Swiss prüft mehr Flüge für billige Flight Attendants aus Indien – trotz zu viel Personal
«Beschämend», «inakzeptabel», «klassisches Lohndumping» – so bezeichnete die Swiss-Kabinenpersonalgewerkschaft Kapers die Auslagerung von Flügen an die Air Baltic. Der Grund: Der Lohn der lettischen Flight Attendants beträgt laut Kapers nur 1050 Euro. Beim Start dieser Kooperation im Jahr 2022 verdienten Swiss-Kabinenangestellte derweil 3400 Franken, heute beträgt der Basis-Einstiegslohn etwas mehr als 3800 Franken. Sprich: Die sogenannten Wet-Lease-Flüge mit Air Baltic haben deutlich tiefere Personalkosten als Swiss-Flüge in Eigenregie.
Aus der eigentlich als temporär angedachten Auslagerung ist ein Standard geworden. An manchen Tagen wird sogar praktisch die Hälfte aller Kurzstreckenflüge laut Kapers von Air Baltic sowie von den anderen Wet-Lease-Partner-Airlines Edelweiss und Helvetic durchgeführt. Trotz aller Kritik hat die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion kürzlich mit einem kontroversen Entscheid die Auslagerung an die lettische Airline juristisch abgenickt (CH Media berichtete). Die Kapers hat Berufung dagegen eingereicht.
Doch gemäss eines Swiss-Insiders gibt es noch krassere Fälle bei der Lufthansa-Tochter: «Die Swiss setzt zunehmend Crews ein, die in Indien, Thailand und China stationiert sind.» Diese Crews würden im Gegensatz zum Air-Baltic-Personal sogar Swiss-Uniformen tragen und auf immer mehr Strecken ausserhalb ihrer lokalen Basis im Heimatland fliegen. «Sie haben keinen Gesamtarbeitsvertrag und verdienen unter 1000 Franken im Monat, das ist für mich viel schlimmeres Lohndumping.»
Crews in Indien, Thailand, China und Japan
Tatsächlich zählt die Swiss insgesamt rund 230 sogenannte «International Cabin Crew Members». Dabei handelt es sich um Kabinen-Angestellte, die für die Swiss-Crew-Stützpunkte in Tokio, Bangkok, Mumbai, Delhi, Schanghai und Peking rekrutiert wurden. Deutsch müssen sie nicht beherrschen. Früher wurden sie «Foreign Flight Attendants» genannt.
Pro Basis zählt die Swiss 45 bis 50 Angestellte, wie die Airline zuletzt gegenüber CH Media bestätigte. Einzig die japanischen Flight Attendants haben einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Der Rest erhält einen lokalen Vertrag.
Erstmals nennt die Airline auf Anfrage konkrete Zahlen zum Salär der indischen Crew-Mitglieder. Diese würden je nach Dienstgrad zwischen 65'000 und 106'000 Rupien verdienen, sagt Michael Stief. Gemäss aktuellem Wechselkurs sind das zwischen 583 und 952 Franken – im Monat. Der Sprecher betont: «Damit liegt ihre Vergütung im Branchenvergleich in Indien über dem Durchschnitt.»
Hilfe bei der Kommunikation mit Passagieren
Die Airline rechtfertigt deren Einsatz mit kulturellen und sprachlichen Barrieren auf den jeweiligen Flügen von und nach Indien, Thailand, China oder Japan. Zudem weist Stief darauf hin, dass die Möglichkeit, Kabinenpersonal im Ausland anzustellen, im GAV mit der Kapers klar geregelt und kontingentiert sei.
Allerdings wurde ihr Einsatz in den vergangenen Jahren stetig ausgeweitet. Ursprünglich gab es auf solchen Routen zwei Crew-Mitglieder pro Flug. Heute sind es auf Flügen nach Dubai und Johannesburg laut Insidern bis zu zwei, und auf Indien-Flügen drei bis vier. Und nun könnte die Swiss laut CH-Media-Informationen noch einen Schritt weiter gehen. Wie mehrere Quellen bestätigen, prüft die Lufthansa-Tochter, ob sie die indischen Flight Attendants schon bald auch auf Flügen nach Montreal einsetzen kann.
Details will die Swiss dazu nicht verraten. Sprecher Stief sagt nur: «Wir prüfen fortlaufend verschiedene Möglichkeiten, um unsere Cabin Crew Member bestmöglich einzusetzen. Eine endgültige Entscheidung steht derzeit noch aus.» Pikant in Bezug auf den erweiterten Einsatz der ausländischen Crews ist, dass die Swiss intern davon spricht, derzeit über 400 Flight Attendants zu viel zu haben.
Lufthansa will noch mehr auslagern
Der mögliche Schritt würde auf jeden Fall zur Tendenz im Lufthansa-Konzern passen. Am Kapitalmarkttag vom Montag, an dem der Abbau von 4000 Stellen kommuniziert wurde, wurde auch die Stossrichtung bekräftigt, Jobs in andere Flugbetriebe mit tieferen Lohnkosten zu verlagern. So soll 2030 rund die Hälfte der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge von Flugbetrieben ausserhalb des Lufthansa-Kerns geflogen werden.
Kapers-Präsidentin Sandrine Nikolic-Fuss verweist auf die historischen Gründe für die ausländischen Crew-Basen. Diese seien Anfang der 90er-Jahre noch zu Swissair-Zeiten aufgebaut worden.
«Damals hat das auch Sinn gemacht», sagt Nikolic-Fuss, die selbst als Flight Attendant für die Swiss unterwegs ist, und früher auch für die Swissair arbeitete. Zu jener Zeit habe es weder die Personenfreizügigkeit gegeben, noch die heute praktizierte Form von grenzüberschreitenden Wet-Lease-Verträge, und viel weniger Passagiere hätten Englisch gesprochen. «Da half es, wenn Flight Attendants aus der Heimat an Bord waren, um die Kommunikation zu erleichtern.»
Gleiche Arbeit – viel tieferer Lohn
Auch praktische Argumente spielten damals eine Rolle: Je nach Land war es aus arbeitsrechtlichen oder politischen Gründen nötig, lokale Mitarbeitende einzustellen, um neue Routen überhaupt eröffnen zu können.
Doch in den letzten Jahren habe die Swiss diese Personaloption schleichend überstrapaziert: «Natürlich hat es auch auf Montreal-Flügen indische Passagiere, aber das ist bei anderen Routen nicht anders, und sicherlich nicht derart viele, dass eine Notwendigkeit bestehen würde, auch indische Flight Attendants an Bord haben zu müssen», sagt Nikolic-Fuss. Finanzielle Aspekte würden beim Swiss-Management eine Rolle spielen, wenn es um den Einsatz von ausländischen Crew-Mitgliedern gehe. «Denn sie sind für die Airline deutlich günstiger. Sie leisten dieselbe Arbeit, erhalten aber wesentlich tiefere Löhne.»
Nun reagiert die Gewerkschaft. Über 70 Prozent der indischen Flight Attendants seien inzwischen bei der Kapers Mitglied, sagt Nikolic-Fuss. «Wir werden Ende Jahr das Gespräch mit der Swiss-Führung suchen, um bessere Anstellungsbedingungen für unsere indischen Kolleginnen und Kollegen auszuhandeln.» Wie viel mehr Lohn sie erhalten sollen oder ob sogar ein GAV wie für die japanische Crew verlangt wird, verrät sie nicht. «Wir sind an der Ausarbeitung unserer Strategie.»
«Es geht in die falsche Richtung»
Es gehe aber nicht nur um den Lohn. «Heute sind die ausländischen Flight Attendants viel zu wenig geschützt», sagt Nikolic-Fuss. So hätten im vergangenen Jahr viele chinesische Swiss-Crew-Angestellte in Peking eine Änderungskündigung erhalten, weil die Airline seit längerem nur noch Schanghai anfliegt. «Ihr neuer Einsatzort war nun plötzlich Schanghai, rund vier Stunden entfernt von ihrem Zuhause und ihren Familien.»
Airline-Sprecher Stief bestätigt, dass den 18 in Peking stationierten Crew-Mitgliedern angeboten wurde, nach Schanghai zu wechseln. 15 Angestellte hätten dies getan, beim Umzug habe die Swiss sie aktiv unterstützt. Zu möglichen Verbesserungen für die ausländische Crew, wie von der Kapers gefordert, sagt Stief, die Arbeitsbedingungen aller Mitarbeitenden würden regelmässig geprüft und bei Bedarf angepasst. «So haben wir etwa kürzlich auch Sprachzulagen für unsere Mitarbeitenden an den ausländischen Basen eingeführt.»
Nikolic-Fuss macht sich Sorgen: «Es geht leider zurzeit in die falsche Richtung.» Das liege auch, wenn auch nicht nur, an der wachsenden Einflussnahme des Mutterkonzerns Lufthansa: «Frankfurt will bei ihren Kernmarken, auch der Swiss, zunehmend die Kosten drücken und gleichzeitig Flüge mit günstigeren Airlines wie Lufthansa Cityline, Discover oder eben Air Baltic betreiben.»
Tatsächlich brach die Lufthansa-Gewerkschaft Ufo vor wenigen Tagen Verhandlungen mit dem Mutterhaus ab – und äusserte in einer Mitteilung scharfe Kritik. Das Management habe Fehler begangen. «Nun sollen die Beschäftigten mit dramatisch härteren Bedingungen die Versäumnisse der Führung refinanzieren.» Statt intelligenter Verbesserungen hätten sich die Vorstellungen der Lufthansa auf Produktivitätssteigerungen in Höhe von über 20 Prozent beschränkt. «Das hätte letztlich nichts anderes bedeutet als die totale Aufgabe sozialer Standards.» (aargauerzeitung.ch)
