Der Warentransport auf der Schiene lohnt sich nicht – zumindest nicht innerhalb der Schweiz und wenn einzelne Kunden nicht gerade ganze Züge füllen. Zu diesem Fazit kommt, wer die Zahlen von SBB Cargo anschaut. Im vergangenen Jahr schrieb die Güterverkehrs-Tochter der Bahn 76 Millionen Franken Verlust.
Die internationale Tochter, die Züge auf der europäischen Nord-Süd-Achse transportiert, war zwar in den schwarzen Zahlen, ebenso wie das Geschäft mit den Ganzzügen innerhalb der Schweiz. Doch die beiden anderen Sparten machen Cargo-Chef Alexander Muhm Sorgen. Erstens handelt es sich um den Einzelwagen-Ladungsverkehr (EWLV). Dabei werden einzelne Güterwagen bei Anschlussgleisen von Kunden abgeholt, in Rangierbahnhöfen mit anderen Wagen zu einem Zug zu einem weiteren Rangierbahnhof zusammengestellt und von dort wieder einzeln zu den Kunden gefahren.
Dieses Geschäft ist personal- und ressourcenintensiv und für den grössten Teil des Verlusts verantwortlich. Ebenfalls defizitär ist zweitens der Kombi-Verkehr (KV). Bei diesem werden Ladeeinheiten – meistens Container – mit Lastwagen an ein Terminal gebracht, von wo sie auf Züge verladen werden. Diese fahren zu einem weiteren Terminal, wo Lastwagen die Ware wieder abholen.
Das Volumen dieses KV-Geschäfts ist bescheiden, und es ist äusserst unrentabel. Bei einem Umsatz von 18 Millionen Franken resultierte vergangenes Jahr ein Verlust von 12 Millionen Franken. Nun zieht Muhm die Notbremse. Fast alle Strecken werden gestrichen und 8 von 10 Terminals aufgehoben, nämlich jene in Oensingen SO, Basel, Gossau SG, Widnau SG, Renens VD, St. Triphon VD, Cadenazzo TI und Lugano. Nur jene in Dietikon ZH und Stabio TI bleiben bestehen.
Künftig fahren im KV nur noch zwei Güterzüge täglich pro Richtung zwischen diesen Orten. Damit sollen die Kosten gesenkt werden. Wenn der Test dieses Shuttle-Konzepts auf dieser stark nachgefragten Route funktioniert, soll es dereinst auf der Ost-West-Achse eingeführt werden.
Dafür bräuchte es zusätzlich zum Terminal in Dietikon neue Terminals oder die Reaktivierung von bestehenden in Genf, Renens VD, Gossau SG sowie im solothurnischen Gäu. Weil Trassen fehlen, braucht es zudem Ausbauten der Bahninfrastruktur, die Stand jetzt etwa 2035 fertig sein dürften. Ab dann ist Kombi-Verkehr auf der Ost-West-Achse wieder denkbar – theoretisch.
Denn funktioniert der Test nicht, könnte der KV komplett eingestellt werden. Das sagte SBB-Cargo-Chef Alexander Muhm am Montag an einem Mediengespräch:
Tatsächlich soll die Bahn nach dem Willen des Gesetzgebers zwar im Transitverkehr durch die Alpen eine Verlagerungswirkung erzielen. Das gelingt ihnen auch: 70 Prozent der Güter werden im Transit durch die Schweiz mit der Bahn transportiert. Im Inland aber gibt es kein entsprechendes Verlagerungsziel. Der Güterverkehr ist zudem liberalisiert, die Strasse ist für viele Kunden die deutlich günstigere Option.
Der Neukonzeption des KV fallen 65 Stellen zum Opfer. Muhm betont, dass der Abbau fast vollständig über die Fluktuation, Pensionierungen und Wechsel innerhalb der SBB stattfinden soll. Besonders betroffen vom Abbau ist das Tessin: Zwei Drittel der zu streichenden Stellen entfallen auf den Südkanton, der Rest entfällt auf die Deutschschweiz.
Der Kahlschlag beim KV führt zu durchschnittlich 70 zusätzlichen Lastwagenfahrten pro Tag. Das sind gut 25'000 jedes Jahr. Das tönt nach viel, ist aber wenig im Vergleich zu den Mengen, die im Einzelwagen-Ladungsverkehr transportiert werden.
Im Gegensatz zum KV muss dieser immerhin nicht profitabel arbeiten, sondern nach den Vorgaben des Bundesrats nur kostendeckend. Zudem schiesst der Bund Geld ein: Einerseits wird er den EWLV während einer Transformationsphase von acht Jahren fördern. Für die ersten vier Jahre sieht er 260 Millionen Franken vor. Zudem will er 180 Millionen Franken bezahlen, damit die digitale automatische Kupplung eingeführt werden kann, die die Produktion verbilligen soll.
Andererseits brüten die SBB über einem neuen Produktionsprozess, mit dem sie 60 Millionen Franken pro Jahr einsparen wollen. Er soll auf den Fahrplan 2027 eingeführt und in den nächsten Monaten vorgestellt werden.
Die Anzahl der Zustellpunkte – also der bedienten Anschlussgleise von Kunden – dürfte mit dem neuen Prozess reduziert werden, was auch einen grösseren Personalabbau zur Folge haben könnte. Zudem sollen die Preise erhöht werden, laut Muhm um 20 Prozent bis ins Jahr 2033.
Ob das alle EWLV-Kunden mitmachen, ist offen. Der grösste ist die Migros. Am Bahnkongress in Basel warnte deren Operations-Chef Rainer Baumann vergangenen Freitag: Wenn die Preise um mehr als 10 Prozent steigen würden, müsse die Migros Transporte wieder auf die Strasse verlagern. Im EWLV sind Grosskunden äusserst relevant. Die 15 wichtigsten Firmen machen 70 Prozent des Umsatzes aus.
Alexander Muhm ist guter Dinge: Mit 13 dieser 15 – wozu die Migros zähle – fänden sehr gute Gespräche statt: «Ich gehe davon aus, dass wir uns finden.» Es dürfte helfen, dass die öffentliche Hand Preissteigerungen abfedert. Der Bund sieht nämlich einen zeitlich unbefristeten «Verladebonus» für Firmen vor, die den EWLV nutzen. Wenn all das nichts nützt, ist für Muhm auch die Einstellung des EWLV kein Tabu. In diesem Negativszenario dürften wohl Hunderttausende Lastwagenfahrten jedes Jahr hinzukommen.