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Lärmstreit um Fussbal in Herrliberg: Ein Drama in 5 Akten.

Die Demonstranten sind zahlreich auf der Sportanlage Langacker erschienen.
Die Demonstranten sind zahlreich auf der Sportanlage Langacker erschienen.fch/benjamin benz

Warum hunderte Fussball-Junioren gegen einen Millionär marschieren: Ein Herrliberger Drama

Weil sich zwei Anwohner vom Lärm des FC Herrliberg gestört fühlen, klagten sie gegen die Gemeinde. Um den Klägern entgegen zu kommen, schränkte der Club seinen Spielbetrieb ein. Sie zogen trotzdem bis vor Bundesgericht. Jetzt marschiert ein Fussballverein für die Zukunft des Amateursports. Ein Drama in fünf Akten und einem Epilog.
13.12.2017, 21:1614.12.2017, 16:23
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Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die an Dramatik einem Theaterstück in nichts nachstehen. Eine solche Geschichte spielt sich derzeit in der Gemeinde Herrliberg an der Zürcher Goldküste ab. Zunächst einmal sollen hier die Figuren der Handlung eingeführt werden.

Dramatis Personae

Die Lärmklagenden:

  • C.S., Unternehmer, Herrliberg. Geschätztes Vermögen 10-15 Millionen Franken. Sohn des verstorbenen R.S., der sich vom Vorarbeiter zum millionenschweren Hochbau-Unternehmer, Philanthrop und Politiker hochgearbeitet hat. C.S. wohnt in einer Villa, welche durch eine bonsaigeschmückte Mauer vor neugierigen Blicken geschützt ist. Ihn stört der Lärm der 200 Meter entfernten Sportanlage des FC Herrliberg.  
  • B.v.W., hat seinen Lebensmittelpunkt in der Sonnenstube Tessin. Unternehmer im Gesundheitsbereich. Er fühlt sich in seinem Herrliberger Zweitdomizil, unmittelbar neben der Sportanlage gelegen, ebenfalls vom Lärm des Fussballbetriebs gestört.
  • R.v.d.B., Rechtsanwalt aus dem Kanton Aargau. Er hat sich auf die Bekämpfung von Lärm im Umfeld von Sportplätzen spezialisiert. Zum Auskundschaften von potenziellen Rechtsfällen schreibt er Rundbriefe an die Anwohner von Sportanlagen.
Der Stein des Anstosses: Die Sportanlage Langacker in Herrliberg.
Der Stein des Anstosses: Die Sportanlage Langacker in Herrliberg.Bild: screnshot google maps

Die Betroffenen

  • FC Herrliberg, gegründet 1975. Amateurverein mit 32 Mannschaften, davon 25 Junioren-Teams. 714 Mitglieder, davon 620 aktiv. Spielstätte: Sportanlage Langacker mit zwei Fussballplätzen. Vereinsfarben Gelb-Schwarz. Die 1. und 2. Mannschaften spielen beide in der 3. Liga des Zürcher Fussballverbands. Das «Eins» strebt den Aufsteig in die 2. Liga an.
  • Benjamin Benz (27). Er trat vor 20 Jahren als Junior dem Verein bei. Heute Geschäftsführer, Juniorenobmann, Schiedsrichter-Verantwortlicher und gute Seele des Vereins. Er will, dass die ganze Schweiz vom Fall erfährt.
  • Peter Junker, einfaches Vereinsmitglied. Ihm lupft es im Laufe des Dramas den Deckel. 
Der Beitrag von Tele Züri über den Marsch.Video: kaltura.com

Die Handlung

Der Vorhang öffnet sich, die Geschichte beginnt. An ihrem Ende werden mehrere hundert Fussball-Junioren an einem feuchtkalten Dezemberabend um die Sportanlage Langacker marschieren, um für die Zukunft ihres Vereins zu demonstrieren. Wie konnte es soweit kommen? Das Drama beginnt vor sieben Jahren und zieht sich über fünf Akte hinweg.

1. Akt: Mit dem Frühling kommt der Rechtsanwalt

April 2010. Am rechten Zürichseeufer hat der Frühling Einzug gehalten. In den gepflegten Gärten der Einfamilienhäuser am oberen Dorfrand von Herrliberg spriessen die Knospen. Auch beim Dorfverein, dem FC Herrliberg, ist die Hallensaison vorbei: Auf der Sportanlage Langacker wird wieder draussen Fussball gespielt.

Eines morgens finden die Quartierbewohner ein Schreiben in ihrem Briefkasten. Verfasser ist ein Rechtsanwalt aus Wettingen AG. Er vertrat bereits eine Anwohnergruppe in einem jahrelangen Rechtsstreit in Würenlos,  wo die Gemeinde eine Fussball- und Rugby-Anlage ausbauen wollte. Beigelegt ist dem Brief eine Beitrittsanfrage für die «Interessengemeinschaft Lärmreduktion Sportplatz Langacker»

Auf Anfrage des Tages-Anzeigers sagt der Anwalt: «Niemand möchte den Vereinen ihren Spass nehmen». Er sei von einer Gruppe von Anwohnern beauftragt worden. «Wir möchten keine emotionale Diskussion für oder wider den Sport lostreten.» Ihm sei daran gelegen, den bestehenden Interessenkonflikt zu lösen. 

Die IG habe bereits 10 Mitglieder. Er sei dabei, alle Antworten auszuwerten. Konkrete Forderungen gibt es noch keine. Der Jurist will sich als nächstes mit den Mitgliedern der IG zusammensetzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

2. Akt: Die Klage des Millionärs aus der «Frohen Aussicht»

Rund um die Sportanlage Langacker kehrt eine trügerische Ruhe ein. Der Amateurfussball schreibt seine Geschichten voller Siege und Niederlagen. Zwei Jahre hat die «IG Lärmreduktion Sportplatz Langacker» nichts von sich hören lassen. Das ändert sich 2012.

Rechtsanwalt R.v.d.B. reicht im Namen zweier Privatpersonen eine «Immissionsklage» gegen die Gemeinde Herrliberg ein. Die beiden scheinen die letzten Verbliebenen der einst angeblich 10 Mitglieder zählenden Interessengemeinschaft zu sein.

Der eine, Bauunternehmer C.S., lebt in der Villa ganz oben am Hang, wo das Siedlungsgebiet von Herrliberg endet und die Äcker und Felder am Fusse des Pfannenstiels beginnen. Das Anwesen wird noch immer vom Schild der «Wirtschaft zur Frohen Aussicht» geschmückt, die sich früher an diesem Ort befand.

C.S. bei der Teilnahme an einer Rallye in Südostasien. 
C.S. bei der Teilnahme an einer Rallye in Südostasien. Bild: screenshot youtube.com

2003 besucht ein Journalist der «NZZ am Sonntag» die Villa. Er schreibt ein Portrait über die mit Glück und Geld gesegnete Gemeinde. «Klar, dass ich die beste Aussicht habe. Und vor allem habe ich die Badewanne mit der besten Aussicht von ganz Herrliberg, ehrlich», sagt C.S. Begeistert ist er auch von den drei Kuhfladen aus Gold, die er einem Künstler abgekauft hat.

3. Akt: Das Schweigen der Schiedsrichter

Mit der «Immissionsklage» befasst sich zunächst die Baukommission der Gemeinde Herrliberg. Sie beauftragt eine externe Firma, ein Lärmgutachten zu erstellen, wie der Tages-Anzeiger (kostenpflichtiger Artikel) berichtet. Das Gutachten entlastet den Fussballclub.

In Juristendeutsch lautet die Schlussfolgerung: «Die Richtwerte gemäss Vollzugshilfe für die Beurteilung der Lärmbe­lastung von Sportanlagen vom Bundesamt für Umwelt werden grösstenteils eingehalten oder nur innerhalb der Anlage überschritten.»  

Trotzdem geben die Gutachter einige Empfehlungen ab, wie die unerwünschten Lärmemissionen reduziert werden können. Die Baukomission erlässt Richtlinien. Dahinter steckt auch die Absicht, die Kläger von einem Weiterzug an die nächste Instanz abzubringen und einen jahrelangen Rechtsstreit zu verhindern.

Ab 2015 setzt der FC Herrliberg die Empfehlungen der Baukommission um. Er verzichtet unter der Woche auf Meisterschaftsspiele der Herren. Nach 20 Uhr sind auf der Sportanlage Langacker keine Schiedsrichterpfiffe mehr zu hören. Und am Sonntag wird über Mittag von 12:15 Uhr bis 13:45 eine Spielpause eingelegt.

4. Akt: Auf der Suche nach der verlorenen Ruhe

Rechtsanwalt R.v.d.B. und seine Mandanten C.S. und B.v.W. sind nicht zufrieden mit dem Entscheid der Baukomission. Die dem FC Herrliberg auferlegten Einschränkungen seien «reine Kosmetik». Sie ziehen den Fall weiter ans Baurekursgericht. Dieses weist die Einsprache vollumfänglich ab. Die Begründung: «Es gibt keinen absoluten Anspruch auf Ruhe.» Geringfügige Störungen seien hinzunehmen und die von der Baukommission veranlassten Massnahmen ausreichend.

Doch Bauunternehmer C.S. und Zweitliegenschaftsbesitzer B.v.W. wollen nicht aufgeben. Sie ziehen den Fall ans Verwaltungsgericht. Doch auch das kommt zum selben Schluss wie die Vorinstanz. Also ziehen die Kläger den Fall weiter, diesmal vors Bundesgericht in Lausanne.

Ironischerweise ärgerte sich C.S. im Tages-Anzeiger einst über die Rekursfreudigkeit von Anwohnern bei Bauprojekten an der Goldküste: «Wäre hier nicht so viel Geld vorhanden, würde nicht so oft Einsprache eingereicht.» Da bei einer Niederlage vor Gericht die Kosten beim Einsprechenden anfielen, überlegten sich «einkommensschwächere Personen deswegen zweimal, ob sie über die Gemeindeebene hinaus Rekurs einlegen oder nicht.» Selber mit einem ausreichenden finanziellen Polster ausgestattet, macht sich C.S. diese Überlegungen offensichtlich nicht.

5. Akt: Der Zorn des Peter Junker

Der Gang vors höchste Gericht des Landes kommt im Dorf an der Goldküste schlecht an. Vereinsmitglied Peter Junker macht seinem Ärger in einem offenen Brief Luft. Das Schreiben wird auf dem Portal regional-fussball.ch veröffentlicht und x-fach geteilt. 

«Sie wissen haargenau, welche Auswirkungen ein Erfolg Ihrer Klage vor Bundesgericht hätte», wirft Junker C.S. vor: Schweizweit müssten unzählige Vereine ihren Betrieb reduzieren oder gar einstellen.

«Es ist ein Kampf des Neo-Feudalismus gegen 300‘000 Fussballer in der Schweiz, davon mehr als 80 Prozent Mädchen, Buben und Jugendliche», empört sich Junker. «Zwei Herrliberger gegen etwa 250'000 Kinder und Jugendliche! Doch es ist für Sie selbstverständlich, Ihre eigenen Interessen derart unverschämt in den Vordergrund zu stellen.»

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Epilog: Mit Punsch und Wienerli in den Kampf

Am heutigen Mittwoch hat der FC Herrliberg zu einem Protestmarsch auf die Sportanlage Langacker geladen. Geschäftsführer Benjamin Benz sagt gegenüber watson, er rechne mit 400 bis 800 Teilnehmern: «Wir erwarten Junioren, Eltern, Vereinsmitglieder und externe Unterstützer». Der Verein serviert heissen Punsch und Wienerli.

Mit dem Anlass wolle man nicht aufs Urteil einwirken, sagt Benz: «Das Bundesgericht lässt sich dadurch sicher nicht beeinflussen». Es gehe darum – auch mithilfe der Medienberichterstattung – ein Zeichen zu setzen, das in der ganzen Schweiz gesehen werde.

Mit diesem Flyer lädt der Verein zum Protest.
Mit diesem Flyer lädt der Verein zum Protest.Bild: fcherrliberg.ch

Bereits jetzt sei man bei Spielterminen unter der Woche darauf angewiesen, die Partien auswärts bestreiten zu können – oder müsse eine Sonderbewilligung einholen. Eine weitergehende zeitliche Begrenzung des Spielbetriebs würde wohl das Ende für 200 bis 300 Junioren bedeuten: «Sie stünden von heute auf morgen ohne Verein da.» 

«Sollten sich die Kläger mit ihren Vorstellungen durchsetzen können, wäre das ein verheerendes Signal für die fast 300'000 lizenzierten Fussballer in der Schweiz», sagt Geschäftsführer Benz.

Noch ist nicht bekannt, wann das Bundesgericht in der Causa FC Herrliberg sein Urteil fällen wird. Erst dann fällt der letzte Vorhang in diesem Drama.

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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chnobli1896
13.12.2017 19:24registriert April 2017
Was für ein Unsympath.
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Zum Kommentar
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Scaros_2
13.12.2017 19:20registriert Juni 2015
Ich wohne DIREKT neben einem Fussballplatz und jedes 2. Wochenende höhre ich zwischen 1-3 Matches (2. Liga Mannschaft, Junioren und Senioren) die ganzen Fans die brüllen dann "Hey schiri" fast im Minutentakt.

Stört es mich? Nicht wirklich weil unsere Neuen Wohnung ausgezeichnete isolierungen haben und das einzige was man hört ist das Knallen des Balles gegen die Metalwerbungen. Dies kommt aber nicht oft vor aber auch sonst stört es mich 0 und die rund 45 anderen Stört das glaube ich auch nicht. Man weis ja davon wenn man schon hier her zieht.
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x4253
13.12.2017 20:01registriert Juli 2016
Die Tennisplätze (auch am Wochenende bis 23:00 offen) die sich gleich daneben befinden scheinen die Herren aber nicht zu stören. Sind wohl Mitglied da. -.-
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80
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