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Du willst nur das Beste? Voilà:
In Richard Wagners
Oper «Siegfried», Teil 3 seines Monumentalwerks «Der Ring des
Nibelungen», spielt der zum Drachen mutierte Riese Fafner eine
Schlüsselrolle. Er bewacht eine Höhle, in der er einen Goldschatz
und den besagten Ring versteckt hat. Als Göttervater Wotan und der
Nibelung Alberich, die beide scharf auf den Ring sind, ihn vor der
Ankunft des Titelhelden Siegfried warnen, quittiert Fafner dies mit
dem Satz: «Ich lieg' und besitz', lasst mich
schlafen!»
Es ist das typische
Verhalten des Wohlstandsspiessers. Man ignoriert die aufziehende
Gefahr oder hofft, verschont zu bleiben. Seit den Wahlen
vom 18. Oktober und dem Erfolg von SVP und FDP wird man den Eindruck
nicht los, dass ein erheblicher Teil der Schweizerinnen und
Schweizer diesem Reflex frönt. In einer unruhigen und
chaotischen Welt verkriechen sie sich ins vermeintliche Alpenidyll
und hängen ein Schild an die Tür: «Bitte nicht stören!»
Uns geht es gut,
lass uns in Ruhe, du böse Welt! Zur Beruhigung des schlechten
Gewissens spenden wir grosszügig der Glückskette.
Im Fall von Fafner
ging es nicht gut. Siegfried erschlug den Drachen und riss sich das
Gold und den Ring unter den Nagel. Auch mit ihm nahm es kein gutes
Ende, überhaupt endet der Opernzyklus mit dem grossen
Weltenbrand. Die Schweiz wird nicht untergehen. Trotzdem
hat man vor Beginn der neuen Legislaturperiode am Montag nicht den
Eindruck, dass dieses Land wirklich bereit ist, sich den
Herausforderungen der heutigen Welt zu stellen.
Der Eindruck wird
von anderen Medien geteilt. NZZ und «Tages-Anzeiger» veröffentlichten am gleichen Tag je einen kritischen Leitartikel zur
Lage der Nation. NZZ-Chefredaktor Eric Guyer bezeichnete die Schweiz
nach den Wahlen als «Republik der Mutlosen» und zielte dabei auf
die beiden Pole rechts und links. Konkreter wurde Tagi-Edelfeder
Constantin Seibt. Für ihn besteht das Problem mit dem Sieg der Rechten darin, «dass sie – mitten in der Veränderung –
nichts tun, als den Besitz zu verteidigen».
Eine Strategie für
die Zukunft sieht anders aus. Kurz vor den Wahlen habe ich vor «Stürmen» gewarnt, die in den nächsten Jahren über unsere «Insel der Seligen» hereinbrechen könnten. Drei Punkte habe ich
angesprochen: Flüchtlinge, Europa, Frankenstärke. Und bereits
zeichnet sich ab, dass die Wetterlage sich sehr viel schneller
verschlechtert, als uns lieb sein kann.
Die Flüchtlingswelle
auf der Balkanroute hat definitiv unsere Grenzen erreicht. Im Oktober
wurden 4750 Asylgesuche registriert, und in den ersten zwölf Tagen
des November waren es bereits wieder 2121. Daran hat sich
wenig geändert. «Die Zahl der neuen Asylgesuche ist anhaltend
hoch», sagt Martin Reichlin, Sprecher des Staatssekretariats für
Migration (SEM). Damit dürfte sie im November auf 5500 bis 6000
ansteigen. Chaotische Zustände herrschen deswegen nicht: «Alle
Asylsuchenden werden registriert, alle können untergebracht werden»,
sagt Reichlin.
Was aber geschieht,
wenn sich die Flüchtlingszahlen weiter auf diesem Niveau bewegen
oder noch ansteigen? Für die SVP ist der Fall klar: Grenzen dicht
machen und Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten wie Deutschland
konsequent zurückschicken. Sie trifft damit den Nerv vieler Menschen
im Land. Wie beliebt sich die Schweiz damit macht, ist eine andere
Frage.
Die Zukunft des
bilateralen Wegs steht zur Disposition. Die EU lässt keine
Bereitschaft erkennen, der Schweiz bei der Personenfreizügigkeit
entgegen zu kommen. Umgekehrt legt sich Bern bei den Verhandlungen
über ein institutionelles Rahmenabkommen quer. Immer mehr
bürgerliche Politiker scheinen bereit, sich mit dem Status Quo zu begnügen, wenn Brüssel im Streit um die «fremden
Richter» nicht nachgibt. Die Schweiz riskiert damit, die EU
nachhaltig zu verärgern, denn der Rahmenvertrag ist eine Forderung
von deren Seite.
Allerdings nimmt
auch in der Bevölkerung die Akzeptanz der bilateralen Verträge ab,
wie eine Umfrage des Instituts GFS Bern zeigt. Bei der Wirtschaft
schrillen zunehmend die Alarmglocken. An einem Anlass der Zürcher
Handelskammer am Mittwoch kam es zu einem Schlagabtausch zwischen dem
neuen SVP-Nationalrat Hansueli Vogt auf der einen sowie
Economiesuisse-Geschäftsführerin Monika Rühl und Philip Mosimann,
CEO von Bucher Industries, auf der anderen Seite. Mit der Einigkeit
der neuen «rechten Mehrheit» ist es bei diesem Thema nicht weit
her.
Der Unmut der
Wirtschaft über die anhaltende Stärke des Franken – oder die
Schwäche des Euro – nimmt laufend zu. Aus einer gut informierten
Quelle war diese Woche zu vernehmen, dass die Zahl der Schweizer
Firmen, die sich für eine Niederlassung in Deutschland
interessieren, seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die
Nationalbank am 15. Januar stark zugenommen hat. Wirtschaftsführer
und Ökonomen warnen vor einer Deindustrialisierung der Schweiz.
Nationalbank-Präsident
Thomas Jordan aber gibt sich unbeeindruckt. In einem Interview mit der «Handelszeitung» verteidigte er die Aufhebung des Mindestkurses.
Das Direktorium der Nationalbank sei «zu 100 Prozent überzeugt,
dass der Entscheid richtig war». Der Verlust von Arbeitsplätzen
sei sehr bedauerlich. «Doch der Strukturwandel ist für die Schweiz
nichts Neues.» Offen bleibt, wie lange sich Jordan diese
Nonchalance leisten kann.
Wer sich auf das
Hüten seines Besitzstandes zurückzieht, kann mit solchen
Herausforderungen schlecht umgehen. Für Constantin Seibt bekämpfen
sich «zwei völlig entgegengesetzte Leitkulturen»: die
schweizerisch-konservative der reichen Erben und die kalifornische
der Ingenieure. In seinem Text im «Tages-Anzeiger» stimmt Seibt
ein Loblied auf den amerikanischen Erfindergeist an, bei dem manche
seiner linken Fans vermutlich leer geschluckt haben.
Nichts umschreibt
ihn besser als die Begründung von Präsident John F.
Kennedy für das US-Mondflugprogramm: «Wir tun es nicht, weil es
einfach ist, sondern weil es schwierig ist.» In diesem Geist baut
Tesla-Gründer Elon Musk in der Wüste von Nevada das grösste Fabrikgebäude der Welt, um billige Batterien für
Elektroautos herstellen zu können. Während die rechte Mehrheit in
der Schweiz die Energiestrategie 2050, die einen Innovationsschub
auslösen könnte, zu einem Vehikel zur Subventionsverteilung abstufen
dürfte.
In diesem Geist
tüfteln Apple und Google am selbstfahrenden Auto und an der
digitalen Revolution. Während die bürgerlichen «Bewahrer» in
der Schweiz ihr Heil weiterhin in tiefen Steuern sehen, auch wenn
dabei die öffentlichen Dienstleistungen zu Schaden kommen, die ihren
Teil zur Standortattraktivität der Schweiz beitragen. Sowohl Eric
Gujer wie Constantin Seibt, die politisch auf völlig
unterschiedlichen Pfaden wandeln, sind sich bemerkenswert einig: In der Schweiz herrscht «ein Mangel an Ideen,
wohin sich das Land bewegen soll».
Es gibt wenig
Hoffnung, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern will, auch
weil der Souverän in einem durchaus weisen Entscheid den Rechtsrutsch im Nationalrat in der kleinen Kammer relativiert
hat. Dort bleibt die SVP auf ihren fünf Sitzen kleben. Die
politische Arbeit erleichtert dies nicht. Im schlechteren Fall
werden grosse Projekte blockiert. Im besseren kommt die FDP als
wichtiger Player zur Einsicht, dass es der Schweiz
nichts bringt, in satter Selbstzufriedenheit vor der Höhle zu liegen
und den Besitz zu bewachen.
Weil die Schweiz eben nicht "nichts tun, als den Besitz zu verteidigen".
Die Schweiz liegt auf der Lauer, beobachtet und handelt dann, wenn es sein muss.
Sagen sie konkret, Herr Blunschi: Bald findet in GB ein EU-Referendum statt. Ist ein Rahmenabkommen jetzt wirklich richtig, wenn die EU dann ganz anders aussieht?