Die Empörung über den Fall Windisch verbreitete sich im Frühjahr 2023 wie ein Lauffeuer in der Schweiz. «49 Mieter müssen Wohnungen wegen Asylunterkunft verlassen», titelte etwa die Newsplattform «20 Minuten» am 27. Februar 2023.
Die Schlagzeilen schlugen hohe Wellen: Plötzlich war die Asylunterkunft in Windisch schweizweit das Aufregerthema Nummer 1. Doch schnell zeigte sich: Alles war etwas anders, als es schien.
Nicht der Kanton Aargau hatte den Mietenden für die Asylunterkunft gekündigt. Sondern die Kündigung kam von der Eigentümerin der Liegenschaft, der privaten Immobilienfirma 1drittel Aleph AG, welche dort einen Ersatzneubau erstellen wollte.
Diese stellte ein paar Tage nach den ersten Schlagzeilen klar: Die Verträge mit den Mietenden seien nicht zwecks Vermietung an Flüchtlinge aufgelöst worden. Die Kündigungen seien nur ausgesprochen worden, «da die bestehende Liegenschaft ihren baulichen Lebenszyklus erreicht hat». Die Asylunterkunft war lediglich als Zwischennutzung geplant.
Doch zu diesem Zeitpunkt war die Meinung im Land bereits gemacht. Das Narrativ: Mietende werden für Asylsuchende aus ihren Wohnungen geworfen.
In dieser aufgeheizten Stimmung doppelte das Newsportal «20 Minuten» mit zwei Artikeln nach, die lauteten: «Wegen Zuwanderung: Wohnungskrise spitzt sich zu – Windisch war erst der Vorgeschmack». Oder: «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht».
In den Beiträgen hiess es unter anderem: «Der Fall löste diese Woche grosse Empörung aus. Für eine geplante Asylunterkunft müssen 49 Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen.» Das Newsportal schrieb das, obwohl man zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass die Kündigungen nicht wegen der Asylunterkunft ausgesprochen wurden, sondern wegen eines geplanten Ersatzneubaus.
Empört über die Berichterstattung von «20 Minuten» zeigte sich damals die Parteileitung der SP Schweiz. Sie reichte beim Presserat eine Beschwerde ein. Die Begründung: «‹20 Minuten› verbreite ungeprüfte SVP-Propaganda.» Das Newsportal wies die Vorwürfe damals zurück. Chefredaktorin Désirée Pomper schrieb in einem Beitrag, die «SP verunglimpft 20 Minuten in einer Social-Media-Kampagne».
Nun, über 1,5 Jahre nach den Vorfällen, hat der Presserat die Beschwerde des Co-Präsidiums der SP Schweiz gegen «20 Minuten» teilweise gutgeheissen.
Entkräftet wurde vom Presserat zwar der Vorwurf, dass «20 Minuten» mit ihrem ersten Artikel zum Thema – «49 Mieter müssen Wohnung wegen Asylunterkunft verlassen» – journalistische Richtlinien verletzt hatte. Begründet wurde dies damit, dass der Text den «damaligen Wissensstand» wiedergebe.
Dafür wurde die Beschwerde gutgeheissen für die beiden Artikel «Wegen Zuwanderung: Wohnungskrise spitzt sich zu – Windisch war erst der Vorgeschmack». Sowie: «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht».
Laut dem Presserat würden in beiden Beiträgen Sätze vorkommen, die verkürzt waren. «Zu diesem Zeitpunkt wusste man mehr über die Hintergründe. ‹20 Minuten› hatte ja vorher selber darüber berichtet, dass es bei der Asylunterkunft um eine Zwischennutzung ging», schreibt der Presserat in der Stellungnahme.
Schliesslich kam der Presserat zum Schluss, dass die «Information in den beiden Artikeln ungenügend war». Bemängelt wurde auch, dass die Zeitung keine Richtigstellung veröffentlichte. Deshalb hiess der Presserat die Beschwerde der Co-Leitung der SP Schweiz gut, dass «20 Minuten» in den erwähnten Beiträgen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt hatte.
Bei der SP zeigt man sich über die teilweise gutgeheissene Beschwerde zufrieden. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth erklärt gegenüber watson:
Anders sieht dies «20 Minuten». Die Medienstelle schrieb auf Anfrage von watson:
Wenn du aber heute durch den Aargau gehst und zehn beliebige Personen fragst wie das damals war mit den Mietern in Windisch werden mindestens fünf absolut davon überzeugt sein, dass damals brave Mieter von „den Linken“ rausgeworfen wurden um Platz für Asylbewerber zu schaffen.
Ziemlich schmutzig einfach von der Eigentümerin, die so auf einfachste Art und Weise noch das letzte Goldtalerchen aus der Hütte rauspressen kann.