Schweiz
Natur

Alpen-Artenvielfalt: Bauern kämpfen gegen Blacken auf Alpwiesen

Die grüne Plage: Weshalb diese Pflanze für die Bauern auf der Alp eine «grosse Last» ist

Nirgends ist die Artenvielfalt in Mitteleuropa grösser als auf einer Alpwiese. Aber nur, wenn sie bewirtschaftet und gepflegt wird. Und das ist eine Sisyphusarbeit.
19.09.2023, 06:3419.09.2023, 08:34
Sabine Kuster / ch media
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Blacken mit ihren roten Samenständen. Die Samen können lange im Boden überdauern.
Blacken mit ihren roten Samenständen. Die Samen können lange im Boden überdauern.Bild: AZ/Franz Josef Steiner

Eine Alp ist kein Golfplatz. Es wachsen dort so viele Kräuter, dass ein Halspastillen-Hersteller mit der Pflanzenvielfalt Werbung macht. Mehr als zweihundert Arten sollen es sein. Einzelne sind eine Plage. Und zwar so sehr, dass sie auch den Wanderinnen und Wanderern aus dem Tal auffallen. Oder wer hat sich nicht schon gefragt, was das für eine grossblättrige Pflanze ist, die sich oft in der Nähe von Ställen auf der Alp ausbreitet und deren rote Samenstände kniehoch emporstängeln?

Es ist die Alpenblacke, wie der Alpen-Ampfer im Volksmund genannt wird. «Eine grosse Last für die Bauern und Bäuerinnen.» Das sagt Caren Pauler, Agrarbiologin bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Auch wenn das Vieh jetzt die Alpen verlässt, ist für die Älplerinnen und Älpler die Arbeit nicht getan. Die Problempflanzen kann man nicht bis nächsten Frühling wachsen lassen: Pestizide werden jetzt ausgebracht. Doch der Einsatz ist auf den Alpweiden streng reguliert, und wer mit dem Bio-Label produziert, kann eh nicht zum Gift greifen. Zumal Pestizide alleine der Blacken nicht Herr werden.

In den letzten 30 Jahren ist in den Bergen eine Alpfläche in der Grösse des Kantons Schaffhausen verloren gegangen - zu aufwendig und zu unrentabel wurde die Bewirtschaftung für viele Besitzer. Dort breitet sich dann eine andere Problempflanze aus: Die Grünerle, sonst nur in Bachtobel und Lawinenhängen anzutreffen, verbuscht die Hänge. Sie fixiert Stickstoff aus der Luft, gibt ihn an den Boden ab und bewirkt so, dass der Boden noch überdüngt ist, wenn längst kein Vieh mehr dort weidet. Die Artenvielfalt sinkt stark.

Ein Bauer entsorgt das stark giftige Alpenkreuzkraut.
Ein Bauer entsorgt das stark giftige Alpenkreuzkraut.Bild: az/franz josef steiner

Der Mensch hat hier Artenvielfalt geschaffen

Dabei gehören Alpweiden zu den artenreichsten Gegenden pro Quadratmeter in Mitteleuropa, sagt Caren Pauler, «und weltweit betrachtet kommen sie diesbezüglich gleich nach den Regenwäldern.» Das Spezielle daran: «Auf Alpweiden hat der Mensch ausnahmsweise etwas Artenreiches geschaffen.»

Aber eben nur, wenn die Alp weder unter- noch übernutzt wird. Und die mühselige Arbeit gegen die Blacke über Generationen anhält. «Die Älpler leisten enorm viel. Den ganzen Sommer sind sie im Einsatz, um die Alpweiden so zu erhalten, wie wir sie kennen», sagt Pauler.

Mit Expertinnen und Praktikern hat die Agronomin Julie Klötzli nun Massnahmen gesammelt, die für die Regulierung der Problempflanzen im Alpengebiet helfen. (Problempflanzen in den Bergen Pdf) Denn normalerweise wird das Wissen regional zwar weitergegeben, aber nicht darüber hinaus. Und nicht alles, was getan wird, hilft auch wirklich.

So wachsen ein Jahr nachdem eine Blacke beseitigt wird, meist noch mehr, sofern die Grasnarbe nicht geschlossen wird. Denn die Pflanze wächst dort, wo es eine Lücke in der Wiese gibt, also zum Beispiel, wo schwere Milchkühe bei Regen sie mit ihren Klauen geschädigt haben.

Blacken auf der Alp Rotenflue oberhalb des Vierwaldstättersees.
Blacken auf der Alp Rotenflue oberhalb des Vierwaldstättersees.Bild: AZ/Fanz Josef Steiner

Dampf, Strom, Gift - nichts hilft alleine

Zwar ist das Bewusstsein der Älpler gestiegen, auch weil sie seit 2013 Direktzahlungen für artenreiche Weiden erhalten, auf denen ein gewisser Schwellenwert an Problempflanzen nicht überschritten werden darf. Es geht nicht darum, sie auszurotten. Doch immer mehr Alpen werden intensiver bewirtschaftet: Viele grosse Tiere werden auf weniger Fläche gehalten. Wo die Tiere viel stehen oder liegen und deshalb häufiger Mist hinterlassen, gedeiht die Blacke wunderbar.

Älpler müssen Mist entfernen, wo er gehäuft hinterlassen wird.
Älpler müssen Mist entfernen, wo er gehäuft hinterlassen wird.Bild: AZ/franz josef steiner

Im Tal rückt man der Blacke auch mit Dampf zu Leibe, doch die Hoffnung der Bio-Bauern auf eine gute Lösung hat sich zerschlagen: Es braucht dazu viel Energie, einen grossen Tank und nächstes Jahr füllen die entstandenen Lücken noch mehr Blacken, die aus der grossen Bodensamenbank gekeimt haben. Auch mit Strom werden die Wurzelstöcke behandelt, aber die Seitentriebe bleiben oft keimfähig.

Wie wär's mit einem natürlichen Fressfeind? Einerseits sind das die Kühe, denen die Blacke wegen der Oxalsäure eigentlich nicht schmeckt. Aber im Frühling, wenn die Blätter noch zart sind, werden sie gefressen.

Roter Ampfer-Glasflügler.
Roter Ampfer-Glasflügler.Bild: Valter Jacinto/Moment RF

Ein anderer Fressfeind ist ganz zart: Julie Klötzli hat für die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus (AGFF) Versuche mit dem Roten Ampfer-Glasflügler gemacht: Larven dieses einheimischen, unscheinbaren Schmetterlings klebte sie an Zahnstocher und steckte sie in die Blacken. Die Larven fressen die Wurzeln und schwächen die Pflanze derart, dass zumindest kleine Blacken um 80 Prozent schrumpfen.

Drei Faktoren müssen eliminiert werden

«Es gibt keine einfache Einheitslösung, die allen passt», sagt Klötzli. Aber in einer Studie (siehe hier Seite 137) mit Wiesenblacken konnten Agrarforschende zeigen, dass es immer auf die drei selben Risikofaktoren ankommt, egal ob in der Schweiz, in Slowenien oder England: Zu viel Phosphor (sprich: Düngung wie zum Beispiel Kuhmist), verdichteter Boden und eben eine offene Grasnarbe: Die Fallstudie zeigte, dass das Risiko fürs Auftreten von Blacken nur halb so gross ist, wenn sich die offene Fläche um 10 Prozent reduziert.

Der dritte Fressfeind könnte der Mensch sein. Das jedenfalls sagt Franz Josef Steiner, dessen Bruder Meinrad am Sihlsee die Alpen Ober Hummel und Rossweid des Klosters Einsiedeln bewirtschaftet: «Junge Blacken schmecken gedämpft hervorragend - besser als Spinat», sagt Steiner. Und er lobt die Wirkung der Blätter bei Insektenstichen. Steiner arbeitet beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL.

Pasta mit Blacken-Gemüse und idyllischer Aussicht oberhalb des Sihlsees.
Pasta mit Blacken-Gemüse und idyllischer Aussicht oberhalb des Sihlsees.Bild: az/Franz Josef Steiner

Er ist denn auch eher Freund als Feind, wie er sich über die Blacke äussert: Der ziemlich starke Bewuchs mit Blacken auf zwei Hektaren Alpweide habe er mit seinen Brüdern innerhalb von zehn Jahren weggebracht: früh im Jahr mit einjährigen Rindern abgeweidet, regelmässig geschnitten und entsorgt und die Alp so eingezäunt, dass das Vieh nicht mehr auf den alten «Lägerfluren», also Liegeplätzen, liegt und zudem wenn möglich Zugang zum Stall hat und vor allem dort den Mist hinterlässt.

Die Brüder haben ausserdem die alten Viehwege repariert, damit die Tiere schneller in den Stall gehen - andernfalls trödeln sie wie Schulkinder und hinterlassen den Mist dort konzentriert. «Mit den Blacken ist es gut jetzt», sagt Steiner, «schlimmer sind das Alpenkreuzkraut und Disteln, denn diese haben fliegende Samen, und wenn der Nachbar nicht schaut, habe auch ich ein Problem.»

Nein, eine Alpweide ist kein Golfplatz. Aber sie kann durchaus ein Ort sein, wo Städter ihre Freizeit verbringen: Wie die Kantonsschulklasse aus Zug, die bei Steiner vier Tage lang den Problempflanzen auf den Leib rückte. «Man muss im Herbst dranbleiben», sagt er, «das ist die beste Zeit.»

Unbewirtschaftete Brache auf einer Alp: Von hier aus verbreiten sich viele Problempflanzen.
Unbewirtschaftete Brache auf einer Alp: Von hier aus verbreiten sich viele Problempflanzen.Bild: az/franz josef steiner
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99 Kommentare
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Rethinking
19.09.2023 09:54registriert Oktober 2018
„Zwar ist das Bewusstsein der Älpler gestiegen, auch weil sie seit 2013 Direktzahlungen für artenreiche Weiden erhalten“

Das müsste heissen: NUR weil sie seit 2013 Direktzahlungen erhalten
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Radio Eriwan - mit Echtheitszertifikat
19.09.2023 10:07registriert November 2020
"Zumal Pestizide alleine der Blacken nicht Herr werden."

Pestizide nützen sicher nicht, gemeint wären Herbizide - doch auch das ist ein No-Go!

Ansonsten danke für den Hintergrundbeitrag!
Ich mag solche Dokumentationen über Mensch und Umwelt.
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sealeane
19.09.2023 09:33registriert November 2017
Vanke, guter Artikel. Das wusste ich nicht obwohl ich aus den Alpen komme. Scheinbar macht dann der Bauer der die Alp beim Ferienhaus bewirtschaftet einiges richtig. Die Blacken verschwanden grossflächig. Auch wenn für mich damit Kindheitserinnerungen verbunden waren, verstehe ich es nun besser.
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