Mehr als die Hälfte der Schweizer Kartoffeln gelangen nie vom Acker auf unsere Teller. Laut einer ETH-Studie werden rund 53 Prozent der konventionellen Speiseknollen entlang der Produktionskette aussortiert. Bei Bio-Exemplaren sind es gar noch mehr. Einen Teil der Ware pflügen die Bauern direkt wieder unter, die unverkaufbaren Härdopfel werden so zu Dünger. Der Rest wird Tieren verfüttert oder landet in der Biogas-Anlage.
Dass ein Grossteil der Schweizer Kartoffeln so endet, liegt an den strengen Qualitätsanforderungen. Denn sie müssen unzähligen Standards genügen. So dürfen Kartoffeln nicht grün oder faul sein. Das könnte für die Konsumenten gefährlich werden. Andere Kartoffeln wären zwar problemlos geniessbar, sind aber von Drahtwürmern zerfressen und sehen unappetitlich aus. Oder die eigentlich essbaren Knollen genügen den strengen Normgrössen und Schönheitsidealen schlicht nicht. Da die Kundschaft perfekte Ware verlange, müsse man solche ins Regal stellen, heisst es seitens des Handels gerne.
Tatsächlich hat die Kundschaft im Detailhandel aber ein grösseres Herz für schrumpelige oder unförmige Knollen als gedacht. Das zeigen Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in einer neuen Studie.
Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, wie man Konsumenten dazu bringen könnte, auch untypische Kartoffeln in den Einkaufskorb zu legen. Sie zeigten rund 500 Personen in einer Online-Umfrage jeweils das Bild eines perfekten festkochenden Härdöpfels – und eines weniger schönen mit Schorf. Welcher der beiden kommt besser an? Im ersten Direktvergleich war es klar die normschöne Knolle. In einem Supermarkt würden 71 Prozent der Befragten zu diesem Produkt greifen, nur 29 Prozent wählen die Alternative.
Allerdings steigt die Attraktivität der Kartoffel mit Schorf deutlich, wenn die Konsumenten zusätzliche Informationen erhalten. Sobald die Befragten darüber aufgeklärt wurden, dass diese Kartoffel zwar nicht den ästhetischen Standards entspricht, aber problemlos geniessbar ist und durch den Kauf Foodwaste verhindert wird, stieg die Akzeptanz auf 46 Prozent.
Der Verkauf von unschönen Kartoffeln berge ein «riesiges Potenzial», um Verluste einzudämmen, folgern die Forscher aus den Resultaten. Dazu müssten die Händler nicht einmal den Preis für die zweitklassige Ware herabsetzen, sondern lediglich besser informieren. Sie sollten stufenweise deformiertes Gemüse in die Regale stellen und Konsumenten damit vertraut machen, heisst es in der Studie. Zudem brauche es «Informationskampagnen, die über die Geniessbarkeit dieser Produkte aufklären».
Machen die Händler genug, um die Kundschaft von nicht perfekten Lebensmitteln zu überzeugen? Die Migros jedenfalls sieht keinen Anlass für zusätzliche Informationskampagnen. Sie weist darauf hin, dass der Verband der Gemüseproduzenten letztes Jahr seine Normen angepasst hat. Seither «seien vereinzelt auch Produkte mit geringen Schönheitsmakeln erhältlich». Auch in der M-Budget-Linie verkaufe man seit jeher unförmige Ware. So seien im Jahr 2022 4000 Tonnen Karotten und Kartoffeln zweiter Klasse verkauft worden.
Auch Coop betont sein Engagement im Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung. Der Händler verkauft unter dem Label Ünique krumme Rüebli oder Bioknoblauch mit violetten oder braunen Verfärbungen. Mit der Linie habe man letztes Jahr 2725 Tonnen Früchte und Gemüse gerettet, schreibt Coop auf Anfrage.
Die Agroscope-Studie kommt zum Schluss, dass der Absatz mit gezielter Information am Regal noch gesteigert werden könnte. Eine Kommunikationsoffensive am Regal ist für Coop im Moment aber kein Thema, weil man «die Kundinnen und Kunden bereits auf verschiedenen Wegen für das Thema Foodwaste sensibilisiert». Als Beispiel nennt der Händler Produkte, die bald ablaufen und mit dem Sticker «Verwenden statt verschwenden» gekennzeichnet werden.
Somit bleiben die Resultate der Agroscope-Forscher theoretisch. Bestimmt hätten es die Wissenschaftler gerne gesehen, wenn Coop oder Migros es in der Praxis wiederholt hätten. Denn wie oft bei sozialwissenschaftlichen Studien besteht die Gefahr, dass die Befragten nicht ihre tatsächlichen Absichten preisgeben, sondern die sozial erwünschte Antwort abliefern. Das heisst: Sie wissen, dass Foodwaste problematisch ist. Deshalb geben sie in der Umfrage an, dass sie durchaus eine Kartoffel kaufen würden, wenn diese sonst weggeworfen würde. Wenn dieselben Konsumenten dann aber im Laden stehen, handeln sie möglicherweise doch ganz anders – und greifen wieder zur perfekten Kartoffel.
1. Hört einfach auf in den 1Kg Verpackungen nur Gerade Rüebli zu verpacken. Dann hat man ja gar keine andere Möglichkeit...
2. Nutzt Kartoffel welche so aussehen wie oben und macht was anderes daraus. Kartoffelstock, Rösti usw...
Und nein, egal was die Migros sagt, sie macht zu wenig, um Gemüse zu verkaufen, das nicht der Norm entspricht. Bei Coop gibt es wenigstens die "Unique"-Fächer mit solchem Gemüse. Das auch erfolgreich verkauft wird.