Plastikmüll ist ein Problem, und das Problem verschärft sich laufend. Kunststoffe, die in die Umwelt gelangen, bauen sich nur sehr langsam ab – wenn überhaupt. Sie zerfallen zu Mikroplastik, das sich in Böden, Seen und Flüssen sowie in unserer Nahrung anreichert. Selbst in der Atmosphäre schwebt Mikroplastik und verteilt sich durch Regentropfen oder Schneeflocken auf dem Erdboden.
Müllvermeidung ist daher angesagt. Aber auch jedes Verfahren, das diesen zählebigen Müll wieder aus der Umwelt entfernen kann, ist willkommen. Schon länger gibt es etwa den Ansatz, Kunststoffe mithilfe von Mikroorganismen abzubauen, das heisst, die Polymere mit Enzymen in Einzelteile, Monomere, zu zersetzen. Aus diesen Monomeren liessen sich dann neue Kunststoffe herstellen. Solche Mikroorganismen sind bekannt, auch durch Schweizer Forschung, aber sie wurden typischerweise bei mehr als 30 °C getestet.
Nun hat ein Forschungsteam der Northwestern University im US-Staat Illinois die Mechanismen enthüllt, durch die eine bestimmte Gruppe von Bakterien Plastik abbaut und sich davon ernährt. Diese als Comamonadacae bekannten Bakterien gedeihen auf Kunststoffen, die in städtischen Gewässern und Abwassersystemen vorkommen, doch bisher war nicht klar, wie genau diese Mikroorganismen Plastik «fressen». In seiner Studie, die in der Zeitschrift «Environmental Science & Technology» veröffentlicht wurde, beschreibt das Forschungsteam laut Hauptautorin Ludmilla Aristilde zum ersten Mal systematisch, wie das Abwasserbakterium Comamonas testosteroni plastisches Material aufnehmen, abbauen, zerlegen und als Kohlenstoffquelle nutzen kann.
Es handelt sich um einen dreistufigen Vorgang: Im ersten Schritt zerlegen die Bakterien das Plastik in kleine Stücke, die als Nanoplastik bezeichnet werden. Danach scheiden sie ein spezialisiertes Enzym aus, ein Protein, das als eine Art biologischer Katalysator fungiert und dieses Nanoplastik weiter zu Ringen aus Kohlenstoffatomen abbaut. Und zuletzt nutzen die Bakterien diese Kohlenstoffringe als Nahrungsquelle. Diese kleinen Komponenten stellen eine Quelle für bioverfügbaren Kohlenstoff dar, den die Bakterien für ihr eigenes Wachstum und ihre Entwicklung nutzen können.
«Es ist erstaunlich, dass dieses Bakterium diesen gesamten Prozess durchführen kann, und wir haben ein Schlüsselenzym identifiziert, das für den Abbau der Plastikmaterialien verantwortlich ist», wird die Umwelt-Ingenieurin Aristilde in einer Mitteilung der Northwestern University zitiert. Die neue Studie fusst auf früheren Forschungen von Aristilde zu den Mechanismen, die es Comamonas testosteroni ermöglichen, einfache Kohlenhydrate – die aus dem Abbau von Pflanzen und Plastik entstehen – zu metabolisieren.
C. testosteroni gedeiht auf Polyethylenterephthalat (PET), einer Art von Plastik, die häufig für Lebensmittelverpackungen und Getränkeflaschen verwendet wird. PET ist bekannt für seine Widerstandsfähigkeit gegen Abbau, was es zu einem bedeutenden Faktor der Plastikverschmutzung macht. Laut Aristilde macht PET-Plastik etwa 12 Prozent des gesamten globalen Plastikverbrauchs aus und ist für bis zu 50 Prozent des Mikroplastiks verantwortlich, das in Abwässern gefunden wird. Aristilde betont daher die grosse Bedeutung, die die Erforschung dieser Bakterien für das Verständnis und die Lösung des Plastikmüll-Problems hat.
Um die Wechselwirkung von C. testosteroni mit Plastik besser zu verstehen, wandten Aristilde und ihr Team verschiedene theoretische und experimentelle Ansätze an. Zunächst züchteten sie Bakterien auf PET-Folien und -Pellets und beobachteten die Veränderungen auf der Oberfläche des Plastikmaterials. Überdies analysierten sie das Wasser um die Bakterien und suchten nach Belegen für abgebautes Plastik in Nano-Grössen. Und schliesslich untersuchten die Wissenschaftler auch das Innere der Bakterien, um die Werkzeuge zu identifizieren, die diese zum Abbau von PET verwenden. So untersuchten sie alle Enzyme innerhalb einer Zelle und konnten dadurch das spezifische Enzym identifizieren, das aktiviert wird, wenn das Bakterium mit PET-Plastik in Berührung kommt.
Dass es tatsächlich dieses Enzym ist, das die PET-Polymere in Monomere zerlegt, zeigte sich in einem weiteren Experiment: In Zusammenarbeit mit dem Oak Ridge National Laboratory in Tennessee entwickelten die Forscher Bakterienstämme, die nicht in der Lage sind, das betreffende Enzym zu exprimieren. Die Fähigkeit dieser Bakterien, Plastik abzubauen, war erheblich vermindert.
Abwässer stellten ein grosses Reservoir für Mikroplastik und Nanoplastik dar, erklärt Aristilde. Viele Menschen glaubten, diese Partikel würden in ihrem Endzustand in die Reinigungssysteme gelangen, doch Forschungsergebnisse zeigten, dass Nanoplastik auch während des Vorgangs der Abwasserreinigung durch die Aktivität der Bakterien entstehen kann. Die Bakterien produzieren in Kläranlagen also Nanoplastik aus Kunststoffen, sind aber nicht in der Lage, die gesamte erzeugte Menge zu «fressen», wie Aristilde betont. Ein Teil wird aus der Kläranlage in den Vorfluter abgegeben und landet letztlich in Seen oder im Meer. Dieses Problem müsste als Nächstes gelöst werden, unterstreicht die Umwelt-Ingenieurin.