Irgendwie ist es lustig, ja fast ein bisschen ironisch: Ein Frauengesicht drückt gegen 60 Bildschirme am reizüberfluteten New Yorker Times Square. Als wäre sie gefangen in einem digitalen Kerker, rüttelt die Frau an den unsichtbaren Grenzen der Bildfläche.
Es ist das Gesicht der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist, das diesen Januar jeden Tag geschlagene «three minutes of fame» an der geschäftigsten Kreuzung New Yorks erhält.
Um 23.57 Uhr beginnt es. Die grossen Billboard-Anzeigen wechseln ihren Inhalt von Konsumlust zu Sehnsucht. Wo sonst scheinbar perfekte Models gezeigt werden, pressen sich Nase, Hände und Mund der Künstlerin gegen die überdimensionalen Glasscheiben. Die Schminke verschmiert, im Innern der Betrachter entsteht ein beklemmendes Gefühl.
Rist selbst behauptet, dass die Person, die sie selber darstellt, jeden einzelnen Bildschirm durchbrechen und auf den Times Square hinausspringen wolle. «Sie will aus ihrer Haut herausspringen und mit der Welt verschmelzen», kommentiert die Schweizerin ihr Werk gegenüber dem Kunstmagazin «monopol».
Das Videospektakel wird im Rahmen von «Midnight Moment», einer Kollaboration von Werbern und Künstlern, gezeigt. Rist hat dafür neun einminütige Clips aus «Open my Glade» recycelt, die bereits vor 17 Jahren am Times Square gezeigt wurde. Jedoch lediglich auf einem einzelnen Bildschirm.
Die irritierenden Grimassen und das verschmierte Make-Up sind genau so gleich geblieben wie die ursprüngliche Message des Kunstwerks: Die Erwartungen an Frauen in den Medien sind einseitig und eng. Der Druck, dem sie ausgesetzt sind, ist zwar unsichtbar, aber kaum zu überwinden.
Zur Installation im Manhattaner Stadtzentrum läuft parallel die Ausstellung «Pixel Forrest» im New Yorker «New Museum». Sie erstreckt sich über drei Stockwerke und zeigt Videoskulpturen aus Pipilotti Rists 30-jährigem Kunstschaffen. In ihrer Anordnung und der hypnotisierenden Wirkung ist sie nicht nur eine Retrospektive, sondern eine Gesamtkunstwerk für sich. (jin)