Wenn sich Fritz Hänni hinter das Steuer eines Linienbusses der Freiburger Verkehrsbetriebe TPF setzt, hofft er auf eines: möglichst wenige Velofahrer auf der Strasse. «Das ist ganz schlimm geworden», sagt der Busfahrer. «Zum Teil ist ihr Verhalten respektlos wie verrückt.»
Mit diesen Beobachtungen ist Hänni nicht alleine. Viele Berufschauffeure im öffentlichen Verkehr sind gestresst: von Zweirädern, knappen Fahrplänen und langen Arbeitstagen. Das belegt eine neue Umfrage des universitären Zentrums für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit Unisanté in Lausanne.
Im Auftrag der Gewerkschaften SEV, Syndicom und VPOD hat das Institut fast 1000 Busfahrerinnen und Busfahrer in der Schweiz zu ihrem Gesundheitszustand befragt. Die Resultate sind erschreckend. Schmerzen, Stress und Übermüdung plagen die Angestellten in der Führerkabine – und zwar in einem Ausmass, das Fragen aufwirft.
Mit 57 Prozent beklagt sich mehr als jeder zweite Befragte über Schmerzen in der Schulter oder im Nacken. Die Hälfte der Befragten gibt an, an abnormaler Müdigkeit zu leiden. Ebenfalls jeder zweite Befragte leidet unter Rückenschmerzen. Mit 43 Prozent gab fast die Hälfte der Busfahrerinnen und Busfahrer an, unter Schlafstörungen zu leiden. Weitere 42 Prozent beklagen sich über Stress, 36 Prozent über Reizbarkeit und jeder dritte über Kopfschmerzen.
Bedenklich ist: Fast jeder dritte befragte Busfahrer setzt sich manchmal trotz eingeschränkter Fahrtüchtigkeit ans Steuer. Bei den 36- bis 45-Jährigen sind es gar 38 Prozent, die trotz Übermüdung, zu wenig Ruhezeit oder Muskelschmerzen auch schon einen Linienbus steuerten.
Christian Fankhauser, Vizepräsident der Gewerkschaft SEV, glaubt eine Erklärung für das Problem zu haben. «Die Busfahrerinnen und Busfahrer spüren Druck von den Vorgesetzten», sagt er. «Wenn Sie sich abmelden, weil sie schlecht geschlafen haben, heisst es: ‹Du musst kommen!›. Viele nehmen lieber Medikamente und erscheinen zur Arbeit, auch weil sie wissen, dass sonst jemand einspringen muss, der eigentlich frei hat.»
Die Lenker der Linienbusse seien stolz auf ihre Arbeit und hätten ein hohes Pflichtgefühl. Doch die jetzige Situation sei gefährlich, nicht zuletzt für die Reisenden. «Es braucht neue Standards», sagt Fankhauser. Es gehe nicht um einen Bürojob, den man auch mal müde verrichten könne, sondern um eine Arbeit, bei der man geistig immer zu 100 Prozent da sein müsse. «Es darf nicht sein, dass sich Mitarbeitende in einer so verantwortungsvollen Position genötigt fühlen, auch müde oder krank arbeiten zu gehen.» Es brauche mehr Personal.
Dass so viele Busfahrer über Schmerzen klagen, hänge mit der Ergonomie und Effizienzvorgaben zusammen. «Busfahrer sitzen 8 bis 9 Stunden pro Tag hinter dem Lenkrad. Das ist nicht immer ergonomisch und man kann nicht einfach mal zwischendurch aufstehen», sagt Fankhauser. Hersteller achteten zwar vermehrt auf den Komfort. Damit sei es aber nicht getan: «Nach einer Runde, die 30 bis 45 Minuten dauert, sollten Busfahrer die Möglichkeit haben, aufzustehen, sich zu bewegen und auszutreten.»
Das sei nicht überall gegeben, denn die Fahrpläne seien aus finanziellen Gründen sehr eng getaktet und ÖV-Betriebe setzten so wenige Busse ein wie nur möglich. Wenn einer etwa wegen Stau verspätet sei, fehle an der Endhaltestelle die Pausenzeit.
Dabei ist der Job auch mit idealen Arbeitsbedingungen belastend. Wer täglich auf den Strassen unterwegs ist und mit einem Querschnitt der Bevölkerung in Kontakt kommt, erlebt nicht nur Positives. Zwei Dinge stören die Busfahrerinnen und Busfahrer besonders: Eine Mehrheit von 58 Prozent gab an, dass sie Arbeitseinsätze von mehr als 10 Stunden als sehr belastend empfindet – und mit 55 Prozent sagt ebenfalls mehr als jeder zweite Befragte dasselbe über das Verhalten von Velofahrern.
«Viele Busfahrer verspüren schon Stress, wenn sie nur Velofahrer sehen», sagt Fankhauser. «Sie beachten die roten Ampeln zu wenig.» Ausserdem sei ihnen oft nicht bewusst, dass die Bremsung eines Linienbusses viel länger dauert als die eines Autos. Um das Problem zu entschärfen, würden regelkundigere Velofahrer helfen – und mehr getrennte Infrastruktur für den ÖV und das Velo. «Das ist leider oft schwierig umsetzbar, wenn es auf Kosten der ‹heiligen Kuh› Auto gehen würde.»
Problematisch werden rüpelhafte Velofahrer besonders, wenn sie Busse zur Vollbremsung zwingen. Busfahrerinnen und Busfahrer versuchen das zu vermeiden, auch weil 2015 eine ältere Frau in einem Luzerner Bus an den Folgen einer Vollbremsung verstarb. Trotzdem werden sie nötig: Am 17. Juni etwa zwang ein Velofahrer, der ein Rotlicht überfahren hatte, einen Bus der Verkehrsbetriebe Zürich zur Vollbremsung. Zwölf Personen verletzten sich, darunter 11 Kinder. Der Velofahrer beging Fahrerflucht.
Busfahrer Fritz Hänni glaubt denn auch an ein Verhaltensproblem. «Früher hatten Velofahrer noch Respekt vor einem Bus. Heute fahren viele, als ob sie alleine auf der Strasse wären. Wenn sie dann noch Kopfhörer drin haben, können sie ihre Umgebung gar nicht mehr wahrnehmen», sagt Hänni, der auch als Präsident der lokalen SEV-Sektion amtet.
Mit Elektrovelos können Velofahrer zudem hohe Geschwindigkeiten erreichen. «Wenn ich mit einem 18 Meter langen Gelenkbus mit 100 Leuten drin hinter zwei Elektrovelofahrern fahre, habe ich keine Chance, sie zu überholen», sagt Hänni. Das wiederum sorge für Ärger bei den Fahrgästen: «Wenn in Fribourg der Anschluss auf den Intercity nach Bern und Zürich verpasst wird, kann man sich als Busfahrer ab und zu einiges anhören». Nicht alle steckten das gleich gut weg.
Hinzu komme, dass Busfahrerinnen und Busfahrer immer häufiger angezeigt würden. Auch in seiner Sektion seien Anzeigen von Velofahrern hängig. Die Verfahren seien für das Personal sehr belastend. Als stärkerer Verkehrsteilnehmer habe man vor Gericht schlechte Chancen, glaubt Hänni.
«Es ist fast nicht möglich, als Busfahrer freigesprochen zu werden», sagt er und nennt einen Fall, bei dem ein Kind weit entfernt vom Fussgängerstreifen in einen fahrenden Bus rannte. Passiert sei fast nichts, weil der Busfahrer schnell gebremst habe. Aber: «Es würde mich wundern, wenn das nicht zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung führen würde». Solche Geschichten sprächen sich rum unter den Fahrern. Die Angst, deswegen den Fahrausweis und den Job zu verlieren, erzeuge einen «verrückten Druck».
Das Problem mit den Velofahrern werde von allen unterschätzt – und niemand wolle sich deswegen den Mund verbrennen. «Aber die Busfahrer leiden darunter.» Sowieso sei das Verhalten der Verkehrsteilnehmer egoistischer geworden. Das gelte auch für Fussgänger. «Einmal standen wir mit dem Bus im Tunnel und einer ist ins Fahrzeug reingelaufen», erzählt Hänni. «Wir wussten nicht, ob wir weinen oder lachen sollten.»
Helfen könnte ein Informationskampagne des Bundes, findet er. «Wenn wir damit nur schon 10 von 100 sensibilisieren könnten, wäre viel gewonnen. Denn viele Leute wissen gar nicht, wie viele Unfälle nur durch uns verhindert werden.»
Linienbusse sind ein im Vergleich zum Auto sicheres Verkehrsmittel. Im vergangenen Jahr kam es laut dem Bundesamt für Statistik zu 45 Unfällen mit Personenschäden, bei denen ein Bus oder Trolleybus involviert war. Dabei wurden 40 Fahrgäste schwer verletzt. Im ganzen Strassenverkehr waren es knapp 4'000 Schwerverletzte. Gleichzeitig ist die Eisenbahn deutlich sicherer: In den letzten fünf Jahren wurden insgesamt 282 Bus-Unfälle mit Personenschäden gezählt – gleich viele wie bei der Eisenbahn, die aber ein Vielfaches der Transportleistung erbringt.
Stressfaktoren zu reduzieren, müsste also im Interesse der Branche und der Kundschaft liegen. Ansatzpunkte gibt es: So bauen etwa Anzeigen auf Bildschirmen oder akustische Warnsignale bei Verspätungen ebenfalls Druck auf – genauso wie aggressive Fahrgäste, die bei Verspätungen schon mal darauf bestehen, dass die Türe vor der Haltestelle extra für sie geöffnet wird, obwohl dies verboten und gefährlich ist.
Trotzdem, sagt Busfahrer Fritz Hänni, würde er den Job noch immer weiterempfehlen. «Es ist eine wunderschöne Arbeit», sagt er. «Ich bin mit Leib und Seele Busfahrer. Nur das Umfeld müsste sich ändern.» (aargauerzeitung.ch)
Ich wünsche allen Verkehrsteilnehmern mehr Ruhe und Gelassenheit auf der Strasse. Damit die Busfahrer ihre Fahrgäste von früh bis spät sicher an ihr Ziel bringen können!