Der Fall Jacques Baud wirft hohe Wellen: Was steckt dahinter?
Wer ist Jacques Baud?
Jacques Baud ist ein 70-Jähriger Genfer Ökonom. Er war Oberst in der Schweizer Armee und arbeitete zwischen 1982 und 1990 für den Nachrichtendienst. Er befasste sich insbesondere mit den Staaten des Warschauer Paktes und lernte in dieser Zeit auch russisch. Später arbeitete er für die Uno; er leitete etwa den Geheimdienst der Uno-Friedensmission im Sudan. 2011 wechselte Baud zur Nato.
Nach seiner aktiven Laufbahn trat er zunehmend als Autor und Kommentator zu geopolitischen Konflikten in Erscheinung. Besonders bekannt wurde er durch seine Analysen zum Krieg in der Ukraine, die stark von westlichen Regierungspositionen abweichen. Zu seinen umstrittensten Aussagen gehört, dass die Ukraine den russischen Angriff provoziert habe. Er stellt weiter infrage, dass russische Truppen für das Massaker von Butscha verantwortlich sind.
Bereits zuvor fiel Baud mit umstrittenen Meinungsäusserungen auf, die offizielle Darstellungen und Untersuchungen infrage stellen. Er bezweifelt etwa, dass Osama bin Laden für Planung und Durchführung der Terrorattacken von 9/11 verantwortlich war. Zum Syrienkrieg zweifelte Baud mehrfach die Verantwortung des Assad-Regimes für Chemiewaffeneinsätze an und stellte die Glaubwürdigkeit von internationalen Untersuchungen infrage. Kritiker werfen ihm vor, gut dokumentierte Kriegsverbrechen zu relativieren und Narrative zu verbreiten, die autoritäre Regime entlasten.
Weshalb hat die EU Baud sanktioniert?
Die EU hat Baud am 15. Dezember 2025 auf die Sanktionsliste gesetzt, und zwar im Rahmen des Sanktionsregimes gegen nachhaltige, destabilisierende Aktivitäten im Zusammenhang mit Russland. In der Begründung heisst es, Baud sei regelmässiger Gast in pro-russischen Fernseh- und Radioprogrammen, fungiere als Sprachrohr für pro-russische Propaganda und verbreite Verschwörungstheorien, indem er beispielsweise die Ukraine beschuldige, ihre eigene Invasion inszeniert zu haben, um der NATO beizutreten. Baud, so begründet die EU den Entscheid, sei verantwortlich für die Umsetzung oder Unterstützung von Aktionen oder Politiken, die der Regierung der Russischen Föderation zuzuschreiben sind und welche die ukrainische Stabilität oder Sicherheit untergraben oder bedrohen. Er bediene sich der Manipulation von Informationen und der Einmischung.
Was sagt Baud zu den Vorwürfen?
Er hat keinen Zugriff mehr auf seine Bankkonten und andere Vermögenswerte. Auch ist es EU-Bürgern und -Unternehmen untersagt, Baud finanziell zu unterstützen. Das ist für Baud auch deshalb einschneidend, weil sein Verleger aus Frankreich kommt. Zudem darf Baud weder in den EU-Raum ein – noch durch diesen reisen; er sitzt also in Brüssel fest.
In der Schweiz würde er nicht belangt werden, weil der Bundesrat das Sanktionspaket zur «hybriden Bedrohung» nicht übernommen hat.
Was sagt Baud zu den Vorwürfen?
Baud hat sich ausführlich geäussert gegenüber der «Weltwoche». Er sagt, die Sanktionen seien «schlimmer als Gefängnis». Der Grundtenor des Interviews: Er sei von der EU nicht wegen strafbarer Handlungen sondern einzig und allein wegen seiner abweichenden Meinung sanktioniert worden. Es gehe im Kern also um die Meinungsfreiheit. Baud sagt, er habe keine Beziehungen zu russischen Medien oder Behörden und verwahrt sich gegen den Propagandavorwurf. «Ich bekomme keinen Rubel von Russland. Was hätte ich davon?» Er sieht sich als neutraler Analyst.
Baud sagt, er sei bewusst nie bei «Russia Today» aufgetreten; es könne aber sein, dass der russische Sender Interview-Aussagen von ihm verwendet habe. Unbestritten ist, dass Baud in pro-russichen Medien aufgetreten ist. Baud sagt zudem, er habe nicht behauptet, dass die Ukraine den Krieg selbst provoziert habe. Er habe nur eine Aussage von Selenskis ehemaligem Berater Oleksij Arestowytsch wiedergegeben. Dieser hatte 2019 gesagt, dass ein Beitritt der Ukraine zur Nato einen Angriff Russlands zur Folge hätte.
Baud kritisiert zudem, dass er von der EU nie angehört worden sei.
Bekommt Baud von der Schweiz konsularischen Schutz?
Der ehemalige Geheimdienstler beschwert sich zudem, dass die Schweiz sich nicht für ihn eingesetzt habe. Der Bund erfuhr am 12. Dezember davon, dass Baud von der EU sanktioniert wird; am selben Tag wie dieser selbst. Baud sagt, er habe noch am selben Tag die Botschaft in Brüssel kontaktiert, doch diese habe sich erst zehn Tage später bei ihm gemeldet. Am Dienstag, 22.12. kam es zu einem Gespräch zwischen der Schweizer Botschafterin in den Niederlanden und Baud. Sie hat ihm die Unterstützung im Rahmen des Möglichen angeboten, schreibt das Aussendepartement EDA. Es werde sich zudem bei den zuständigen EU-Behörden erkundigen, welche Rechtsmittel Herrn Baud zur Verfügung stehen, um sich gegen diesen Entscheid zu wehren. Dazu muss man wissen, dass die Botschaft in Brüssel keine konsularische Abteilung hat; diejenige in Amsterdam übernimmt diese Aufgabe für alle Beneluxstaaten.
Klar ist, dass der Bund Schweizer Bürger nicht vorwarnt, wenn sie auf eine Sanktionsliste geraten.
Aktuell klärt der Bund ab, ob Baud Anspruch auf konsularischen Schutz hat. Dieser wird gewährt, wenn Schweizer Staatsbürger im Ausland in eine Notlage geraten. Er kommt aber erst zum Tragen, wenn die Betroffenen alles Zumutbare versucht haben, um die Notlage selber organisatorisch oder finanziell zu überwinden. Zuerst kommt die Eigenverantwortung. Auf die Hilfeleistungen des Bundes besteht kein Rechtsanspruch. Der Bund kann eine Hilfeleistung namentlich dann verweigern oder begrenzen, wenn die Gefahr besteht, dass sie aussenpolitischen Interessen des Bundes nachteilig sein könnte.
Weshalb erhält der Fall viel Aufmerksamkeit?
Einerseits ist es ungewöhnlich, dass Schweizer Privatpersonen von der EU sanktioniert werden. Andererseits sucht Baud gezielt auch die Öffentlichkeit. Für die «Weltwoche» steht der Fall exemplarisch dafür, dass die Meinungsfreiheit in der EU bedroht ist.
Auf der anderen Seite gibt es Personen in der Verwaltung, die gewissen (EU-kritischen) Medien und Journalisten vorwerfen, aus dem Täter ein Opfer zu machen. Baud sei kein Unschuldslamm und die EU wende klare Indikatoren an, wenn sie jemanden auf die Sanktionsliste setze. Der Fall Baud wird in einem grösseren Kontext gesehen: dem Kampf um die neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU. (aargauerzeitung.ch)
