Samstagnacht an der Langstrasse. Ein 23-jähriger Zürcher torkelt von einem Geburtstagsfest nach Hause. Die Streifenwagen «Limmat 4» und «Limmat 10» fahren vorbei. Gemäss Polizeirapport provoziert der Betrunkene die Patrouillen und streckt ihnen den Mittelfinger entgegen.
Eine Polizistin und drei Polizisten steigen aus, halten ihn an, durchsuchen ihn. Im Rapport notieren sie: «Verbal und körperlich renitentes Verhalten bei einer Personenkontrolle». Der Text dazu ist weniger bürokratisch formuliert.
Als «Schwuchteln», «Scheiss-Bullen» und «Wixxer» habe er die Polizisten beschimpft. «Er fasste sich an seine Genitalien und schrie, dass er uns seinen Penis zeigen werde», heisst es im Protokoll. Er wird abgeführt und in die Ausnüchterungszelle gebracht.
Auf dem Polizeiposten erhält der junge Mann tatsächlich die Gelegenheit, seine Hosen runterzulassen, wenn auch unfreiwillig. Für eine Leibesvisitation muss er sich nackt ausziehen. Der 23-Jährige wundert sich, dass auch die Polizistin dabei zusieht. Doch damit nicht genug. Er glaubt zu hören, wie sie zu ihren Kollegen sagt: «Schaut seinen Intimbereich an, schaut seinen Penis an. Damit kann er doch keine Frau befriedigen.» Der Mann fühlt sich erniedrigt. Die Frau habe ihre Machtposition ausgenützt, sagt er.
Der Spruch der Polizistin trifft einen wunden Punkt des jungen Mannes. Er ist verunsichert und traut sich mehrere Monate nicht mehr, Frauen anzusprechen, wie er sagt. Erst mit der Hilfe einer Psychologin kriegt er die Kurve. Doch damit ist die Sache noch nicht abgeschlossen. Von der Polizei erhält er Post. Die Polizistin und ein Polizist zeigen ihn wegen Beschimpfung an.
Er reagiert auf die gleiche Weise und zeigt die Polizistin wegen Beschimpfung an. Die Staatsanwaltschaft klagt darauf beide Parteien wegen desselben Delikts an. Beide seien zu einer bedingten Geldstrafe von rund 1000 Franken zu verurteilen. Die Staatsanwältin wirft der Polizistin vor, sie habe den 23-Jährigen in seiner Ehre als Mann verletzt. Ihm wirft sie vor, er habe die Ehre der Polizistin verletzt.
Anzeigen wie diese sind im Trend. Im Zeitraum von 2009 bis 2017 haben die Polizeikorps schweizweit einen Anstieg von 75 Prozent registriert. Anfangs gingen 4600 Anschuldigungen wegen Beschimpfung in einem Jahr ein. Mittlerweile sind es 8100. Meistens ist es ein Männerdelikt. Auf drei wegen Beschimpfung beschuldigte Männer kommt eine Frau.
Oft kommt es zu Freisprüchen, weil Aussage gegen Aussage steht. Auch im Fall der Polizistin und des Jünglings könnte die Geschichte so enden. In zwei Wochen entscheidet das Zürcher Bezirksgericht. Für die Justiz ist viel Arbeit entstanden. Mittlerweile ist der Mann 26 Jahre alt.