Im Dezember brachte die SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die politische Schweiz in Aufruhr. Sie wechselte vom Justizministerium mit seinem Asylwesen ins Departement des Innern. Nach nur einem Jahr. Das hat es noch nie gegeben. Schlagzeilen wie die folgende im Blick waren im ganzen Land zu lesen: «Baume-Schneider flüchtet vor der SVP».
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Baume-Schneider bei ihrem allerersten «Arena»-Auftritt ausgerechnet auf der gleichen Seite wie die SVP, nämlich neben der St.Galler Ständerätin Esther Friedli, stand. Gemeinsam argumentierten die beiden gegen die Initiative für eine 13. AHV-Rente, über die das Volk am 3. März abstimmt.
Die zusätzliche Schwierigkeit: Auf der anderen Seite befand sich Baume-Schneiders Parteikollegin Samira Marti.
Das Ja-Lager für eine 13. AHV-Rente repräsentierten in dieser Abstimmungs-«Arena»:
Auf der Nein-Seite standen:
Die Ausgangslage für Baume-Schneider an diesem Abend also: maximal schwierig. Aber immerhin ist eines schon vor Beginn der Sendung sicher: Eine schlechtere Figur als die Alt-Bundesräte, die kürzlich eine Kampagne gegen die 13. AHV-Rente lancierten, kann sie nicht machen. Die Initiative sei «brandgefährlich», weil sie «die finanzielle Zukunft unserer AHV stark bedroht», liessen Adolf Ogi, Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann verlauten.
Den geladenen Rentner und Co-Präsidenten der Rentnervereinigung Avivo Zürich, André Eisenstein, macht diese Kampagne hässig: «Selbst wenn ich dieses Einkommen hätte, würde ich nicht so einen Mist erzählen! Das ist beleidigend, entwürdigend, was man den Leuten vorhält.»
229'000 Franken beträgt die jährliche Rente eines Alt-Bundesrats. Gleichzeitig reiche vielen Pensionierten die Rente nicht mehr zum Leben. «Sie ist unter dem Existenzminimum», sagt Eisenstein.
«Jede Person in der Schweiz soll in Würde leben können, das steht in unserer Verfassung», findet auch Bundesrätin Baume-Schneider. «Aber in der Bundesverfassung steht auch, dass die AHV nachhaltig finanziert werden muss.» Und das sei mit dieser Initiative nicht möglich, die 13. AHV habe einen zu hohen Preis. Stattdessen brauche es gezielte Massnahmen wie Ergänzungsleistungen.
Das Problem sei jedoch: Die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner, denen Ergänzungsleistungen zustünden, würde diese nicht beantragen. Der Grund: Scham. Dabei müsse sich jemand, der Ergänzungsleistungen beziehe, ebenso wenig schämen wie ein Student, der ein Stipendium erhalte, findet die Bundesrätin.
Rentner Eisenstein stimmt Baume-Schneider nicht direkt zu, doch es ist offensichtlich, dass sie mit ihrer Scham-These einen Nerv getroffen hat. «Angenommen, Sie kämen in diese Situation: Würden Sie mit Freude hingehen und diese Ergänzungsleistungen beantragen?», fragt er. «Ich habe Ergänzungsleistungen für meinen Vater verlangt. Ich verstehe, dass es schwierig ist», antwortet Baume-Schneider. Entwaffnend offen und ehrlich.
Baume-Schneider wählt ihre Worte in dieser Sendung mit Bedacht. Spricht immer von der Haltung des Bundesrats, nicht von ihrer eigenen. So meistert sie solide auch den schwierigen Balanceakt zwischen dem Nein des Bundesrats und dem Ja der SP zur Initiative.
Die beiden Seiten werfen sich die bekannten Argumente an den Kopf. Das Nein-Lager spricht vom «Giesskannenprinzip», von künftigen Defiziten in der AHV-Kasse des Bundes, von den Jungen, die Angst haben müssen, dass sie selbst eines Tages keine AHV mehr bekommen werden. Das Ja-Lager spricht von Solidarität, von «Würde im Alter», von UBS-CEO Sergio Ermotti, der sein Leben lang mehr in die AHV eingezahlt haben wird, als er je daraus beziehen werde, und wirft den Gegnern vor, die Generationen gegeneinander auszuspielen.
Baume-Schneider gibt in diesem Kreuzfeuer am liebsten allen recht: Den Rentnern, die es schlimm finden, auf der Gemeinde um Ergänzungsleistungen betteln zu müssen, der Mitte-Politikerin Tina Deplazes, die darauf hinweist, dass die Pensionierten finanziell besser dastehen als Erwerbstätige, der Jungen Grünen Magdalena Erni, die festhält, dass die Bürgerlichen es verpasst hätten, einen Gegenvorschlag zu formulieren.
Nur einer stimmt sie nicht zu: SVP-Ständerätin Esther Friedli, als diese den Ausländern die Schuld an der AHV-Misere geben will. Baume-Schneider ignoriert ihren Einwurf gekonnt und dominiert lieber bei allen anderen Argumenten des Nein-Lagers. Friedli, ebenso überfordert von der ungewohnten Allianz, versucht es daraufhin kein zweites Mal, die Ausländer-Keule auszupacken.
Am Schluss endet die SRF-«Arena» so, wie sie angefangen hat. Mit Baume-Schneider und Rentner Eisenstein, die sich gegenüberstehen.
Baume-Schneider plädiert nochmals darauf, dass Bund und Kantone den Bezug von Ergänzungsleistungen entstigmatisieren müssten. Etwa so, wie es die Regierung im Kanton Jura, in der sie einst selbst sass, macht: Haben Pensionierte ihre Steuern fertig online eingetragen, berechnet das System automatisch, ob jemand Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätte – und zeigt dies entsprechend an. «Das war eine gute Idee», findet Baume-Schneider.
Rentner Eisenstein widerspricht ihr nicht, ist aber auch nicht vollends überzeugt: «Ich habe nichts gegen Ergänzungsleistungen. Aber man sollte unser Sozialversicherungssystem so ausgestalten, dass man diese möglichst nicht in Anspruch nehmen muss.»
Er denke dabei auch an die künftigen Generationen. Deren Perspektive sei: Wenn ihre Rente eines Tages nicht ausreiche, müssten sie bei der Gemeinde um Ergänzungsleistungen betteln gehen. Würden plötzlich hilfsbedürftig.
Auf ihn wirkt es so, als würde Baume-Schneider die Ergänzungsleistungen als künftigen Status Quo ansehen. Darum sein Schluss-Satz: «Das finde ich peinlich, wenn man so denkt!»
DAS wäre ein wirksamer Gegenvorschlag gewesen, der nur ein Bruchteil dessen gekostet hätte, was die 13. AHV-Rente kostet. Selber schuld, du bürgerliche Mehrheit.