Schweiz
Migration

Fall Windisch: Presserat rügt «20 Minuten» für Berichterstattung

Hier nahm die Kontroverse ihren Anfang: In Windisch müssen Mieter drei Häuser verlassen. Ihre Gebäude werden dereinst abgerissen - aber zuvor noch als Asylunterkunft genutzt.
Hier nahm die Kontroverse ihren Anfang: in Windisch.Bild: Andrea Zahler

Asyldrama in Windisch: Presserat rügt «20 Minuten» für Berichterstattung

Der Fall Windisch sorgte im Frühling 2023 für Aufsehen. Die SP Schweiz warf der Pendlerzeitung «20 Minuten» damals vor, «ungeprüfte SVP-Propaganda» verbreitet zu haben. Nun hat der Presserat die Beschwerde der Partei teilweise gutgeheissen.
27.09.2024, 15:1027.09.2024, 16:12
Mehr «Schweiz»

Die Empörung über den Fall Windisch verbreitete sich im Frühjahr 2023 wie ein Lauffeuer in der Schweiz. «49 Mieter müssen Wohnungen wegen Asylunterkunft verlassen», titelte etwa die Newsplattform «20 Minuten» am 27. Februar 2023.

Die Schlagzeilen schlugen hohe Wellen: Plötzlich war die Asylunterkunft in Windisch schweizweit das Aufregerthema Nummer 1. Doch schnell zeigte sich: Alles war etwas anders, als es schien.

Nicht der Kanton Aargau hatte den Mietenden für die Asylunterkunft gekündigt. Sondern die Kündigung kam von der Eigentümerin der Liegenschaft, der privaten Immobilienfirma 1drittel Aleph AG, welche dort einen Ersatzneubau erstellen wollte.

Diese stellte ein paar Tage nach den ersten Schlagzeilen klar: Die Verträge mit den Mietenden seien nicht zwecks Vermietung an Flüchtlinge aufgelöst worden. Die Kündigungen seien nur ausgesprochen worden, «da die bestehende Liegenschaft ihren baulichen Lebenszyklus erreicht hat». Die Asylunterkunft war lediglich als Zwischennutzung geplant.

Doch zu diesem Zeitpunkt war die Meinung im Land bereits gemacht. Das Narrativ: Mietende werden für Asylsuchende aus ihren Wohnungen geworfen.

Presserat heisst Beschwerde gut

In dieser aufgeheizten Stimmung doppelte das Newsportal «20 Minuten» mit zwei Artikeln nach, die lauteten: «Wegen Zuwanderung: Wohnungskrise spitzt sich zu – Windisch war erst der Vorgeschmack». Oder: «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht».

In den Beiträgen hiess es unter anderem: «Der Fall löste diese Woche grosse Empörung aus. Für eine geplante Asylunterkunft müssen 49 Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen.» Das Newsportal schrieb das, obwohl man zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass die Kündigungen nicht wegen der Asylunterkunft ausgesprochen wurden, sondern wegen eines geplanten Ersatzneubaus.

Empört über die Berichterstattung von «20 Minuten» zeigte sich damals die Parteileitung der SP Schweiz. Sie reichte beim Presserat eine Beschwerde ein. Die Begründung: «‹20 Minuten› verbreite ungeprüfte SVP-Propaganda.» Das Newsportal wies die Vorwürfe damals zurück. Chefredaktorin Désirée Pomper schrieb in einem Beitrag, die «SP verunglimpft 20 Minuten in einer Social-Media-Kampagne».

Nun, über 1,5 Jahre nach den Vorfällen, hat der Presserat die Beschwerde des Co-Präsidiums der SP Schweiz gegen «20 Minuten» teilweise gutgeheissen.

«Information war ungenügend»

Entkräftet wurde vom Presserat zwar der Vorwurf, dass «20 Minuten» mit ihrem ersten Artikel zum Thema – «49 Mieter müssen Wohnung wegen Asylunterkunft verlassen» – journalistische Richtlinien verletzt hatte. Begründet wurde dies damit, dass der Text den «damaligen Wissensstand» wiedergebe.

Dafür wurde die Beschwerde gutgeheissen für die beiden Artikel «Wegen Zuwanderung: Wohnungskrise spitzt sich zu – Windisch war erst der Vorgeschmack». Sowie: «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht».

Laut dem Presserat würden in beiden Beiträgen Sätze vorkommen, die verkürzt waren. «Zu diesem Zeitpunkt wusste man mehr über die Hintergründe. ‹20 Minuten› hatte ja vorher selber darüber berichtet, dass es bei der Asylunterkunft um eine Zwischennutzung ging», schreibt der Presserat in der Stellungnahme.

Schliesslich kam der Presserat zum Schluss, dass die «Information in den beiden Artikeln ungenügend war». Bemängelt wurde auch, dass die Zeitung keine Richtigstellung veröffentlichte. Deshalb hiess der Presserat die Beschwerde der Co-Leitung der SP Schweiz gut, dass «20 Minuten» in den erwähnten Beiträgen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt hatte.

Die Reaktionen der SP und «20 Minuten»

Bei der SP zeigt man sich über die teilweise gutgeheissene Beschwerde zufrieden. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth erklärt gegenüber watson:

«Gerade bei Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, ist es entscheidend, die Faktenlage klar darzustellen. Das gilt auch für das Thema Asyl. Wer einfach die Polemik der SVP wiedergibt, verstärkt die Hetze gegenüber Flüchtenden. Das sind besonders vulnerable Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Terror bei uns Schutz suchen. Die Medien tragen hier eine wichtige Verantwortung. Darum begrüsse ich das Urteil des Presserates und gehe davon aus, dass ‹20 Minuten› die entsprechenden Artikel korrigiert. Angebracht wäre auch eine Entschuldigung gegenüber den Flüchtenden und den Mietenden, die man gegeneinander ausgespielt hat.»

Anders sieht dies «20 Minuten». Die Medienstelle schrieb auf Anfrage von watson:

«20 Minuten hält an seiner Berichterstattung zum Fall Windisch fest. Auch der Presserat bestätigt, dass 20 Minuten alle relevanten Fakten korrekt berichtet hat. Er rügt allein, dass gewisse Punkte, über die 20 Minuten berichtet hatte, in zwei nachfolgenden Artikeln nicht nochmals wiederholt wurden. Diese Kritik erscheint 20 Minuten nicht sachgerecht und eine Berichtigung deshalb nicht angezeigt. Wir veröffentlichen üblicherweise Stellungnahmen des Presserates, wenn sie unsere eigene Publizistik betreffen. Wir werden das auch in diesem Fall tun.»
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
105 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
insert_brain_here
27.09.2024 15:33registriert Oktober 2019
Hier zeigt sich leider, dass Instrumente wie der Presserat völlig aus der Zeit gefallene zahnlose Instrumente sind. Jetzt druckt das 20min halt die Stellungnahme 1.5 Jahre später irgendwo ganz hinten ab, liest niemand, interessiert niemand.
Wenn du aber heute durch den Aargau gehst und zehn beliebige Personen fragst wie das damals war mit den Mietern in Windisch werden mindestens fünf absolut davon überzeugt sein, dass damals brave Mieter von „den Linken“ rausgeworfen wurden um Platz für Asylbewerber zu schaffen.
27235
Melden
Zum Kommentar
avatar
Diaro56
27.09.2024 15:53registriert Januar 2021
Danke für diesen augenöffnenden Artikel. Ich habe soeben meinen Acsount bei 20 Min geschlssen und die App deinstalliert. Besonders stossend finde ich, dass dieses Blatt uneinsichtig bleibt. Erinnert stark an eine gewisse rechtslastige Partei.
19762
Melden
Zum Kommentar
avatar
Sandlerkönig Eberhard
27.09.2024 16:38registriert Juli 2020
Ist jetzt irgendwie von allen Seiten nicht so ganz sauber gelaufen meiner Meinung nach. Wenn den Mietern gekündigt wird und dann noch bis zum Abriss ein oder zwei oder drei Jahre via Kanton an Asylanten vermietet wird, ist der Bericht ja nicht per se falsch.

Ziemlich schmutzig einfach von der Eigentümerin, die so auf einfachste Art und Weise noch das letzte Goldtalerchen aus der Hütte rauspressen kann.
9642
Melden
Zum Kommentar
105
Neue Studie zeigt: So schneiden Schweizer Erwachsene in Mathe, Lesen und Problemlösen ab

Erwachsene Schweizerinnen und Schweizer schneiden in den Grundkompetenzen Lesen, Alltagsmathematik und Problemlösen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gut ab. Beim Lesen und Probleme lösen liegt die Schweiz jedoch nur knapp über dem Durchschnitt.

Zur Story