Krise bei der zweiten Gotthardröhre: Experten kritisieren Astra scharf
Nach nur 192 Metern kam die Tunnelbohrmaschine «Paulina» Anfang Sommer zum Stillstand – das Gestein war zu brüchig. Wegen der schwierigen geologischen Verhältnisse musste das Bundesamt für Strassen (Astra) die Bauweise umstellen: Statt mit der Maschine wird der Tunnel nun per Sprengung weiter ausgebrochen. Die Folge: bis zu 20 Millionen Franken Mehrkosten und eine Verzögerung von rund acht Monaten. Laut Astra soll der geplante Eröffnungstermin dennoch bestehen bleiben.
Brancheninsider zeigen sich skeptisch. Gegenüber der SRF-«Rundschau» warnen sie vor deutlich grösseren Problemen, insbesondere beim südlichen Tunnelabschnitt. Dort könnte sich der Bau um bis zu zwei Jahre verzögern. Ein Grund: Der Personalaufwand ist massiv gestiegen – statt im Zweischichtbetrieb an fünf Tagen wird nun rund um die Uhr gearbeitet.
Die 2. Gotthardröhre
Die zweite Röhre des Gotthardstrassentunnels soll im Jahr 2030 fertig sein. Sie wird 16,9 Kilometer lang und kostet über zwei Milliarden Franken. Der Tunnel wird gleichzeitig von Norden und Süden gebaut. Im Norden läuft alles nach Plan. Im Süden gibt es aber Probleme: Die Tunnelbohrmaschine «Paulina» ist im Sommer stecken geblieben. Sie ist 116 Meter lang, hat einen Durchmesser von 12,3 Metern und 7613 PS.
Frühe Alarmzeichen
Dass die Tunnelbohrmaschine stecken blieb, kam nicht überraschend – es hatte mehrere Warnungen gegeben. Schon nach fünf Metern blieb die Maschine zum ersten Mal hängen, wie die «Rundschau» berichtet. Ein Hohlraum hatte sich gebildet, Gestein blockierte die Maschine. Sie stand einen Monat lang still. Das Astra informierte darüber nicht. Bei Tunnelmeter 192 passierte das Gleiche erneut – diesmal war der Hohlraum noch grösser.
Warnzeichen gab es schon früher: 2016 stürzte ein Bohrloch bei der sogenannten Tremola-Serie ein. «Wenn schon ein Bohrloch bei der Sondierbohrung nicht hält, ist das bereits eine rote Lampe», sagt der ehemalige Geologie-Professor der Universität Bern Adrian Pfiffner. Bereits 2018 empfahl ein 150-seitiges geologisches Gutachten, die ersten 200 bis 400 Meter beim Südportal in Airolo nicht mit der Bohrmaschine, sondern per Sprengung zu bauen.
Geologen verstehen Vorgehen nicht
Auch ein zweites geologisches Gutachten aus dem Jahr 2020 warnte vor schwierigen Verhältnissen auf den ersten 200 bis 400, eventuell sogar 700 Metern ab dem Portal Airolo. Die Gesteinsschichten seien wohl aufgelockert und weniger stabil, heisst es darin. Umso erstaunlicher: Im gleichen Gutachten wird trotzdem empfohlen, in diesem Abschnitt mit der Tunnelbohrmaschine zu arbeiten. Für Geologe Hans-Rudolf Keusen, der selbst viele Gutachten verfasst hat, ist das eine klare Warnung. «Es ist nicht nachvollziehbar, warum man die Tunnelbohrmaschine zulässt.»
Auch der ehemalige Geologie-Professor Adrian Pfiffner ist überrascht: «Die Gefahr wird im Gutachten wortwörtlich erwähnt – und trotzdem steht in einer Tabelle: Wir machen einen Tunnelbohrmaschinen-Vortrieb. Ich bin völlig perplex.» Beide Experten betonen: Unterschiedliche Einschätzungen seien normal, aber ein so grundlegender Widerspruch ohne Begründung sei sehr ungewöhnlich.
Astra verteidigt sich
Trotz der Warnungen hielt Astra an der Entscheidung fest, in der Tremola-Serie mit der Tunnelbohrmaschine zu arbeiten. Man habe dies zusammen mit Geologen und Fachleuten so beschlossen, sagt Astra-Vizedirektor Guido Biaggio. «Ein gewisses Restrisiko gibt es immer. Wir können nicht einen Tunnel bauen ohne Restrisiken.» Die Entscheidung sei auf Basis detaillierter geologischer Berichte gefallen – und diese hätten gezeigt, dass der Einsatz der Bohrmaschine grundsätzlich machbar sei. (fak)