Die Eigenkapitalfrage bewegt die UBS-Aktien und die Schweizer Politik in diesen Tagen mit grosser Intensität. Voraussichtlich am Freitag wird der Bundesrat dem Parlament einen Vorschlag unterbreiten, wie viel hartes Eigenkapital die Grossbank künftig haben muss. Seit Monaten lobbyiert die UBS gegen zu hohe Anforderungen, doch Finanzministerin Karin Keller-Sutter will dem Vernehmen nach hart bleiben. Das demokratische Ringen um eine Lösung ist wichtig für die Bank, den Schweizer Finanzplatz und für die ganze Volkswirtschaft.
Doch hat die Eigenkapitalfrage auch eine schicksalhafte Bedeutung für das Land? Zahlreiche Akteure in Politik und Wirtschaft glauben dies. Kein Wunder: sie stehen immer noch unter dem lebendigen Eindruck des Untergangs der Credit Suisse.
Doch im Ringen zwischen Bedenkenträgern und Verfechtern einer liberaleren Kapitalgesetzgebung darf nicht vergessen gehen, dass die Finanzmärkte und die darin tätigen Banken auch starken unterschwelligen Einflüssen unterliegen – deren Gewalt oft lange verborgen bleibt, dann aber scheinbar plötzlich dramatische Wendungen in der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Entwicklung bewirken kann.
UBS ist der Kunstname einer Bank, die im Juni 1998 aus der Fusion des Basler Bankvereins und der Zürcher Bankgesellschaft entstanden war. Hinter den drei Buchstaben verbergen sich unzählige Ereignisse, die viel über unerwartete Sprünge des internationalen Bankgeschäfts erzählen. Sie rufen das bisweilen atemberaubende Tempo in Erinnerung, mit dem sich solche Ereignisse abspielen und in der Dynamik der Finanzmärkte überschlagen können.
Ein treffendes Beispiel dafür ist die Geschichte der Londoner Merchant Bank SG Warburg. Vor genau dreissig Jahren wurde die Bank vom Basler Bankverein einverleibt und unter Führung des damaligen Investmentbank-Chefs Marcel Ospel unter der Bezeichnung SBC Warburg in die Konzernstruktur integriert.
SG steht für den Namen des Bankgründers Siegmund, der das Metier im Alter von 18 Jahren in der alteingesessenen Bank seines Onkels M.M. Warburg in Hamburg zu erlernen begann. 1933 verliessen Siegmund Warburg und seine junge Familie Deutschland in Richtung London, um der Judenverfolgung durch die Nazis zu entkommen.
Erst 1946 gegründet, avancierte die Bank SG Warburg zu einer «prestigeträchtigen und weltweit bekannten Investmentbank», wie sich der frühere Bankverein-Chef Georges Blum in seiner Schrift über das Vorspiel der Grossfusion von 1998 mit Stolz erinnert.
Zweifellos war der Erwerb dieser vergleichsweise jungen, auf dem Londoner Finanzplatz schnell überaus bedeutungsvoll gewordenen Bank eine Trophäe für den Bankverein. Die Grossbank hatte sich zwar schon 1898 mit einer eigenen Filiale in London niedergelassen. Im schnell wachsenden und lukrativen Geschäft mit internationalen Anleihen erlangten die Basler aber nie eine wesentliche Rolle.
Die SG-Warburg-Akquisition sollte das ändern. Doch viel mehr als eine kurze Welle von internationaler Aufmerksamkeit hat der schlagzeilenträchtige Coup dem Bankverein nicht gebracht. Wie die Schweizer bald feststellen mussten, hatte die britische Neuerwerbung mit dem klingenden Namen einer alten Bankiersdynastie ihren Höhepunkt längst überschritten.
Langjährige Führungskräfte wie David Scholey, der SG Warburg beim Verkauf 1995 als Präsident vorgestanden hatte, verorteten den Zenit der Bank irgendwo in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre.
Das waren die Jahre, in denen der noch vor Kriegsende in Bretton Woods geschaffene internationale Gold-Devisen-Standard zu seinem Ende kam. Die Währungskooperation wollte verhindern, dass sich die kriegsversehrten Länder im Streben nach dringend benötigten Deviseneinnahmen nicht gleich in einen neuen Krieg, in einen Wirtschaftskrieg, verstrickten. Die Gefahr war virulent, dass die verarmten Länder der Versuchung erliegen würden, durch hohe Zölle und Abwertungen der eigenen Währung einen Wettbewerbsvorteil für die eigene Industrie herauszuholen, was aber nur eine Spirale der immer grösseren Armut und Arbeitslosigkeit in Gang gesetzt hätte.
Das Pfund, die Währung der einstigen britischen Weltmacht, die ihre Devisen- und Goldreserven zur Finanzierung des Krieges weitestgehend aufgebraucht hatte, war als internationale Reservewährung nicht mehr zu gebrauchen. 70 Prozent der weltweiten Goldreserven lagen inzwischen in Amerika. So vereinbarten 44 Länder in Bretton Woods ein System, in dem sich die amerikanische Notenbank verpflichtete, Dollars jederzeit zu einem festen Preis in Gold umzutauschen. Die anderen Notenbanken im System verpflichteten sich ihrerseits, ihre Währungen an den Dollar zu binden.
Das System brachte während mehr als zwanzig Jahren die erhoffte Stabilität und machte in Europa das Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre möglich. Doch während die USA in Korea und später in Vietnam weiter teure Kriege führten, bildeten sich zunächst unterschwellig, ab Mitte der 1960er-Jahre aber zunehmend offensichtlich neue Ungleichgewichte.
Die vielen Dollars, welche die USA zur Finanzierung ihrer Politik druckten, führten zu immer grösseren Dollarbeständen ausserhalb des Landes, die nicht mehr glaubwürdig in Gold getauscht werden konnten. Der Eurodollar-Markt war geboren. Der Name dieses Marktes stand für hohe Dollarbestände in den europäischen Geschäftsbanken, für die es kein Zurück mehr in den heimischen Hafen mehr gab.
London wurde zum internationalen Freihafen, die Warburg-Bank zu einer zentralen Schaltstelle dieser «Schmuggelwährung».
Eurodollar-Anleihen wurden zu einem begehrten Finanzierungsinstrument für Länder und multinationale Konzerne und die Papiere waren auch bei Anlegern beliebt, zumal dieser aufgrund seines Offshore-Charakters frei von amerikanischen Verrechnungssteuern und anderen Regularien prosperieren konnte. Siegmund Warburg und seine Bank agierten erfolgreich als Mittler zwischen Schuldnern und Investoren, ohne selbst grosse bilanzielle Risiken einzugehen.
Doch bald entdeckten auch amerikanische und Schweizer Banken die Goldader in London. Das Geschäft, in dem Siegmund Warburg stets der maximale ökonomische Nutzen seiner Kunden vorschwebte, mutierte zum Selbstzweck und zum Eldorado einer internationalen Bankindustrie, deren Ziele nur noch in der kurzfristigen Gewinnmaximierung unter Inkaufnahme immer grösserer Risiken bestanden.
Mit der Auflösung des Bretton-Woods-Systems kam es zu einer radikalen Neubewertung der Währungen. Der Franken und die Deutsche Mark verteuerten sich im Vergleich zum Dollar, zum Pfund und zu anderen Währungen schlagartig. Es folgte ein dramatischer Anstieg der Inflationsraten und kam zu Wirtschaftskrisen in vielen Ländern. Derweil begann sich auf dem Londoner Finanzplatz eine neue Kultur zu etablieren, die bald einmal in den Millionenboni für Manager kulminierte, deren Talente mehr im Verkaufen von Wertpapieren als in der Lösung von Finanzierungsbedürfnissen von Kunden bestand.
Die Kultur des modernen Investment Bankings hat die Häufung von Finanzkrisen seit den 1990er-Jahren stark begünstigt und mitverantwortet, dass die Notenbanken mehr und mehr in Feuerlöscher-Rollen des globalen Finanzsystems schlüpften. Die Dollarflut ist dadurch weiter angeschwollen.
Das Zahlungsbilanzdefizit, mit dem die Amerikaner die Welt nach dem Krieg finanzierte, wurde schon damals von vielen als Problem gesehen. Doch im Vergleich zum aktuellen Defizit von über 1000 Milliarden Dollar, das US-Präsident Donald Trump zu seiner radikalen Zollpolitik veranlasst hat, waren die seinerzeitigen Ungleichgewichte schon fast vernachlässigbar.
Das globale Finanzsystem steht mit Blick auf die enorme Verschuldung von vielen Ländern, Unternehmen und privaten Haushalten auf tönernen Füssen. William White, der frühere Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, sagte im Dezember 2023 im Gespräch mit CH Media: «Die USA hatten mit dem goldgedeckten Dollar eine starke Währung und einen starken Anreiz, mehr zu importieren als zu exportieren. Im Prinzip hätte das wachsende Zahlungsbilanzdefizit der USA das Vertrauen in den Dollar schwächen müssen, aber das war nicht der Fall.»
Eine Fehlkonstruktion, die dem Bretton-Woods-System innewohnte, existiert in anderer Form bis heute weiter. «Es gibt offensichtlich Systeme, die fundamental instabil sind, die aber viel länger funktionieren können, als man erwarten würde», sagte White. Was er auch noch hätte sagen können: Wenn die Märkte solche Ungleichgewichte zu korrigieren beginnen, kann es in der Welt und insbesondere in der Finanzwelt sehr ungemütlich werden.
So ungemütlich, dass der Sturm auch strenge Kapitalschutzdispositive für Banken und Grossbanken schnell aus den Angeln heben kann. Das bedeutet nicht, dass man der UBS keine strengen Auflagen machen soll. Aber es bedeutet, dass man dies im Wissen ihrer Begrenzungen mit der nötigen Demut tun sollte.
Übrigens: Die Grossbank hat den Namen Warburg 2003 vollständig aus ihrem Namen gestrichen. (nib/aargauerzeitung.ch)