Ein Mann hat 2019 vier vor seiner Wohnungstür stehende Polizeiangehörige rasend mit einem Messer angegriffen und einen von ihnen leicht verletzt. Für die Staatsanwältin hat er mit Tötungsabsicht gehandelt, für den Verteidiger handelte es sich nur um einfache Körperverletzung.
«Ich weiss nicht, was passiert ist», «ich weiss nicht, was in mich gefahren ist», sagte der knapp 42-Jährige am Dienstag, als er vom Kriminalgericht Luzern zur Nacht auf den 17. September 2019 befragt wurde. Er habe mit seiner damaligen Partnerin Sekt getrunken und ein Kind zeugen wollen. Mehr wisse er nicht mehr. An die Polizisten könne er sich nicht erinnern.
Es sei alles anders gekommen, als geplant, sagte der Verteidiger des Beschuldigten. Die Staatsanwältin sprach in ihrem Plädoyer von einem «Vulkanausbruch» und zitierte die Polizeiangehörigen, welche die Raserei des Beschuldigten mit Sätzen wie «er war zu allem bereit» oder «ich habe das so noch nie erlebt» beschrieben haben.
Nach Darstellung der Staatsanwältin erinnerte sich der Beschuldigte in jener Nacht an eine Affäre, die ihm seine Freundin Monate zuvor gestanden hatte und geriet darob in Rage. Er hat sich dann selbst Verletzungen zugefügt, seine Partnerin beschimpft und Gegenstände umhergeworfen. Die Frau konnte die Wohnung verlassen. Nachbarn avisierten die Polizei.
Eine Polizistin und vier Polizisten, ausgerüstet mit Pistole, Pfefferspray, Taser, Schusswesten und einer Schutzmatte, öffneten mit einem Schlüssel die Wohnungstür. Der Tobende griff an und stiess die Klinge eines Fleischmessers auf Augenhöhe durch die Türöffnung, machte eine Stichbewegung und verletzte einen Polizisten, der eine Pistole hielt, am Arm. Die Angegriffenen wichen zurück, setzten drei Mal den Elektroschocker ein und legten den Beschuldigten in Hand- und Fussfesseln.
Für die Staatsanwältin machte sich der Beschuldigte damit der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie der mehrfach versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig. Er habe bewusst ein grosses Messer gewählt und zudem gesagt, er werde «alle aufschlitzen».
Für den Verteidiger ist jedoch nicht bewiesen, dass sein Mandant töten wollte. Die von der Staatsanwältin angeführte Drohung sei nur mangelhaft durch Zeugen bewiesen. Der Beschuldigte habe den Satz gegenüber seinem Hund, aber nicht gegenüber der Polizei gesagt.
Der Verteidiger beantragte eine Verurteilung wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, wegen einfacher sowie mehrfach versuchter einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand. Er forderte eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, wogegen die Staatsanwältin für 2 Jahre plädiert hatte.
Einig waren sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung, dass die Strafe unbedingt ausgesprochen werden müsse, weil der Beschuldigte massnahmebedürftig und rückfallgefährdet sei. Er ist Legastheniker und leidet unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die Strafe soll zu Gunsten einer Therapie aufgeschoben werden. Der Strafvollzug würde die Massnahme beeinträchtigen, sagte die Staatsanwältin.
Ein Rolle gespielt hatte bei der Raserei offenbar der Alkohol, der sich nicht mit den Medikamenten vertrug, die der nach einem Unfall arbeitsunfähige Beschuldigte einnahm. Ihm sei nicht gesagt worden, dass er keinen Alkohol trinken dürfe, sagte er vor Gericht.
Die Staatsanwältin attestierte dem Beschuldigten eine stark verminderte Schuldfähigkeit. Auf eine Landesverweisung des seit 2008 in der Schweiz lebenden Deutschen solle deswegen verzichtet werden. Der Beschuldigte, der früher auch Drogen konsumiert hatte, sagte, würde er nach Berlin zurückkehren, käme es wahrscheinlich wieder zum Absturz.
Der Beschuldigte lebt heute allein und ist zur Zeit nicht arbeitsfähig. Er habe sich miserabel verhalten, sagte er in seinem Schlusswort. Es tue ihm leid, dass er einen Polizisten verletzt habe.
Das Gericht wird sein Urteil zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eröffnen. (aeg/sda)
Braucht es dazu nicht eine richterliche Verfügung?