Schaut man sich die nackten Zahlen an, gibt es über die Krankenkassen-Prämien vor allem eines zu sagen: Sie steigen und steigen. Vergleicht man sie mit der Entwicklung der Löhne, des Bruttoinlandprodukts oder der Bevölkerungsentwicklung, so muss fast schon von einer Kostenexplosion gesprochen werden. Darunter leiden vor allem die Ärmsten.
Dieses Problem ist der Politik seit Jahren bekannt. Im Wechselspiel zwischen Lobbyismus, Komplexität des Gesundheitswesens und der Trägheit der schweizerischen Politik kam es aber bislang nicht zu der einen Lösung, die sich spürbar auf die Prämien der obligatorischen Krankenversicherungen auswirkten. Auch der Weg übers Volk mittels Initiativen scheiterte bislang: Die Einheitskasse-Initiative der SP überzeugte vor acht Jahren nicht einmal 40 Prozent der Bevölkerung – obwohl die Krankenkassen-Prämien jedes Jahr zu den grössten Sorgen der Menschen zählen.
Dennoch wollen zwei Parteien den Weg über den Volksentscheid nochmals wagen: Die SP und die Mitte-Partei sammelten im Wahljahr 2019 Unterschriften für je eine eigene Initiative, mit der die Bevölkerung entlastet werden soll. In den kommenden Tagen werden National- und Ständerat über beide Vorschläge diskutieren. Zur Urne kommen sie frühestens nächstes Jahr, realistisch gesehen jedoch erst 2024.
Den Anfang nimmt heute Dienstag die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei. Sie will die Krankenkassen-Prämien auf zwei Wegen in den Griff kriegen:
Wie diese Punkte aber konkret umgesetzt werden sollen, schreibt der Initiativtext nicht vor. Die Details müssten Parlament und Bundesrat, aber auch die Krankenkassen zusammen mit den Kantonen nach einem allfälligen «Ja» durch Volk und Stände ausjassen.
Damit dies nicht in einem ewigen und ergebnislosen Feilschen endet, gibt's vom Initiativtext zusätzlichen Druck auf alle Player: Steigen die Prämien auch zwei Jahre nach der Annahme explosionsartig an, so erzwingen Bund und Kantone selbstständig Massnahmen.
Der Bundesrat lehnt die Kostenbremse-Initiative ab und möchte ihn mit einem indirekten Gegenvorschlag bekämpfen: Er fordert auch eine «Kostenbremse», die Details sind aber bereits definiert: Jeder Kanton soll dies selbstständig tun. In einzelnen Bereichen wie Medikamente oder Laboranalysen soll der Bund solche «Kostenziele» diktieren.
Dieser Gegenvorschlag kommt bislang nicht gut an: Die Gesundheitspolitikerinnen und -politiker des Nationalrats haben in der Vorarbeit den Bundesratsvorschlag bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Grundlegende Bestandteile des Gegenvorschlags sollen gar ganz gestrichen werden, so die Anträge für die Debatte, die ab heute geführt wird.
Für die Initiative bedeutet das nichts Gutes: Sie droht zum parlamentarischen Papiertiger zu werden, weil der Gegenvorschlag ewig zwischen National- und Ständerat herumgereicht wird. Die Parlamentarier sind sich dessen bewusst: Sie wollen sich bis November 2023 Zeit nehmen, um über beide Vorschläge zu diskutieren. Zur Volksabstimmung dürfte es im schlimmsten Fall erst 2024 kommen, womit spürbare Prämiensenkungen erst 2027 folgen dürften.
Eine zweite Initiative kommt von der SP: Sie stürzt sich nach den beiden Niederlagen zur Einheitskasse (2007 und 2014) auf die Prämienverbilligungen: Ihre Prämien-Entlastungs-Initiative will vorschreiben, dass die Krankenkassen-Prämien höchstens zehn Prozent des Einkommens auffressen dürfen. Alles darüber soll von der Prämienverbilligung übernommen werden.
Die Kosten für diese Lösung ist erheblich, was auch mit einer Neuregelung zu tun hat: Der Bund müsste bei einem Volks-«Ja» zwei Drittel der Prämienverbilligungen übernehmen, die Kantone den Rest. Diese Aufteilung würde das aktuelle System radikal ändern: Es herrscht ein Flickenteppich mit grossen Unterschieden. So zahlt in Genf der Kanton ⅔, in Appenzell-Innerrhoden nur gerade mal ⅛ der Kosten für die Prämienverbilligung. Der vorgeschlagene Systemwechsel dürfte Bund und Kantone jährlich zwischen 3.2 bis 5 Milliarden Franken kosten.
Bestritten werden die Grössenordnungen durch die SP nicht – sie argumentiert jedoch, dass ein Zehn-Prozent-Kostendeckel für die Krankenkassen-Prämien einen positiven Rattenschwanz nach sich ziehen könnte: Für Bund und Kantone würde es attraktiver werden, etwas gegen die steigenden Gesundheitskosten zu tun – schliesslich müssten sie dann auch weniger Prämienverbilligungen bezahlen. Die Initiative würde zudem jene Kantone zurückpfeifen, die in den vergangenen Jahren erhebliche Sparpakete bei den Prämienverbilligungen beschlossen haben.
Dem Bundesrat passt auch die Lösung der SP nicht. Seine Kernkritik: Die Initiative kümmere sich nicht um die Kosten. Er schlägt auch hier einen indirekten Gegenvorschlag vor, wobei sich auch dieser auf die Prämienverbilligungen konzentriert: Der Bund soll neu Kriterien aufstellen dürfen, wie die Prämienverbilligungen in den einzelnen Kantonen umgesetzt werden sollen.
Der Ansatz richtet sich – wie die Initiative – gegen die Sparpakete einzelner Kantone, die schweizweit zu grossen Unterschieden geführt haben. Die Prämienverbilligungspolitik der Kantone soll sich neu am Steuereinkommen der ärmsten 40 Prozent orientieren, die Mindestsätze soll zudem neu der Bund berechnen dürfen. So soll verhindert werden, dass kantonale Sparpakete weitere Ungleichheiten schaffen.
Anders als bei der Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei, kommt dieser Gegenvorschlag bei der Gesundheitskommission des Nationalrats gut an – zumindest so gut, dass es für Prämienzahlende am Ende gut herauskommen könnte: Sie will den Gegenvorschlag so ausbauen, dass mehr Menschen unterstützt werden können. Die Debatte darüber beginnt in rund zwei Wochen.
Prämienverbilligungen sind super, öffnet ganz neue Geldtöpfe für Politiker