Wenn der letzte Schwinger aus dem Sägemehlring steigt, beginnt am ESAF das zweite Fest. Dann erwacht das Glarnerland noch einmal anders.
Auf der Festmeile versammeln sich die Massen. Die grossen Zelte tragen Namen wie Kerenzer, Ricken, Sattelegg und Pragel – benannt nach den Pässen, die die Trägerregionen verbinden. Doch eigentlich könnten sie auch Kaffischnaps, VodkaRedbull und Suursöpfeli heissen. Weil es vor allem darum geht.
Drinnen spielen zwar die Stromstoss-Örgeler, Monique oder auch Francine Jordi. Für viele ist es aber Musik, die sie als Fahrstuhl-Sound bezeichnen, andere jedoch gerne dazu mitschunkeln. Oder zumindest versuchen sie es. Francine Jordi bittet das Publikum mehrmals, bei ihrem Lied mitzumachen, «rechts, links, rechts». Die Reaktion ist verhalten.
Lieber trinken die Besucherinnen und Besucher ihr Bier und reden. Oder sie tragen sich kurzerhand eine Festbank ins Zelt, weil es drinnen keine Sitzplätze mehr hat. Andere bringen gleich den ganzen Tisch.
Und das, obwohl es drinnen bereits eng ist. Zwischen Edelweisshemden und Swissgenetics-Caps stehen die Menschen dicht beieinander. Getanzt wird praktisch nicht, gesungen selten. Erst wenn jemand Göläs «Schwan» bringt, brechen die Dämme. Oder wenn «Richi» läuft – dieser Satz, den Auswanderer Hermann Schönbächler vor über 13 Jahren in der SRF-Sendung «Auf und davon» zu seinem Sohn gesagt hat. «Richi, i ha gseit, du seusch di häbä».
Stubete Gäng hat daraus einen Hit mit Millionen Klicks gemacht. Kein Wunder, sind sie am Samstagabend Hauptact auf der grössten ESAF-Bühne. Aber auch bei ihren Songs «Petra Sturzenegger» oder «Göschene Airolo» wird gekreischt, getanzt, gesungen.
Nach dem Konzert strömen Tausende zurück in Richtung Festmeile. Sie tragen Salomon-Schuhe, Edelweisshemden, kurze Hosen. In den Händen klirren Bierflaschen. Manche tragen gleich einen ganzen Harass. Andere balancieren Tabletts mit Jägermeister, zwei Kaffischnaps und einem Wasser. Es riecht nach Bratwurst, Bier, Rauch von Original Krumme. Eine Gruppe macht sich am Boden Raclette mit einem Teelicht-Set.
In den Zelten grölt die Menge «Vogellisi». Später folgt «Scharlachrot», dann «Venus vo Bümpliz». Eine Gruppe tanzt Polonaise. Dazwischen: ein Schnupf, ein Spruch, ein Lacher. Doch je später es wird, desto spezieller werden die Gespräche. Die Sprüche beim Schnupfen werden rassistischer, sexistischer. Einer meint, das Frauenstimmrecht sei «dä grössti Seich, wo’s je gäh het». Zwei andere lachen, nur einer sagt immerhin: «Bisch en Dubel.» Es bleibt bei einem Wortwechsel. Ein Typ im Edelweisshemd geht auf eine Gruppe junger Leute am Boden zu. «Was isch das? En Jugo-Kreis?» Niemand reagiert. Es bleibt ein versuchter Witz, der keiner war. Und ein Moment, der zeigt: Wo Bier fliesst, kommen nicht nur Heimatgefühle hoch.
Doch solche Aussetzer bleiben die Ausnahme. Die meisten feiern einfach. So, wie sie es für richtig halten. Im Zelt vom Kafi-Nord. In der Schwingerbar. Oder einfach draussen. Auf dem Sägemehl. Entlang der Meile stehen Mini-Sägemehlringe. Hier messen sich Freunde, Fremde, halbbetrunkene Hobby-Schwinger. Einer macht einen Handstand. Zwei andere ringen, bis ein Security eingreift, weil er dachte, es sei ernst. War es nicht. War ESAF.
Später in der Nacht schlafen einige Leute in diesen Sägemehlringen. Andere schlafen in ihren Autos. Manche auf der Wiese. Es wird sowieso nur eine kurze Nacht in Mollis. Um 7.45 Uhr geht’s wieder weiter in der Schwingarena.
Bis dahin schläft Mollis. Und träumt vermutlich von Petra Sturzenegger.