Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts galt der Wolf in der Schweiz als ausgerottet. Vereinzelte Exemplare tauchten hin und wieder auf, doch erst seit Mitte der 1990er Jahre ist er gekommen, um zu bleiben. Seither gehen die Emotionen hoch. Während sich die urbane Bevölkerung im Mittelland über die Rückkehr des Raubtiers freut, wünschen die Bergler den Wolf ins Pfefferland.
Seit Jahren beschäftigt er deswegen die Politik. Im Juni 2018 stimmte der Ständerat für eine Lockerung des Wolfsschutzes. Nun ist der Nationalrat am Zug, er berät am Mittwoch in seiner Sondersession über die Revision des Jagdgesetzes. Der ganze Sitzungstag ist für dieses Thema reserviert – ein Indiz dafür, dass eine lange und vor allem emotionale Debatte erwartet wird.
In der Schweiz sollen gegen 50 Wölfe leben. Es werden bis zu vier Rudel vermutet. Das bekannteste ist jenes am Calanda in Graubünden, doch auch in St.Gallen, im Tessin und im Wallis sollen Wölfe in Gruppen unterwegs sein. Hinzu kommen einige Einzelgänger. Die meisten Wölfe leben in den Bergen, doch manchmal wagen sie sich ins Mittelland vor.
Im März wurde erstmals ein Wolf von einer Fotofalle im Kanton Aargau erwischt. Für Schlagzeilen sorgte 2014 ein Exemplar, das in der Zürcher Vorortsgemeinde Schlieren von einem S-Bahn-Zug überfahren wurde. In der Regel meidet der Wolf den Kontakt zu Menschen. Angriffe sind extrem selten und meist die Folge von menschlichem Fehlverhalten oder Krankheiten wie Tollwut.
Wölfe ernähren sich überwiegend von Wildtieren, doch sie reissen auch Nutzvieh wie Schafe und Ziegen. Pro Jahr werden gegen 400 Fälle registriert. Im gleichen Zeitraum sterben laut der Umweltorganisation WWF rund 4000 Schafe an Krankheiten und bei Abstürzen auf der Alp, weil sie ungenügend kontrolliert werden. Das besänftigt die Züchter nicht, sie nehmen den Wolf ins Visier.
Im Wallis, wo die Wut auf den Wolf besonders gross ist, kam es zu einigen illegalen Abschüssen. Im Kanton Uri wurde im Februar eine Volksinitiative «Zur Regulierung von Grossraubtieren» mit knapp 70 Prozent Ja angenommen. Die Bauernvereinigung im Kanton Schwyz stimmte im März an ihrer DV einem Antrag zu, der die Ausrottung von Wolf und Bär verlangt.
Bis heute hält sich unter Wolfsgegnern hartnäckig der Mythos, die Tiere seien in der Schweiz vorsätzlich ausgesetzt oder ausgewildert worden, wie dies beim Luchs und beim Bartgeier tatsächlich der Fall war. Beweise dafür gibt es keine. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Wölfe aus dem südlichen Alpenraum, vor allem aus Italien, eingewandert sind.
Heute können Wölfe abgeschossen werden, wenn sie innerhalb von vier Monaten mindestens 15 Nutztiere getötet haben oder sich gegenüber Menschen zu wenig scheu oder aggressiv verhalten. Der Ständerat will den Schutz lockern. Wölfe sollen zum Abschuss frei gegeben werden, wenn sie erhebliche Schäden verursacht haben oder eine konkrete Gefährdung von Menschen darstellen.
Die Umweltkommission des Nationalrats geht noch weiter, sie hat die Begriffe «erheblich» und «konkret» gestrichen. Auch gegen «verhaltensauffällige» Tiere soll vorgegangen werden. Nur ganz knapp stimmte die Kommission ausserdem dafür, das Beschwerderecht der Umweltverbände gegen Abschussbewilligungen von kantonalen Jagdbehörden zu streichen.
Um die Jagd auf den Wolf zu erleichtern, muss sein Status von «streng geschützt» auf «geschützt» zurückgestuft werden. Das Bundesamt für Umwelt hat letztes Jahr einen entsprechenden Antrag bei der Berner Konvention eingereicht. 2006 war das gleiche Gesuch abgelehnt worden. Dieses Mal könnte es durchkommen, denn der Wolf sorgt auch in anderen Ländern für rote Köpfe.
Der Ständerat will auch den Abschuss von Bibern und Luchsen vereinfachen. Der Luchs ist weniger umstritten als der Wolf, weil er seltener Nutztiere erlegt. Über ihn ärgern sich vor allem die Jäger. Der Biber sorgt mit seinen Dammbauten immer wieder für Überschwemmungen von Kulturland. Die Kommission des Nationalrat lehnt diese Massnahme jedoch ab.
Nach der Beratung im Nationalrat geht das Gesetz angesichts der absehbaren Differenzen zurück an den Ständerat. Umweltorganisationen wie die Gruppe Wolf Schweiz drohen mit dem Referendum gegen ein «reines Abschussgesetz». Dieses dürfte keineswegs chancenlos sein. Umfragen haben wiederholt eine hohe Akzeptanz des Wolfs in der Schweiz ergeben.
Um ein Referendum zu verhindern, müsse der Nationalrat «Gegensteuer geben und den Tierschutz strikter auslegen», mahnte die NZZ. Selbst bürgerliche Politiker aus Jagdkantonen haben die Gefahr erkannt, so der scheidende Berner BDP-Ständerat Werner Luginbühl: «Wir dürfen nicht überschiessen», mahnte er während der Debatte im Rat in durchaus passendem Jargon.
Aber es zeigt auch schön die heutige Zeit auf. Anstelle sich darauf einzustellen, entsprechende Massnahmen zu ergreifen und damit umzugehen werden Schutzbestimmungen gelockert und der „einfache“ Weg eingeschlagen.