Die russische Botschaft in Bern liest die hiesigen Zeitungen gründlich. Wann immer in deren Spalten Kritik an Russland oder an Präsident Wladimir Putin geäussert wird, dann repliziert sie. Mit langen, scharf abgefassten Texten auf der Webseite der Botschaft und in den sozialen Medien. Tenor: Die Schweizer Medien haben keine Ahnung. Und sie sind Teil der westlichen Propaganda.
Nun belässt es die Botschaft nicht mehr bei markigen Worten. In einer bis heute kaum beachteten Stellungnahme droht sie dem in Wien domizilierten Osteuropa-Korrespondenten der NZZ, Ivo Mijnssen, mit Haft, sollte er nach Russland einreisen. Die «öffentliche Rechtfertigung von Terrorismus und Terrorismuspropaganda» werde mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis sieben Jahren bestraft, warnt die Botschaft. Damit zündet sie eine neue Eskalationsstufe.
In Rage versetzen die russischen Vertreter einen Artikel Mijnssens, der vor knapp zwei Wochen erschienen ist. Darin berichtet der Journalist über das Leben und den ukrainischen Widerstand in der russisch-besetzten Region Saporischja. Die russische Botschaft wirft ihm vor, er versuche «der Leserschaft den Eindruck zu vermitteln, dass fast jeder in der Stadt Russland hasse». Aus ihrer Sicht ist klar, dass der Autor «lediglich die lächerlichsten Erfindungen und Gerüchte übernimmt, die das Kiewer Regime und seine Handlanger verbreiten».
Am Mittwochabend bezeichnete das Aussendepartement EDA das Vorgehen der russischen Botschaft auf Twitter als «inakzeptabel». Dies werde man dem russischen Botschafter «unmissverständlich mitteilen».
Die russische Botschaft in Bern hat einem NZZ-Journalisten aufgrund seiner Berichterstattung mit rechtlichen Massnahmen in Russland gedroht. Dieses Vorgehen ist inakzeptabel und wir werden dies dem russischen Botschafter unmissverständlich mitteilen.
— EDA - DFAE (@EDA_DFAE) April 19, 2023
Die Reaktionen Schweizer Medienschaffen in den sozialen Medien fallen heftig aus. WOZ-Journalist Kaspar Surber spricht von einer «unfassbaren Einmischung» in die Pressefreiheit in der Schweiz. «Das darf sich der Bundesrat nicht gefallen lassen», schreibt er auf Twitter. Und der frühere Russland-Korrespondent von Radio SRF, David Nauer, fordert «Solidarität mit Ivo!»
Unfassbare Einmischung der russischen Botschaft in die Pressefreiheit in der Schweiz und eine Bedrohung des hervorragenden NZZ-Korrespondenten @imijnssen. Das darf sich der Bundesrat nicht gefallen lassen. https://t.co/0Wyi8SIgHz
— Kaspar Surber (@KasparSurber) April 19, 2023
Auch in der Politik sind kritische Töne zu hören. Der Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller gehen die verbalen Angriffe schon seit Längerem zu weit. «Die Wortmeldungen des russischen Botschafters sind inhaltlich wie in ihrer Tonalität absolut bedenklich. Sie erinnern mich an die Propaganda im Kalten Krieg. Die Art der persönlichen Angriffe könnte man meines Erachtens auch als versteckte Einschüchterung verstehen», sagte sie bereits vor zwei Jahren zu CH Media.
In der Folge liess die Politikerin beim Bundesrat anfragen, ob er diesen Umgangston «mit den diplomatischen Gepflogenheiten vereinbar» halte. In seiner Antwort gab sich die Landesregierung wortkarg. Das Recht auf Medienfreiheit sei «ein wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie». Sie halte dieses Recht hoch. «Aussagen von in der Schweiz akkreditierten Botschafterinnen und Botschaftern über Medienberichte kommentiert der Bundesrat in der Regel nicht.» (aargauerzeitung.ch)