Schweiz
Konsum - Detailhandel

Schweizer Kartoffeln: Kundschaft würde auch «hässliches» Gemüse kaufen

Härdöpfel Haerdoepfel Kartoffel Kartoffeln Symbolbild schrumplig
Würdest du diese Knolle kaufen?Bild: Von Rasbak / Wikimedia Commons

Schrumpelige und unförmige Kartoffeln bei Coop und Migros: Kundschaft würde sie kaufen

Wegen strenger Qualitätsanforderungen enden Unmengen Schweizer Kartoffeln im Abfall. Forscher von Agroscope zeigen, warum das nicht sein muss.
24.11.2024, 19:1425.11.2024, 12:43
Pascal Michel / ch media
Mehr «Schweiz»

Mehr als die Hälfte der Schweizer Kartoffeln gelangen nie vom Acker auf unsere Teller. Laut einer ETH-Studie werden rund 53 Prozent der konventionellen Speiseknollen entlang der Produktionskette aussortiert. Bei Bio-Exemplaren sind es gar noch mehr. Einen Teil der Ware pflügen die Bauern direkt wieder unter, die unverkaufbaren Härdopfel werden so zu Dünger. Der Rest wird Tieren verfüttert oder landet in der Biogas-Anlage.

Dass ein Grossteil der Schweizer Kartoffeln so endet, liegt an den strengen Qualitätsanforderungen. Denn sie müssen unzähligen Standards genügen. So dürfen Kartoffeln nicht grün oder faul sein. Das könnte für die Konsumenten gefährlich werden. Andere Kartoffeln wären zwar problemlos geniessbar, sind aber von Drahtwürmern zerfressen und sehen unappetitlich aus. Oder die eigentlich essbaren Knollen genügen den strengen Normgrössen und Schönheitsidealen schlicht nicht. Da die Kundschaft perfekte Ware verlange, müsse man solche ins Regal stellen, heisst es seitens des Handels gerne.

Wer mehr weiss, schaut die Knolle anders an

Tatsächlich hat die Kundschaft im Detailhandel aber ein grösseres Herz für schrumpelige oder unförmige Knollen als gedacht. Das zeigen Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in einer neuen Studie.

Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, wie man Konsumenten dazu bringen könnte, auch untypische Kartoffeln in den Einkaufskorb zu legen. Sie zeigten rund 500 Personen in einer Online-Umfrage jeweils das Bild eines perfekten festkochenden Härdöpfels – und eines weniger schönen mit Schorf. Welcher der beiden kommt besser an? Im ersten Direktvergleich war es klar die normschöne Knolle. In einem Supermarkt würden 71 Prozent der Befragten zu diesem Produkt greifen, nur 29 Prozent wählen die Alternative.

Allerdings steigt die Attraktivität der Kartoffel mit Schorf deutlich, wenn die Konsumenten zusätzliche Informationen erhalten. Sobald die Befragten darüber aufgeklärt wurden, dass diese Kartoffel zwar nicht den ästhetischen Standards entspricht, aber problemlos geniessbar ist und durch den Kauf Foodwaste verhindert wird, stieg die Akzeptanz auf 46 Prozent.

Kartoffeln Agroscope
Bild: Agroscope

Der Verkauf von unschönen Kartoffeln berge ein «riesiges Potenzial», um Verluste einzudämmen, folgern die Forscher aus den Resultaten. Dazu müssten die Händler nicht einmal den Preis für die zweitklassige Ware herabsetzen, sondern lediglich besser informieren. Sie sollten stufenweise deformiertes Gemüse in die Regale stellen und Konsumenten damit vertraut machen, heisst es in der Studie. Zudem brauche es «Informationskampagnen, die über die Geniessbarkeit dieser Produkte aufklären».

Krumme Rüebli und violetter Knoblauch

Machen die Händler genug, um die Kundschaft von nicht perfekten Lebensmitteln zu überzeugen? Die Migros jedenfalls sieht keinen Anlass für zusätzliche Informationskampagnen. Sie weist darauf hin, dass der Verband der Gemüseproduzenten letztes Jahr seine Normen angepasst hat. Seither «seien vereinzelt auch Produkte mit geringen Schönheitsmakeln erhältlich». Auch in der M-Budget-Linie verkaufe man seit jeher unförmige Ware. So seien im Jahr 2022 4000 Tonnen Karotten und Kartoffeln zweiter Klasse verkauft worden.

Auch Coop betont sein Engagement im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Der Händler verkauft unter dem Label Ünique krumme Rüebli oder Bioknoblauch mit violetten oder braunen Verfärbungen. Mit der Linie habe man letztes Jahr 2725 Tonnen Früchte und Gemüse gerettet, schreibt Coop auf Anfrage.

Die Agroscope-Studie kommt zum Schluss, dass der Absatz mit gezielter Information am Regal noch gesteigert werden könnte. Eine Kommunikationsoffensive am Regal ist für Coop im Moment aber kein Thema, weil man «die Kundinnen und Kunden bereits auf verschiedenen Wegen für das Thema Foodwaste sensibilisiert». Als Beispiel nennt der Händler Produkte, die bald ablaufen und mit dem Sticker «Verwenden statt verschwenden» gekennzeichnet werden.

Würdest du Gemüse mit Schönheitsfehlern in deinen Einkaufswagen legen?

Somit bleiben die Resultate der Agroscope-Forscher theoretisch. Bestimmt hätten es die Wissenschaftler gerne gesehen, wenn Coop oder Migros es in der Praxis wiederholt hätten. Denn wie oft bei sozialwissenschaftlichen Studien besteht die Gefahr, dass die Befragten nicht ihre tatsächlichen Absichten preisgeben, sondern die sozial erwünschte Antwort abliefern. Das heisst: Sie wissen, dass Foodwaste problematisch ist. Deshalb geben sie in der Umfrage an, dass sie durchaus eine Kartoffel kaufen würden, wenn diese sonst weggeworfen würde. Wenn dieselben Konsumenten dann aber im Laden stehen, handeln sie möglicherweise doch ganz anders – und greifen wieder zur perfekten Kartoffel.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Kartoffel-Bilder (für den Picdump)
1 / 16
Kartoffel-Bilder (für den Picdump)
.Geniessen wir ein paar Bilder von der allseits beliebten Kartoffel.
Alle Bilder: Shutterstock
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Baroni macht Kartoffelstock aus Chips
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
53 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Ehringer
24.11.2024 20:55registriert Februar 2015
Wenn möglich kaufe ich im Coop immer die Ünique Karotten, Peperoni oder Kartoffeln. Die sind absolut brauchbar, billiger und erst noch gut für die Umwelt. Also es soll mir bitte kein Grossverteiler sagen, dieses Gemüse würde nicht gekauft werden.
664
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tom Garret
24.11.2024 21:17registriert Juli 2014
Hatten wir ja schon einmal, der Coop hat das doch versucht und nach kurzer Zeit wieder eingestellt, weil es halt trotzdem nicht gekauft wurde. Mein Vorschlag:

1. Hört einfach auf in den 1Kg Verpackungen nur Gerade Rüebli zu verpacken. Dann hat man ja gar keine andere Möglichkeit...

2. Nutzt Kartoffel welche so aussehen wie oben und macht was anderes daraus. Kartoffelstock, Rösti usw...
525
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gen X
24.11.2024 20:47registriert August 2023
Ständig diese faule Ausrede der Detailhändler, es handle sich um ein Kundenbedürfnis, wenn ihre Verkaufstaktik kritisiert wird. Schon beim Verkauf von Erdbeeren und Co. im Winter wurde das ständig behauptet. Dass die Detailhändler dieses Bedürfnis erst durch den erstmaligen Verkauf geweckt haben, wird tunlichst verschwiegen.

Und nein, egal was die Migros sagt, sie macht zu wenig, um Gemüse zu verkaufen, das nicht der Norm entspricht. Bei Coop gibt es wenigstens die "Unique"-Fächer mit solchem Gemüse. Das auch erfolgreich verkauft wird.
5210
Melden
Zum Kommentar
53
    Die besten Länder für berufstätige Frauen – Spoiler: Die Schweiz gehört nicht dazu
    Südkorea, Japan und Türkei – nur in diesen OECD-Ländern sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch schlechter gestellt als in der Schweiz. Die besten Bedingungen haben Frauen, die in Schweden, Norwegen, Island oder Finnland arbeiten. Das sind die Gründe.

    Jedes Jahr veröffentlicht das britische Wirtschaftsmagazin «The Economist» anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März den sogenannten Glass-Ceiling-Index. Dieser vergleicht die Arbeitsbedingungen für Frauen in 29 der 38 OECD-Länder anhand der folgenden 10 Kennzahlen:

    Zur Story