Es harzt, wie so oft bei Innovationen im Schweizer Politbetrieb, beim Föderalismus. Das elektronische Patientendossier ist dabei keine Ausnahme. Das eigentliche Ziel des sogenannten EPD ist simpel: Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsfachpersonen sollen digital auf alle nötigen Informationen zugreifen können: welches Medikament die behandelnde Ärztin verschrieben hat, an welchen Allergien der Patient leidet oder welche Impfungen bereits verabreicht worden sind.
Mittlerweile gibt es in den Kantonen zehn Anbieter von solchen Patientendossiers, die ihre Lösungen alle unterschiedlich vorantreiben. Die Finanzkontrolle bezweifelte im Februar 2020, dass dieser Wildwuchs zu effizienten Ergebnissen führt. «Die föderalistische Struktur des Gesundheitswesens und die verschiedenen involvierten Akteure erschweren die Einführung des elektronischen Patientendossiers.» Sie bemängelte weiter, dass eine übergeordnete Stelle fehle und die «langfristige Zielerreichung» gar in Frage gestellt sei.
Doch es harzt nicht nur wegen des kantonalen Flickenteppichs. Seit 2010 schrauben Bundesrat und Parlament an den gesetzlichen Grundlagen herum. Vor fünf Jahren trat dann das entsprechende Gesetz in Kraft. Offensichtlich taugt dieses aber «für eine erfolgreiche Einführung und Verbreitung» der digitalen Lösung nicht, wie der Bundesrat selbst kürzlich feststellte.
Alain Bersets Innendepartement arbeitet deshalb derzeit eine Gesetzesrevision aus. Dabei soll der Bund «weitreichende Regelungskompetenzen» erhalten, die Weiterentwicklungskosten übernehmen sowie neben Ärzten auch allen ambulant tätigen Gesundheitsfachpersonen die Nutzung des EPD vorgeschrieben werden. Auch die Kopplung mit der noch nicht verfügbaren staatlichen E-ID ist ein Thema.
Der Bund greift aber noch weiter ein, damit das EPD nicht zu einem weiteren digitalen Rohrkrepierer wird – zumindest kommunikationstechnisch: Noch bevor die Eckpunkte der Gesetzesrevision überhaupt abgesteckt sind, nimmt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sechs Millionen Franken in die Hand, um das elektronische Patientendossier in der Bevölkerung bekannt zu machen.
Die entsprechende Ausschreibung in der Beschaffungsplattform des Bundes trägt den Titel «Sensibilisierungskampagne elektronisches Patientendossier (EPD)» und darf maximal 6.05 Millionen Franken kosten. Interessenten konnten sich bis Anfang Juli bewerben. 5.1 Millionen Franken sind für die Planung und die Umsetzung einer nationalen Kampagne angedacht, hinzu kommen 950'000 Franken für die «Kommunikationsunterstützung» der Geschäftsstelle E-Health Suisse. Das Budget deckt den Zeitraum von drei Jahren ab.
«Das EPD ist in der Bevölkerung noch weitestgehend unbekannt», sagt Adrian Kammer, Leiter Sektion Gesundheitsinformation und Kampagnen im BAG. Zuerst solle die Bevölkerung erfahren, dass es überhaupt ein elektronisches Patientendossier gebe.
Die fünf Millionen Franken bezeichnet Kammer als «Mindestbudget für eine breitenwirksame Bevölkerungskampagne». Ziel sei es, den Nutzen der digitalen Lösung aufzuzeigen und Vertrauen zu schaffen. Nächstes Jahr sei geplant, ein sogenanntes Impfmodul einzuführen – der Nachfolger der wegen erheblicher Datenschutzmängel gescheiterten Plattform Meineimpfungen.ch.
Kammer sagt:
«Das elektronische Patientendossier als schweizweite und gesicherte Plattform für Gesundheitsinformationen bietet die notwendigen Rahmenbedingungen.» Ziel sei, dass die Impfdaten aus Meineimpfungen.ch – sofern eine Aushändigung erfolgt – ins EPD integriert werden können.
Die Aufklärungsarbeit dürfte diesbezüglich tatsächlich gefragt sein. Nach dem Debakel um Meineimpfungen.ch ist das Vertrauen in die Digitalkompetenz des Bundes stark angekratzt.
Ein solches Desaster werde sich nicht wiederholen, verspricht das BAG. Anders als bei Meineimpfungen.ch sei es im EPD nicht möglich, dass sich beliebige Nutzer als Gesundheitsfachpersonen ausgeben können. «Es können nur Gesundheitsfach- und Hilfspersonen auf die Daten zugreifen, welche vom Herausgeber von Identifikationsmitteln identifiziert sind und sich als solche ausweisen. Und dies auch nur, wenn die Patientin oder der Patient vorgängig den Zugriff autorisiert hat», sagt Kammer.
An diesen Plänen gibt es wiederum Kritik. «Glaubt jemand im Ernst, dass das BAG das schaffen wird?», höhnte Felix Huber, Präsident der Medix Ärztenetze, auf der Plattform Medinside. Er bezweifelt, dass die rechtlichen und finanziellen Hürden des elektronischen Patientendossiers innert nützlicher Frist zu meistern sind. Jetzt würden nicht eingehaltene Versprechen durch neue, noch schönere Versprechungen ersetzt.
Er plädiert deshalb für eine private Lösung, die an der Schnittstelle der bereits vorhandenen Daten andockt, wie sie kürzlich eine Machbarkeitsstudie der Berner Fachhochschule skizziert hat. Dahinter stehen der Ärzteverband FMH, der Apothekerverband Pharmasuisse, HCI Solutions, Interpharma und die Genossenschaft Midata. Dieses Projekt könne dann der Bund finanzieren, findet Huber. (aargauerzeitung.ch)