit dem Glöcklein läutet, beginnt für mich der besinnliche Advent.
Davor waren Sie mehrere Jahre lang Schmutzli. Ist das der gewöhnliche Karriereweg eines Chlaus?
Absolut, als Schmutzli sieht man, wie es läuft. Ein Schmutzli darf, muss aber nichts sagen. Als Samichlaus ist das anders: Dann trägt man die Verantwortung, dass es für die Familie ein gelungener Abend wird, sobald man zur Tür hineinkommt.
Der Samichlaus trägt aus seinem Buch sowohl Lob als auch Tadel vor. Wie hat sich Ihre Chlaus-Rolle verändert?
Ich bin stärker der aufbauende Samichlaus als früher. Ich finde es zum Beispiel nicht mehr zeitgemäss, dass ich als Samichlaus von den Kindern verlange, brav zu sein. In meiner Anfangszeit habe ich gerade Kinder, die Geschwister haben, dazu ermahnt, nicht miteinander zu streiten. Das mache ich heute nicht mehr.
Was sagen Sie stattdessen?
Ich sage, dass auch der Samichlaus und der Schmutzli hin und wieder streiten. Ich sage den Kindern heute eher, dass Streiten in Ordnung ist, wenn man einen anständigen Weg findet, ihn auszutragen. Und dass es wichtig ist, dass man sich später wieder verträgt.
Heisst das, Sie sind als Samichlaus über die Jahre weicher geworden?
Ich achte schon mehr darauf, dass die Kinder gestärkt aus der Begegnung mit dem Samichlaus herausgehen. Blossstellende Themen lasse ich ganz weg. Ich würde keine Kommentare über das Gewicht des Kindes machen. Bettnässen würde ich auch nicht ansprechen. Das wurde aber auch schon lange nicht mehr von Eltern angeregt.
Wenn der Samichlaus weniger strafend ist als früher, heisst das umgekehrt, dass die Kinder auch etwas den Respekt vor ihm verlieren?
In meiner Erfahrung ist und bleibt der Samichlaus eine Respektperson. Ich werde praktisch nie blöd angemacht. Sobald ich die Samichlausverkleidung anziehe, strahle ich eine andere Präsenz aus.
Geniessen Sie das?
Ich mag es, den Lead zu übernehmen und einen schönen Abend zu gestalten. Ich mache auch gerne auflockernde Sprüche, weil das meinem Typ entspricht. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Aufmerksamkeit nicht irgendwo zu geniessen.
Wenn Sie an Ihren «Berufseinstieg» als Begleiter des Chlaus zurückdenken: Wie hat sich die Rolle des Schmutzli seit 1989 verändert?
Früher gab es viel mehr Kinder, die Angst vor dem Schmutzli hatten. Wir haben schon damals versucht, den Kindern die Angst vor dem Schmutzli zu nehmen. Wir hatten Kinder, die waren regelrecht in Schockstarre, wenn der Samichlaus kam. Diese Angst kam nicht von ungefähr: Früher haben die Eltern und Grosseltern den Kindern schon vor dem Besuch Angst gemacht vor dem Schmutzli.
Samichlaus und Schmutzli als strafende Autoritätsfiguren?
Ja, die alten Chläuse waren sicher härter, strenger, strafender. Das hinterlässt Spuren bis heute. Es gibt Grosseltern, die ein regelrechtes Trauma vom Samichlaus haben. Das merke ich schon beim Betreten der Stube, die suchen dann auch Abstand. Das ist ganz tief drin, obwohl es wahrscheinlich 70 und mehr Jahre her ist. Einige heizen die Angst bei den Kindern aber auch noch weiter an.
Wie genau?
Zum Beispiel, indem sie auf den Sack vom Schmutzli zeigen und sagen: Schau, da hinein packt dich der Schmutzli, wenn du dich nicht anständig aufführst. Das ist dann natürlich kontraproduktiv. In solchen Fällen erzähle ich als Samichlaus dann eine Geschichte.
Wie geht die?
Die geht so: Einmal im Winter war ich mit meinem Sack unterwegs in Richtung Stadt. Der Sack hatte aber ein kleines Loch, sodass ich ein Schöggeli und ein Nüssli nach dem anderen verlor. In der Stadt angekommen, war mein Sack leer und ich verzweifelt. Irgendwann kam dann der Schmutzli. Er hatte gesehen, wie ich im Wald all meine Leckereien verloren hatte. Er holte sich zuhause einen neuen Sack, sammelte alle verlorenen Nüsse und Schokolade ein und trug sie mir hinterher in die Stadt. So stand ich nicht mit leeren Händen da und seitdem ist der Schmutzli mein treuer Begleiter.
Trägt denn der Schmutzli heute noch eine Fitze mit sich?
Das ist bei uns Chläusen und Schmutzlis immer so eine Diskussion. Sie ist zwar noch dabei, aber eher dekorativ, ich nehme als Samichlaus keinen Bezug darauf. Zu meiner Anfangszeit als Schmutzli hat der Samichlaus noch stärker auf die Fitze hingewiesen.
Das heisst, er hat mit der Rute gedroht?
Gedroht nicht. Aber er hat mich als Schmutzli gefragt, ob wir die Fitze hier lassen oder wieder mitnehmen. Wir haben sie dann immer wieder mitgenommen.
Hatten Sie je negative Reaktionen auf den Schmutzli? In den letzten Jahren wurden vermehrt Stimmen laut, die das schwarz angemalte Gesicht des Schmutzli problematisch finden, weil es Blackfacing sei.
Der Schmutzli ist bei uns bis heute im Gesicht eher dunkel und düster geschminkt. Aber nicht schwarz. Das wurde bis jetzt auch noch nie beanstandet. Tatsächlich haben die Kinder manchmal immer noch Angst vor dem Schmutzli, weil er als Köhler so russig ist. Diese Angst wird aber mehr von den Eltern und Grosseltern geschürt. Unser Schmutzli ist heute ein lieber Schmutzli.
Was hat sich sonst noch verändert?
In den 1990er-Jahren wurde mir oft Schnaps angeboten, das geschieht heute fast nicht mehr. Ich nehme ihn auch nicht an, ausser vielleicht beim letzten Besuch. Es kommt nicht gut an, wenn der Samichlaus zu den Kindern geht und eine Fahne hat.
Was macht für Sie einen guten Samichlaus aus?
Dass er es hinkriegt, in den 15 bis 20 Minuten, die er zur Verfügung hat, das Fundament für einen schönen Abend zu legen. Dazu braucht er einen direkten Draht zu den Kindern, muss die richtige Mischung zwischen Lob und Tadel finden. Und er braucht eine gewisse Durchsetzungskraft: Ich fordere die Eltern zum Beispiel auf, den Fernseher abzuschalten während meines Besuchs.
