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Medizin

Bundesamt für Gesundheit plant für neues digitales Impfbüchlein

Bundesamt für Gesundheit plant Millionenkampagne für neues digitales Impfbüchlein

Kaum jemand kennt es. Und doch soll es 2023 die gescheiterte Plattform Meineimpfungen.ch integrieren: das elektronische Patientendossier. Mit sechs Millionen Franken will der Bund dessen Popularität steigern.
16.07.2022, 21:39
Pascal Michel / ch media
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Es harzt, wie so oft bei Innovationen im Schweizer Politbetrieb, beim Föderalismus. Das elektronische Patientendossier ist dabei keine Ausnahme. Das eigentliche Ziel des sogenannten EPD ist simpel: Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsfachpersonen sollen digital auf alle nötigen Informationen zugreifen können: welches Medikament die behandelnde Ärztin verschrieben hat, an welchen Allergien der Patient leidet oder welche Impfungen bereits verabreicht worden sind.

Ergänzt um eine Corona-Version: Das herkömmliche Impfbüchlein.
Bald Geschichte? Analoges Impfbüchlein.Bild: keystone

Mittlerweile gibt es in den Kantonen zehn Anbieter von solchen Patientendossiers, die ihre Lösungen alle unterschiedlich vorantreiben. Die Finanzkontrolle bezweifelte im Februar 2020, dass dieser Wildwuchs zu effizienten Ergebnissen führt. «Die föderalistische Struktur des Gesundheitswesens und die verschiedenen involvierten Akteure erschweren die Einführung des elektronischen Patientendossiers.» Sie bemängelte weiter, dass eine übergeordnete Stelle fehle und die «langfristige Zielerreichung» gar in Frage gestellt sei.

Doch es harzt nicht nur wegen des kantonalen Flickenteppichs. Seit 2010 schrauben Bundesrat und Parlament an den gesetzlichen Grundlagen herum. Vor fünf Jahren trat dann das entsprechende Gesetz in Kraft. Offensichtlich taugt dieses aber «für eine erfolgreiche Einführung und Verbreitung» der digitalen Lösung nicht, wie der Bundesrat selbst kürzlich feststellte.

Grosse Kampagne soll es richten

Alain Bersets Innendepartement arbeitet deshalb derzeit eine Gesetzesrevision aus. Dabei soll der Bund «weitreichende Regelungskompetenzen» erhalten, die Weiterentwicklungskosten übernehmen sowie neben Ärzten auch allen ambulant tätigen Gesundheitsfachpersonen die Nutzung des EPD vorgeschrieben werden. Auch die Kopplung mit der noch nicht verfügbaren staatlichen E-ID ist ein Thema.

Der Bund greift aber noch weiter ein, damit das EPD nicht zu einem weiteren digitalen Rohrkrepierer wird – zumindest kommunikationstechnisch: Noch bevor die Eckpunkte der Gesetzesrevision überhaupt abgesteckt sind, nimmt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sechs Millionen Franken in die Hand, um das elektronische Patientendossier in der Bevölkerung bekannt zu machen.

Die entsprechende Ausschreibung in der Beschaffungsplattform des Bundes trägt den Titel «Sensibilisierungskampagne elektronisches Patientendossier (EPD)» und darf maximal 6.05 Millionen Franken kosten. Interessenten konnten sich bis Anfang Juli bewerben. 5.1 Millionen Franken sind für die Planung und die Umsetzung einer nationalen Kampagne angedacht, hinzu kommen 950'000 Franken für die «Kommunikationsunterstützung» der Geschäftsstelle E-Health Suisse. Das Budget deckt den Zeitraum von drei Jahren ab.

Sicherheit sei gewährleistet

«Das EPD ist in der Bevölkerung noch weitestgehend unbekannt», sagt Adrian Kammer, Leiter Sektion Gesundheitsinformation und Kampagnen im BAG. Zuerst solle die Bevölkerung erfahren, dass es überhaupt ein elektronisches Patientendossier gebe.

Die fünf Millionen Franken bezeichnet Kammer als «Mindestbudget für eine breitenwirksame Bevölkerungskampagne». Ziel sei es, den Nutzen der digitalen Lösung aufzuzeigen und Vertrauen zu schaffen. Nächstes Jahr sei geplant, ein sogenanntes Impfmodul einzuführen – der Nachfolger der wegen erheblicher Datenschutzmängel gescheiterten Plattform Meineimpfungen.ch.

Kammer sagt:

«Mit dem Impfmodul im elektronischen Patientendossier soll in der Schweiz wieder ein nationaler digitaler Impfausweis zur Verfügung stehen.»

«Das elektronische Patientendossier als schweizweite und gesicherte Plattform für Gesundheitsinformationen bietet die notwendigen Rahmenbedingungen.» Ziel sei, dass die Impfdaten aus Meineimpfungen.ch – sofern eine Aushändigung erfolgt – ins EPD integriert werden können.

Die Aufklärungsarbeit dürfte diesbezüglich tatsächlich gefragt sein. Nach dem Debakel um Meineimpfungen.ch ist das Vertrauen in die Digitalkompetenz des Bundes stark angekratzt.

Ein solches Desaster werde sich nicht wiederholen, verspricht das BAG. Anders als bei Meineimpfungen.ch sei es im EPD nicht möglich, dass sich beliebige Nutzer als Gesundheitsfachpersonen ausgeben können. «Es können nur Gesundheitsfach- und Hilfspersonen auf die Daten zugreifen, welche vom Herausgeber von Identifikationsmitteln identifiziert sind und sich als solche ausweisen. Und dies auch nur, wenn die Patientin oder der Patient vorgängig den Zugriff autorisiert hat», sagt Kammer.

Können es private Anbieter besser?

An diesen Plänen gibt es wiederum Kritik. «Glaubt jemand im Ernst, dass das BAG das schaffen wird?», höhnte Felix Huber, Präsident der Medix Ärztenetze, auf der Plattform Medinside. Er bezweifelt, dass die rechtlichen und finanziellen Hürden des elektronischen Patientendossiers innert nützlicher Frist zu meistern sind. Jetzt würden nicht eingehaltene Versprechen durch neue, noch schönere Versprechungen ersetzt.

Er plädiert deshalb für eine private Lösung, die an der Schnittstelle der bereits vorhandenen Daten andockt, wie sie kürzlich eine Machbarkeitsstudie der Berner Fachhochschule skizziert hat. Dahinter stehen der Ärzteverband FMH, der Apothekerverband Pharmasuisse, HCI Solutions, Interpharma und die Genossenschaft Midata. Dieses Projekt könne dann der Bund finanzieren, findet Huber. (aargauerzeitung.ch)

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54 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Töfflifahrer
16.07.2022 22:54registriert August 2015
Der letzte Teil gefällt besonders, der Medix Präsi will verschiedene private Lösungen durch den Bund finanziert haben. Da wollen sich wohl einige noch schnell gesund stossen.
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Miimiip! aka Roadrunn_er
16.07.2022 23:13registriert Juli 2018
Auch wenn beim Bund IT- und Organisationstechnisch noch Luft nach oben besteht, vertraue ich doch eher auf eine Bundeslösung anstelle dass wieder private beauftragt werden. Man sah es bei meineimpfung welches ja eine private Organisation war. Ebenso traue ich der Meinung von Huber nicht, der eine private Lösung bevorzugt. Da sehe ich schon die ganze Lobbyisten der privaten Anbieter auf die Entscheidungsträger losstürmen. Ein gutes Beispiel sieht man ja auch mit der Privatisierung der PTT zur Swisscom und was uns das alles kostet und immer wieder massive Probleme hat.
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Siciliano
16.07.2022 22:17registriert Juni 2017
Warum müssen zig EPD entwickelt werden? Die Nordländer zeigen uns in jeder Hinsicht wie man ein Gesundheitsystem erfolgreich führt. Warum immer das Rad neu erfinden wollen? Ganz einfach, weil sich viele daran gesundstossen.
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