Schweiz
Strasse

Bau der 2. Gotthard-Röhre: Experten kritisieren Astra wegen Verzögerung

Uebersicht ueber die Baustelle am Suedportal der zweiten Roehre des Gotthard-Strassentunnels am Samstag, 28. September 2024 in Airolo. Am Tag der offenen Baustelle konnte sich die Bevoelkerung ein Bil ...
Die zweite Röhre des Gotthardstrassentunnels soll im Jahr 2030 fertig sein.Bild: keystone

Krise bei der zweiten Gotthardröhre: Experten kritisieren Astra scharf

Das Bundesamt für Strassen «Astra» gerät beim Bau der zweiten Gotthardröhre in eine Krise. Insider gehen davon aus, dass sich der Tunnelausbruch im Süden um bis zu zwei Jahre verzögern könnte.
17.09.2025, 09:2717.09.2025, 13:57

Nach nur 192 Metern kam die Tunnelbohrmaschine «Paulina» Anfang Sommer zum Stillstand – das Gestein war zu brüchig. Wegen der schwierigen geologischen Verhältnisse musste das Bundesamt für Strassen (Astra) die Bauweise umstellen: Statt mit der Maschine wird der Tunnel nun per Sprengung weiter ausgebrochen. Die Folge: bis zu 20 Millionen Franken Mehrkosten und eine Verzögerung von rund acht Monaten. Laut Astra soll der geplante Eröffnungstermin dennoch bestehen bleiben.

Brancheninsider zeigen sich skeptisch. Gegenüber der SRF-«Rundschau» warnen sie vor deutlich grösseren Problemen, insbesondere beim südlichen Tunnelabschnitt. Dort könnte sich der Bau um bis zu zwei Jahre verzögern. Ein Grund: Der Personalaufwand ist massiv gestiegen – statt im Zweischichtbetrieb an fünf Tagen wird nun rund um die Uhr gearbeitet.

Die 2. Gotthardröhre

Die zweite Röhre des Gotthardstrassentunnels soll im Jahr 2030 fertig sein. Sie wird 16,9 Kilometer lang und kostet über zwei Milliarden Franken. Der Tunnel wird gleichzeitig von Norden und Süden gebaut. Im Norden läuft alles nach Plan. Im Süden gibt es aber Probleme: Die Tunnelbohrmaschine «Paulina» ist im Sommer stecken geblieben. Sie ist 116 Meter lang, hat einen Durchmesser von 12,3 Metern und 7613 PS.

Uebersicht ueber die Baustelle am Suedportal der zweiten Roehre des Gotthard-Strassentunnels am Samstag, 28. September 2024 in Airolo. Am Tag der offenen Baustelle konnte sich die Bevoelkerung ein Bil ...
Der Bau der 2. Gotthardröhre verzögert sich.Bild: keystone

Frühe Alarmzeichen

Dass die Tunnelbohrmaschine stecken blieb, kam nicht überraschend – es hatte mehrere Warnungen gegeben. Schon nach fünf Metern blieb die Maschine zum ersten Mal hängen, wie die «Rundschau» berichtet. Ein Hohlraum hatte sich gebildet, Gestein blockierte die Maschine. Sie stand einen Monat lang still. Das Astra informierte darüber nicht. Bei Tunnelmeter 192 passierte das Gleiche erneut – diesmal war der Hohlraum noch grösser.

Warnzeichen gab es schon früher: 2016 stürzte ein Bohrloch bei der sogenannten Tremola-Serie ein. «Wenn schon ein Bohrloch bei der Sondierbohrung nicht hält, ist das bereits eine rote Lampe», sagt der ehemalige Geologie-Professor der Universität Bern Adrian Pfiffner. Bereits 2018 empfahl ein 150-seitiges geologisches Gutachten, die ersten 200 bis 400 Meter beim Südportal in Airolo nicht mit der Bohrmaschine, sondern per Sprengung zu bauen.

Geologen verstehen Vorgehen nicht

Auch ein zweites geologisches Gutachten aus dem Jahr 2020 warnte vor schwierigen Verhältnissen auf den ersten 200 bis 400, eventuell sogar 700 Metern ab dem Portal Airolo. Die Gesteinsschichten seien wohl aufgelockert und weniger stabil, heisst es darin. Umso erstaunlicher: Im gleichen Gutachten wird trotzdem empfohlen, in diesem Abschnitt mit der Tunnelbohrmaschine zu arbeiten. Für Geologe Hans-Rudolf Keusen, der selbst viele Gutachten verfasst hat, ist das eine klare Warnung. «Es ist nicht nachvollziehbar, warum man die Tunnelbohrmaschine zulässt.»

Auch der ehemalige Geologie-Professor Adrian Pfiffner ist überrascht: «Die Gefahr wird im Gutachten wortwörtlich erwähnt – und trotzdem steht in einer Tabelle: Wir machen einen Tunnelbohrmaschinen-Vortrieb. Ich bin völlig perplex.» Beide Experten betonen: Unterschiedliche Einschätzungen seien normal, aber ein so grundlegender Widerspruch ohne Begründung sei sehr ungewöhnlich.

Astra verteidigt sich

Trotz der Warnungen hielt Astra an der Entscheidung fest, in der Tremola-Serie mit der Tunnelbohrmaschine zu arbeiten. Man habe dies zusammen mit Geologen und Fachleuten so beschlossen, sagt Astra-Vizedirektor Guido Biaggio. «Ein gewisses Restrisiko gibt es immer. Wir können nicht einen Tunnel bauen ohne Restrisiken.» Die Entscheidung sei auf Basis detaillierter geologischer Berichte gefallen – und diese hätten gezeigt, dass der Einsatz der Bohrmaschine grundsätzlich machbar sei. (fak)

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107 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dr. Rodney McKay
17.09.2025 09:42registriert September 2024
Für mich hört es sich so an:

Beim Astra hat man solange nach Geologen und Fachleuten gesucht, bis man die gefunden hat, welche die Tunnelbohrmaschine für die richtige Lösung hielten.

Das man, wie es scheint, mehr als 5 Vorkommnisse und Warnungen ignorierte, sollte Konsequenzen haben. Und zwar bis sehr weit nach oben.

Fakt ist aber, dass wie so oft in der Schweiz nichts passieren wird. Unsere Politiker können den Volkswillen ignorieren, Steuergelder verprassen und weitere fragwürdige Entscheidungen treffen und in 99% der Fälle gibts einen "mini-Zämeschiss"
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Aruma
17.09.2025 09:50registriert Januar 2020
Astralogik: Bewährte Geologen sagen, mit Bohrmaschine geht es nicht. Also suchen wir uns Geologen, die sagen es geht. Begründung egal.
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Tagedieb
17.09.2025 09:48registriert März 2016
Wenn Geologen der Astra sagen "es sei grundsätzlich machbar" heisst das doch selbst von diesen, dass es bessere Lösungen gibt!?
Oder warum formulieren sie es sonst so komisch?
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