Schweiz
Interview

Hitze im August und September: Den Klimawandel trifft keine Schuld

Bagger erstellen einen Schutzdamm, am Freitag, 16. August 2024 in Brienz im Berner Oberland. Am Montag Abend haben heftige Gewitter einen Murgang ausgeloest und Gebaeude, parkierte Fahrzeuge, Strassen ...
Brienz nach dem Murgang, wo Bagger am Freitag einen Schutzdamm erstellten.Bild: keystone
Interview

«Einzelne Gewitter mit dem Klimawandel zu begründen, geht mir gegen den Strich»

Aprilwetter im Juni. Hochsommer bis im September. Verschieben sich unsere Jahreszeiten? Oder ist der Klimawandel dafür verantwortlich? Meteorologe Reto Vögeli mit Antworten.
17.08.2024, 16:0617.08.2024, 16:37
Ralph Steiner
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Herr Vögeli, kann man sagen, dass sich unsere Jahreszeiten nach hinten verschieben?
Reto Vögeli: Nein.

Weshalb nicht?
Grundsätzlich werden die Jahreszeiten vom Sonnenstand bestimmt. An der Erdumlaufbahn und der Neigung der Erdachse hat sich jedoch nichts geändert. Die Erde dreht sich nach wie vor einmal pro Tag um die eigene Achse und kreist während eines Jahres einmal um die Sonne. Deswegen haben sich auch die Jahreszeiten nicht verschoben. Der Winter ist immer noch die kälteste Jahreszeit mit am wenigsten Sonne, im Sommer haben wir am meisten Sonne, deswegen ist es am wärmsten.

Reto Vögeli ist Meteorologe und CEO des Schweizer Wetterdienstes MeteoNews AG.
Reto Vögeli ist Meteorologe und CEO des Schweizer Wetterdienstes MeteoNews AG.
«Hinzu kommt, dass die Luft aus dem Nordatlantik kühl ist, daher hatten wir im Juni nur 20 Grad.»

Warum hat sich der Juni in diesem Jahr dann nicht wie ein Sommermonat angefühlt?
In Europa wird das Wetter hauptsächlich durch Hoch- und Tiefdruckgebiete bestimmt. Das Aprilwetter, das wir dieses Jahr bis in den Juni hinein hatten, diese unbeständigen Wetterlagen, das wurde durch Tiefdruckgebiete verursacht. Sie zogen vom Nordatlantik über die britischen Inseln bis nach Mitteleuropa. Deshalb hat es immer wieder geregnet. Hinzu kommt, dass die Luft aus dem Nordatlantik kühl ist, daher hatten wir im Juni nur 20 Grad. Das ist natürlich nicht das, was sich die Leute unter Juni vorstellen.

Dafür haben wir jetzt im August 30 Grad.
Momentan haben wir eine Lage mit ausgeprägten Hochdruckgebieten, dadurch viel Sonne und höchstens gelegentlich ein Gewitter. Allerdings kann sich das von heute auf morgen verändern. Dieses Wochenende haben wir kein Monstertief, es kommt aber wieder kühle Luft aus dem Nordatlantik, deswegen haben wir morgen Regen und 21 Grad. In der kommenden Woche erreicht uns das nächste Hoch, dann gibt's wieder Sonne und 30 Grad.

Dann täuscht auch der Eindruck, dass es im August und September vermehrt warm bis heiss ist?
Ja. Unser Wetter hat eine relativ starke Variabilität. Das heisst: Es kann in jedem Jahr anders ausfallen. Es ist nicht vergleichbar mit Ländern wie beispielsweise Algerien. Dort ist es im Sommer immer sonnig und 40 Grad heiss. Bislang ist der August drei Grad über der Norm, das ist wahnsinnig viel. Wir sind auf Kurs zum zweitwärmsten August seit Messbeginn. Es kann aber auch mal wieder einen ganzen August regnen.

«Spätsommerwetter mit stabilen Hochdruckgebieten auch noch im September und Oktober ist nichts Neues.»

Und wie steht es um den September?
Der September ist einer der stabilsten Wettermonate, ganz anders als etwa der April. Spätsommerwetter mit stabilen Hochdruckgebieten auch noch im September und Oktober ist nichts Neues. Das gab es auch in der Vergangenheit. Hinzu kommt, dass im September die Gewitter tendenziell wegfallen. Es ist dann den ganzen Tag schön und am Abend bleibt es trocken.

Die drei Grad über der Norm, die wir im August bislang haben, ist das eine Folge des Klimawandels?
Die Klimaerwärmung mit Einzelereignissen in Verbindung zu bringen, ist immer schwierig. Einen einzelnen Monat als Referenz zu nehmen und dann zu sagen, «das ist jetzt der Klimawandel», greift zu kurz. Die hohen Temperaturen im August passen aber ins Gesamtbild. Trotz Temperatureinbrüchen wird es tendenziell immer wärmer. In den letzten Jahren waren jeweils elf von zwölf Monaten zu warm.

epa10810771 A woman jump from Schonausteg bridge in the Aare River during the sunny and warm weather in Bern, Switzerland, 20 August 2023. Many parts of Switzerland have been experiencing a period of  ...
Für eine Abkühlung mehr als nur geeignet: die Aare in Bern.Bild: keystone

Was heisst «zu warm»?
Wir vergleichen die aktuellen Temperaturen jeweils mit den Durchschnittstemperaturen der Jahre 1991 bis 2020. Für dieses Jahr hat sich bisher Folgendes gezeigt:

  • Januar: 1,3 Grad über dem Schnitt
  • Februar: 4,7 Grad über dem Schnitt
  • März: 2,2 Grad über dem Schnitt
  • April: 0,4 Grad über dem Schnitt
  • Mai und Juni: in der Norm
  • Juli und August: deutlich über dem Schnitt

Es gab also keinen Monat, der kälter war als der Schnitt. Nur Monate, die gleich oder überdurchschnittlich warm waren. Auffallend ist der Februar. Diese 4,7 Grad plus, das ist extrem. Der Februar 2024 war kein Wintermonat mehr, sondern ein Frühlingsmonat.

«Das Unwetter in Brienz ist tragisch, man darf es aber nicht direkt mit dem Klimawandel in Verbindung bringen.»

Was ist mit Unwettern wie demjenigen diese Woche in Brienz? Auch sie nehmen dem Gefühl nach seit einigen Jahren zu.
Die Unwetter in der Schweiz müsste man ebenfalls langfristig betrachten, um eine mögliche Zunahme erkennen zu können. Was man sagen muss: Die Medien sind für die Wahrnehmung schon auch mitverantwortlich.

Felsbloecke, Steine und Holz von einer Geroelllawine liegen zwischen den Haeusern, am Freitag, 16. August 2024 in Brienz im Berner Oberland. Am Montag Abend haben heftige Gewitter einen Murgang ausgel ...
Die Schäden in Brienz sind riesig.Bild: keystone

Wie meinen Sie das?
Jeder hat ein Handy, gewittert es irgendwo, schreibt irgendein Medium gleich eine Story. Nicht jedes Gewitter ist aber ein schlimmes Unwetter. Und Unwetter wiederum gab es auch schon vor 100 und 200 Jahren. Das Unwetter in Brienz ist tragisch, man darf es aber nicht direkt mit dem Klimawandel in Verbindung bringen. Einzelne Gewitter und Überschwemmungen mit dem Klimawandel zu begründen, geht mir gegen den Strich. Vor allem, wenn man sagt, dass es das Gewitter ohne den Klimawandel nicht gegeben hätte. Das Gewitter in Brienz entstand aufgrund von physikalischen Bedingungen, und nicht, weil es über das Jahr gesehen aufgrund der Klimaerwärmung ein bis zwei Grad wärmer war.

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So sieht es in Brienz am Morgen danach aus
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So sieht es in Brienz am Morgen danach aus
Schwere Unwetter zogen am Montagabend über Brienz.
quelle: keystone / alessandro della valle
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119 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aruma
17.08.2024 16:41registriert Januar 2020
Die Wahrschienlichkeit, dass solche physikalischen Bedingungen zu Stande kommen, ändern sich aber sehr wohl mit dem Klimawandel.
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mrmikech
17.08.2024 17:40registriert Juni 2016
Es wäre spannend, wenn Watson nicht nur Interviews mit Meteorologen führen würde, sondern sie auch aktiv in die Kommentarspalten einbinden könnte. So könnten Experten direkt auf Fragen und Diskussionen der Leser eingehen und vielleicht sogar Missverständnisse klären oder zusätzliche Einblicke bieten. Das würde die Debatte um Klimathemen deutlich bereichern und den Austausch zwischen Lesern und Experten fördern.
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tops
17.08.2024 16:35registriert Juni 2018
Ein einzelnes Unwetter natürlich nicht, aber so hat z.b. in den USA gemäss der Statistik der NOAA die Häufigkeit und das Schadenausmass von Unwettern in den letzten 45 Jahren stark zugenommen. Im Schnitt waren es in dem Zeitraum 8.5 Ereignisse (Schadenausmass über 1Mrd U$) mit einem Schadenvolumen von 60 Mrd U$ waren es in den letzten 3 Jahren im Schnitt 145Mrd U$ und 22 Ereignisse. Eine signifikante Zunahme.
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