«Unkontrolliert einbürgern?» Das Jahr 2017 war erst wenige Tage alt, als sich die Schweizer Stimmbürger auf Schritt und Tritt mit dieser Frage konfrontiert sahen. Die Botschaft, weiss auf signalrotem Grund, sprang Pendlern an allen grossen Bahnhöfen entgegen – flankiert von der altbekannten Frau im Niqab.
Mit dem Slogan wollte das Komitee um SVP-Hardliner Andreas Glarner verhindern, dass Ausländern der dritten Generation erleichtert eingebürgert werden. «Masseneinbürgerungen» bedrohten die Identität des Landes, liess sich Glarner damals zitieren. Von einem «Ausverkauf der Heimat» war im Abstimmungskampf die Rede.
Nun: Das Stimmvolk hatte für die Argumente bekanntlich kein Gehör. Mit über 60 Prozent Ja-Stimmen sprach es den sogenannten Terzos und Terzas das Recht zu, sich künftig unter bestimmten Voraussetzungen einfacher einbürgern zu lassen. Seit Mitte Februar dieses Jahres sind die neuen Regeln in Kraft.
Seither haben 185 Personen um eine erleichterte Einbürgerung ersucht. Dies zeigt eine Auswertung des Staatssekretariats für Migration, die watson vorliegt und den Zeitraum bis Ende April umfasst. Zum Vergleich: Laut einer Studie der Universität Genf kämen aufgrund der Gesetzesänderung schweizweit rund 25’000 junge Ausländer der dritten Generation für eine erleichterte Einbürgerung infrage.
Von einem Run auf den roten Pass kann bislang also keine Rede sein. SEM-Sprecher Lukas Rieder sagt dazu: «Es lässt sich seit längerem beobachten, dass jeweils nur ein verhältnismässig kleiner Teil der ausländischen Personen, welche die formellen Voraussetzungen für den Erwerb des Schweizer Bürgerrechts erfüllen, tatsächlich ein Einbürgerungsgesuch stellt.» Allerdings sei es noch zu früh, um einen Trend vorherzusagen oder gar ein Fazit zu formulieren.
Dass die durchschnittliche Einbürgerungwillige wohl keine Burka trägt, legt zudem eine Aufschlüsselung nach Nationalitäten nahe. Demnach stammen 103 der 185 Gesuche von Italienerinnen und Italienern. Dahinter folgen türkische Staatsangehörige mit 24 Gesuchen und Portugiesen sowie Kosovaren mit je 9 Gesuchen. Vereinzelt bemühen sich auch Personen mit Wurzeln in Spanien, Serbien, Bosnien, Mazedonien, Kroatien und Deutschland um den roten Pass.
Damit sich eine Person unter dem neuen Gesetz erleichtert einbürgern lassen kann, darf sie nicht älter als 25-jährig sein. Sie muss in der Schweiz geboren sein, hier mindestens fünf Jahre die obligatorische Schule besucht haben und eine Niederlassungsbewilligung besitzen. Zudem muss sie laut SEM integriert sein und darf die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährden.
Ein Grosselternteil muss bereits ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz besessen haben. Auch die Mutter oder der Vater muss mindestens zehn Jahre in der Schweiz gelebt haben und im Minimum fünf Jahre hier zur Schule gegangen sein. Für Terzos, die zwischen 26 und 35 Jahre alt sind, besteht eine Übergangslösung.
Die erleichterte Einbürgerung dauert deutlich weniger lang als die ordentliche Einbürgerung, ausserdem kostet sie weniger. Für den Entscheid ist der Bund zuständig, Kantone und Gemeinden haben lediglich ein Beschwerderecht.
Letztes Jahr wurden in der Schweiz insgesamt rund 46’000 Personen eingebürgert, gut 11’000 davon erleichtert. Bislang stand diese Möglichkeit primär ausländischen Ehepartnern von Schweizerinnen und Schweizern offen.