Schweiz
Terrorismus

Vier Syrer in der Westschweiz wegen Terrorismusverdacht verhaftet

Nach Verhaftung von vier Syrern: «Schweiz darf kein sicherer Hafen für Terroristen werden»

Der Vorwurf lautet Unterstützung einer terroristischen Gruppierung: Die Polizei nimmt in der Westschweiz vier Syrer fest, zwei davon in Asylunterkünften. Das Phänomen des dschihadistischen Terrorismus sei mitnichten verschwunden, warnt die Bundesanwaltschaft.
23.08.2023, 07:0623.08.2023, 07:06
Kari Kälin / ch media
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ALEPPO, SY - FEBRUARY 13: Prolonged civil war is giving extremist factions such as the Islamist Jabhat al-Nusra many opportunities to win hearts and minds. (Paul Watson/Toronto Star via Getty Images)
Ein Angehöriger des Al-Kaida-Ablegers Al-Nusra überreicht einem Kleinkind seine Waffe, Aleppo.Bild: Toronto Star/getty images

Die Nachricht hat es in sich, ist aber in den Sommerpossen um den SVP-Wahlkampfsong und die fehlerhaften Hitzeprognosen von SRF Meteo fast ein bisschen untergegangen. Am vorletzten Donnerstag haben Bundes- und Kantonspolizisten in den Kantonen Waadt und Neuenburg sieben Häuser durchsucht und dabei vier Syrer festgenommen. Zwei von ihnen wohnen im Kanton Waadt, die beiden anderen befanden sich zum Zeitpunkt der Verhaftung in Asylunterkünften in den Kantonen Waadt und Neuenburg.

Die Bundesanwaltschaft hatte gegen die vier schon mehrere Monate vorher ein Verfahren eröffnet. Sie wirft den Männern im Alter von 28, 49, 53 und 57 Jahren Verstösse gegen das IS/Al-Kaida-Gesetz vor. Konkret sollen sie den syrischen Al-Kaida-Ableger Jabhat Al-Nusra auf verschiedene Weise unterstützt haben. Im Rahmen der Strafverfahren steht die Bundesanwaltschaft im Austausch mit mehreren anderen Ländern.

Weitere Details geben die Behörden nicht preis. Die Öffentlichkeit tappt zum Beispiel im Dunkeln, was genau die Verhafteten verbrochen haben sollen - und ob die Schweizer Sicherheitsbehörden die mutmasslichen Terrorunterstützer selber entdeckten oder ein Tipp ausländischer Dienste den Ausschlag gab. Zum ausländerrechtlichen Status erteilt das Staatssekretariat für Migration (SEM) keine Auskünfte. Es ist aber naheliegend, dass sie als Asylsuchende in die Schweiz gelangten und entweder als Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen wurden.

Die Coronapandemie oder der Ukraine-Krieg haben die islamistische Terrorgefahr zwar medial etwas in den Hintergrund gedrängt. Der Nachrichtendienst des Bundes warnt in seinem aktuellen Lagebericht aber weiterhin vor einer erhöhten Gefahr. Das wahrscheinlichste Szenario in der Schweiz sei ein Gewaltakt durch dschihadistisch inspirierte Einzeltäter. Solche Fälle ereigneten sich zweimal im Jahr 2020. In Morges erstach ein Täter einen Mann und schrie laut «Allahu akbar» («Allah ist der Grösste»). Im gleichen Jahr verletzte eine Dschihadistin eine Kundin in einem Manor in Lugano schwer mit einem Messer.

In regelmässigen Abständen vermeldet sodann die Bundesanwaltschaft neue Verfahren gegen Terrorverdächtige. Seit einiger Zeit sei die Zahl der laufendende Verfahren auf hohem Niveau (rund 70) stabil, schreibt sie auf Anfrage von CH Media. Und: «Das Phänomen des dschihadistisch motivierten Terrorismus ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft mitnichten verschwunden, sondern nach wie vor sehr präsent in der Schweiz.» Bei den Verfahren geht es etwa um Rekrutierung und Finanzierung zugunsten von Terrororganisationen oder Propaganda. Vereinzelt steht auch der Verdacht auf Planung von Attentaten im Raum.

Sicherheitspolitikerin will Antworten von Bundesrätin Baume-Schneider

Auf die Verhaftung der vier Syrer hat FDP-Nationalrätin Jacqueline de Quattro mit einem Post auf dem Portal Linkedin reagiert. «Schluss mit unserer Naivität, wir müssen aufwachen», schrieb die frühere Waadtländer Sicherheitsdirektorin. Wie ist das gemeint? Auf Anfrage von CH Media sagt sie: «Es kommen nicht nur schutzbedürftige Menschen in die Schweiz. Auch wenn wir diese unbequeme Wahrheit nicht wahrhaben wollen; einige von ihnen sind uns nicht wohlgesinnt», sagt sie. Die Schweiz müsse lernen, sich zu schützen.

Nationalraetin Jacqueline de Quattro, FDP-VD, und Staenderat Damian Mueller, FDP-LU, von links, sprechen zur Migrationspolitik, am Freitag, 11. August 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Nationalrätin Jacqueline de Quattro (links), hier während einer Pressekonferenz neben Parteikollege und Ständerat Damian Müller.Bild: keystone

Am Montag tagt die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats in Zürich. Auch Elisabeth Baume-Schneider wird anwesend sein. De Quattro erwartet von der Justizministerin, dass sie die Kommissionsmitglieder über den Stand des Verfahrens gegen die Syrer informiert. Sie interessiert vor allem die Frage, ob es sich um Einzeltäter handelt oder ob sie Rädchen in einem grösseren Netzwerk sind. «Die Schweiz darf nicht zum sicheren Hafen oder zur logistischen Drehscheibe von terroristischen Aktivitäten werden», mahnt de Quattro.

Auch andere Sicherheitspolitiker zeigen sich besorgt. Es sei wichtig, dass jetzt die involvierten Behörden im Inland gut miteinander zusammenarbeiteten und die Kooperation mit ausländischen Sicherheitsdiensten klappe, sagt Nationalrat François Pointet (GLP, VD). Ida Glanzmann (Mitte, LU) ist froh, dass das Volk vor zwei Jahren das Gesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen hat.

Dieses gibt den Sicherheitsbehörden mehr Präventionsinstrumente in die Hand. Jean-Luc Addor (SVP, VS) sagt derweil: «Die SVP warnt seit Jahren, dass Terroristen manchmal das Asylrecht missbrauchen.» Auf X (früher Twitter) bewirtschafte die Partei den Fall mit den vier verhafteten Syrern aus der Westschweiz für den Wahlkampf.

2015 und 2016 wurde bekannt, dass vereinzelt Attentäter als Flüchtlinge getarnt nach Europa gelangten. Im Lagebericht 2019 hielt der Nachrichtendienst des Bundes fest, die europäischen Sicherheitsbehörden hätten die Migrationsbewegungen deshalb verstärkt in den Fokus genommen. Neu ankommende Asylsuchende mit Verbindungen zu Terrorismus seien aber die Ausnahme.

Nachrichtendienst durchleuchtet Asyldossiers

In der Schweiz prüft das Staatssekretariat für Migration bei jedem Gesuchsteller, ob er eine Gefahr für die innere und äussere Sicherheit darstellt. Es ist verpflichtet, Verdächtige dem Nachrichtendienst des Bundes zu melden. Im vergangenen Jahr nahm dieser 713 Asyldossiers genauer unter die Lupe und konstatierte in einem Fall ein Sicherheitsrisiko. Es waren früher auch schon mehr. 2018 zum Beispiel identifizierte der Nachrichtendienst 21 potenzielle Gefährder bei 5333 durchleuchteten Asylgesuchen.

Gesuchsteller mit Bezug zu Terrorismus werden weggewiesen. Sie können sich nicht darauf berufen, dass eine Ausschaffung wegen allgemeiner Gefahr unzumutbar sei. Wenn ihnen indes Folter und Gefahr an Leib und Leben drohen, werden sie vorläufig aufgenommen. Das eidgenössische Parlament hiess zwar eine Motion gut, in der Nationalrat Fabio Regazzi (Mitte, TI) Ausschaffungen von verurteilten Terroristen auch bei Foltergefahr ermöglichen wollte. Vor einem Jahr schrieb das Parlament den Vorstoss aber ab.

Der Bundesrat hatte immer argumentiert, das Anliegen sei wegen des völkerrechtlichen Non-Refoulement-Prinzips nicht umsetzbar. Auch in der Bundesverfassung steht, dass niemand in einen Staat ausgeschafft werden darf, in dem ihm Folter und unmenschliche, grausame Behandlung drohen. (aargauerzeitung.ch)

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19 Kommentare
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cille-chille
23.08.2023 08:31registriert Mai 2014
Das Völkerrecht zu achten, sehe ich als ein zentraler Aspekt in einer entickelten Gesellschaft.

Jedoch zum Schutz einzelner, welche sich null um das Völkerrecht scheren, unsere Bevölkerung zu belasten, da sehe ich eine Grenze.

Verurteilte Terroristen aus zu schaffen empfinde ich als korrekt.

Das auslöffeln der Suppe, welche man angerichtet hat, gilt meines Erachtens auch für Staaten, Täter und andere Beteiligte. Zumal vorhergehend ein rechtsstaatliches Verfahren statt gefunden hat.
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