Silvia Huber* ist seit Jahrzehnten halbprivat versichert, zahlt fleissig alle drei Monate 1634.70 Franken an die Krankenkassenprämien, wovon 280 Franken an die Zusatzversicherung Spital halbprivat gehen.
Huber hat jede Prämienerhöhung der vergangenen Jahre geschluckt. Doch im Moment, da sie erstmals einen Eingriff im Spital vornehmen muss, streikt die Krankenkasse: Sie weigert sich, die Kosten einer Operation zu zahlen. Was ist passiert?
Bis in diesem Mai war die 67-Jährige noch nie selbst im Spital. Erst als im Alter wieder Blutungen im Unterleib auftreten, empfiehlt ihr langjähriger Gynäkologe Christian Alder, die Gebärmutter zu entfernen. Er operiert die Frau Anfang Mai zusammen mit einer anderen Gynäkologin in der Hirslanden Klinik in Aarau, wo er als Belegarzt arbeitet.
Alder ist auch nach der Operation präsent, besucht seine Patientin abends im Spital, begleitet ihre Genesung eng. Silvia Huber schätzt den Service. «Genau darum zahle ich seit Jahren eine Zusatzversicherung: Damit ich gut betreut bin und den Arzt auswählen kann, wenn ich operiert werden muss.» Huber kann nach ein paar Tagen das Spital wieder verlassen. So weit, so gut.
Erst als etwa ein Monat später ein Brief eintrifft, stutzt sie. Darin steht nämlich, sie habe die falsche Krankenkasse. Konkret: Die Helsana begleiche die Rechnung für die Operation nicht. «Zuerst dachte ich, die zahlen nichts – und ich bleibe auf der Rechnung sitzen», sagt Huber. Erst beim zweiten Lesen habe sie verstanden, dass ihr Arzt in dem Brief die Zahlungsverweigerung ihrer Krankenkasse transparent machen wollte.
Für Huber hat die Weigerung keine finanziellen Folgen. Es fliesst überhaupt kein Geld: Denn weder Arzt noch Spital können eine Rechnung stellen, weil ein Vertrag mit der Helsana fehlt. Silvia Huber will das nicht auf sich sitzen lassen. Sie geht der Sache nach und erfährt, dass Aargauer Ärzte für die Behandlung von Helsana-Zusatzversicherten seit Januar kein Honorar mehr erhalten. «Sie arbeiten gratis», hat Huber erfahren.
Und das stört die 67-Jährige, die jahrelang in die Zusatzversicherung einzahlte – ohne nun den Gegenwert zu erhalten. Sie schreibt der Krankenkasse einen Brief, in dem sie die Arbeit der behandelnden Ärzte lobt und eine Stellungnahme zur befremdlichen Verhandlungspolitik verlangt.
Auslöser dieser unrühmlichen Situation ist eine Kontrolle der Finanzmarktaufsicht (Finma) 2019. Sie untersuchte die Rechnungen der Krankenzusatzversicherung und stellte fest, dass für die Behandlung von privat und halbprivat versicherten Patienten teilweise Fantasiepreise verlangt wurden. Die Finma forderte mehr Transparenz über zusätzliche Leistungen und eine Begründung für die höheren Kosten der Privatversicherten.
Die meisten Spitäler und Belegärztinnen in der Schweiz haben unterdessen neue Verträge, die diese Forderungen erfüllen. Nur im Aargau steht eine Lösung zwischen der Helsana und den Belegärzten aus. Letztere sind freischaffende Spezialisten wie Gynäkologinnen, Urologen oder Orthopädinnen, die einen Vertrag mit einem Spital haben, um dort ihre Patienten zu operieren.
Laut Christian Alder, Vorstandsmitglied im Aargauer Verband der Belegärzte, dreht sich der Streit um die Vergütung – und um die Frage, was die Behandlung durch den Wunscharzt kostet. «Die Krankenkassen nutzen die Finma-Weisung, um die Preise zu drücken.» Das sei verständlich. Doch die Helsana gehe zu weit, sagt Alder. «Sie sitzt am längeren Hebel und lässt die Ärztinnen und Ärzte ausbluten.» Wegen fehlender Verträge können Ärztinnen und Ärzte ihre Arbeit nicht in Rechnung stellen.
Im Kern dreht sich der Streit um die Frage, ob die Aargauer Belegärzte so viel schlechter arbeiten als ihre Zürcher Kollegen. Mit Letzteren hat sich die Helsana nämlich geeinigt. Für die Aargauer will sie 30 Prozent weniger Honorar.
Als Silvia Huber erfährt, wieso die Krankenkasse die Zahlung verweigert, wird sie wütend. «Ich bin ewig versichert, zahle immer pünktlich. Und nie musste die Krankenkasse etwas für mich zahlen – und jetzt das?» Es sei für sie weder politisch noch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar, wieso Ärzte im Aargau für die gleiche Arbeit so viel weniger verdienen sollen als jene in Zürich. Huber sagt: «Eine Begründung liegt bisher keine vor.»
Mindestens so kritisch ist die Frage, ob das Vorgehen der Krankenkasse rechtens ist. Sie hat nämlich im Wissen um einen fehlenden Vertrag die Kostengutsprache durchgewinkt, woraufhin die Operation stattfand.
Die Patienten wissen davon nichts, wie Christian Alder sagt. Er spricht darum von «Betrug», weil die Helsana über die Versicherung ein Produkt verspricht, das sie nicht zahlen will. Die Folgen spüren aber die Ärzte und Versicherten. Alder sagt: «Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Es drängten alle darauf, die diskriminierenden Verträge zu unterschreiben.» Wie es ausgeht, ist aktuell ungewiss.
Offenbar sind die Verhandlungen gescheitert. Die Helsana schreibt auf Anfrage, dass ab dem 4. August ein vertragsloser Zustand herrsche und keine Kostengutsprachen mehr erteilt werden. Dann besteht immerhin Klarheit, dass mit den Belegärzten im Aargau keine Einigung erzielt werden konnte. Dass die Rechnungen nicht bezahlt werden, sei hingegen «nicht der Fall», erklärt die Helsana. Sie hätten «sich aufgrund der Verhandlungssituation lediglich verzögert». Die Krankenkasse verspricht, dass die Rechnungen nach «erfolgter Rechnungsprüfung» bezahlt werden. Die Ärzteschaft weiss davon allerdings nichts.
Silvia Huber ist enttäuscht. «Eigentlich könnte es mir egal sein, ich habe bis jetzt keine Kosten gehabt.» Es gehe ihr um Fairness – und darum, dass ihr Arzt eine Entschädigung für seine Leistung erhält. Enttäuschend sei für sie als treue Kundin aber auch: dass eine Antwort seitens der Helsana bis heute ausgeblieben sei.
* Der Name ist der Redaktion bekannt.
Wäre sicher lustig, wenn die das intern offen legen.
Dies soll aber nicht zu Lasten der PatientInnen gehen und eine klare Kommunikation vor Konsultationen muss gewährleistet sein.