Die Botschaft ist Jahr für Jahr dieselbe: Die Generika sind in der Schweiz viel zu teuer. 46,5 Prozent weniger kosten die Nachahmerprodukte durchschnittlich in den Nachbarländern gemäss dem neusten Auslandpreisvergleich des Krankenkassenverbands Santésuisse und der Pharmaorganisation Interpharma.
Entsprechend gross schätzt Santésuisse das Sparpotenzial ein. Würden die Generikapreise auf das europäische Niveau gesenkt, liessen sich jährlich 380 Millionen Franken einsparen – «sofort und ohne Qualitätsverlust». Eine Aussage, die beim Schweizer Pharmahersteller Streuli überhaupt nicht gut ankommt.
Bei den eigenen Generikapräparaten, aber auch bei vielen anderen günstigen Medikamenten sei die Realität eine andere, sagt André Vecellio, der das Familienunternehmen zusammen mit seiner Frau Claudia Streuli in fünfter Generation führt. «Wir fragen uns vielmehr, wie wir mit den heutigen Preisen überhaupt noch kostendeckend produzieren können.» Der Strom, die Wirkstoffe, der Karton, die Glasfläschchen – all das hat sich als Folge des Krieges in der Ukraine massiv verteuert.
Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen kann die Pharmafirma die höheren Produktionskosten nicht weitergeben. Denn die Preise für Medikamente, welche die obligatorische Krankenversicherung vergütet, legt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) fest. In den vergangenen Jahren verfügte das BAG bei über 50 Prozent aller kassenpflichtigen Präparate einen Preisabschlag.
Streuli erwirtschaftet mit 200 Mitarbeitenden rund 50 Millionen Franken pro Jahr. 80 Prozent der 94 angebotenen Medikamente produziert das Familienunternehmen in der Fabrik im st.gallischen Uznach, darunter verschiedene Schmerzmittel, Vitamine und Antiallergika. Zu den bekanntesten Präparaten gehören die Schmerzmittel Acetalgin und Mefenacid sowie die Vitamin-D-Tropfen. Rund 3.7 Millionen Arzneimittelpackungen lieferte Streuli im vergangenen Jahr aus. Bei den allermeisten lag der Fabrikabgabepreis unter 25 Franken.
In einem Geschäft, dessen Margen sich oft im Rappen- oder einstelligen Frankenbereich bewegen, wirken sich höhere Energie- und Einkaufskosten unmittelbar auf die Profitabilität aus. Dagegen fallen diese Ausgaben bei Herstellern neuer, patentgeschützter und vor allem teurerer Medikamente viel weniger ins Gewicht. Streuli-Co-Geschäftsleiter Vecellio sagt, bei den günstigsten Medikamenten werde die Marge durch die höheren Kosten oft vollständig aufgezehrt.
Ein Beispiel ist Morphin, ein starkes Schmerzmittel, das nach grösseren Operationen verabreicht wird. Eine 1-Milliliter-Injektionsampulle kostet derzeit ab Werk 53 Rappen. Die massiv höheren Energiekosten belasten die Produktion der flüssigen, sterilen Schmerzmittel besonders stark. Pro Ampulle würden die Kosten um mindestens 27 Rappen steigen, sagt Vecellio.
Der Pharmahersteller will deshalb demnächst ein Preiserhöhungsgesuch für die Morphin-Ampullen beim BAG einreichen. Bereits 2020 hatte Streuli einen höheren Preis beantragt. Dieses erste Gesuch wurde nun erst kürzlich bewilligt – «nach über zwei Jahren Bearbeitungszeit», wie Vecellio betont. Mittlerweile habe sich die Kostensituation schon wieder stark verändert.
Das BAG hält auf Anfrage fest, es gewähre einen höheren Preis in Ausnahmefällen, wenn die Versorgung sichergestellt werden müsse. Von 2020 bis 2022 seien rund 10 Gesuche pro Jahr eingegangen; zwei Drittel davon habe das BAG bewilligt. Wenn es Therapiealternativen gebe, sei eine Preiserhöhung jedoch ausgeschlossen.
Bei den Morphin-Ampullen gibt es neben Streuli noch zwei weitere Anbieter: das zur Galenica-Gruppe gehörende Unternehmen Bichsel in Interlaken BE und die Firma Amino in Gebenstorf AG. Letzterer hatte das Heilmittelinstitut Swissmedic Ende 2022 wegen verschiedener Mängel in der Produktion die Betriebsbewilligung entzogen. Zwar darf die Firma mittlerweile wieder Medikamente in Tablettenform herstellen. Die Produktion von sterilen Ampullen ist ihr jedoch weiterhin untersagt, weshalb die Versorgung mit Morphin noch immer knapp ist.
Auch deshalb erhofft sich André Vecellio, dass sein Preiserhöhungsgesuch nun vom BAG bewilligt wird. Dennoch sei dies letztlich nur «ein Tropfen auf den heissen Stein». Momentan stehen Preisentscheide zu zwei weiteren Medikamenten von Streuli aus.
Der Pharmahersteller hat gleichzeitig bereits entschieden, den Verkauf einiger Präparate einzustellen. Betroffen sind vor allem jene Medikamente mit besonders tiefem Umsatz und geringem Marktvolumen. «Wir haben die Mehrkosten jetzt und können nicht noch länger warten», sagt Vecellio.
Ein Medikament, das im Verlauf des Jahres aus dem Markt genommen wird, ist der Cholesterinsenker Atorvastatin. Ein Generikum. Bisher hatte Streuli die Tabletten bei einem ausländischen Zulieferer bezogen. Der Vertrieb des Medikamentes habe sich schon länger nicht mehr gerechnet, sagt Vecellio. Der Grund: In der Schweiz müssen Pharmaunternehmen bei Generika alle vom Originalpräparatehersteller angebotenen Dosierungen und Packungsgrössen anbieten. Wer also kopiert, muss alles kopieren – auch wenn es dafür gar keinen Markt gibt.
Bei Atorvastatin wurden von den 10-Milligramm-Tabletten wie auch den Kleinpackungen weniger als 30 Stück pro Jahr verkauft, wie aus der Medikamentendatenbank des Krankenkassenverbands Curafutura hervorgeht. Die Mindesteinkaufmengen brachte Streuli deshalb bei weitem nicht los. «Wir haben jetzt schon jedes Jahr Medikamente im Wert von gut 150'000 Franken vernichtet», sagt Vecellio. Nun habe der Zulieferer die Mindestbestellmengen nochmals erhöht. Damit sei der Verkauf der Atorvastatin-Tabletten endgültig ein Verlustgeschäft.
Die Forderung von Streuli und anderen Firmen aus der Interessensgesellschaft Pharma KMU, zumindest vorübergehend auf Preissenkungen zu verzichten, fand beim BAG bislang kein Gehör. Zwar diskutiert das Parlament eine Gesetzesänderung, mit der günstige Medikamente von der regulären Preisüberprüfung ausgenommen werden könnten. Ob und wann dies passiert, ist ungewiss. «Als kleiner Hersteller sehen wir im Generikageschäft keine erfolgsversprechende Zukunft mehr», sagt Vecellio.
Wurde das früher nicht Planwirtschaft genannt?
Mir fehlt das Verständnis für solche Regeln.
Ist ja logisch, dass das bei günstigen Anbietern irgendwann zu Problemen führt. Müsste doch reichen, wenn nur die üblicherweise verkauften Dosierungen in grossen Packungen angeboten werden. So schaffen es auch Aldi, Lidl, M-Budget etc. günstigere Produkte anzubieten.
Oder was für einen Grund hat diese Vorschrift?