Sozialhilfe-Bschiss: Mieter kassieren Millionen für Scheindomizil an Drogenhotspot
An der Rue de Genève 85 konzentriert sich das urbane Elend von Lausanne. Seit Jahren findet in und um den mehrstöckigen Wohnblock Drogenhandel statt – mit all seinen Begleiterscheinungen: offener Konsum auf der Strasse, Gewalt, Prostitution, Diebstähle, Einbrüche, Belästigungen.
Im letzten Sommer zeichnete der «Blick» ein tristes Sittenbild der Zustände in dieser Zone. Da sind die Grossmütter, die sich mit Wasserkochern bewaffnen und die Waschküche nur noch zusammen aufsuchen, weil diese von Drogensüchtigen okkupiert wird. Es gibt Seniorinnen, die nur noch mit Messer einkaufen gehen. Und Nachbarn, die Baseballschläger und Pfefferspray angeschafft haben.
Die Waadtländer Staatsanwaltschaft führt in Zusammenarbeit mit der Stadt- und Kantonspolizei seit einiger Zeit Ermittlungen zum Drogenhandel und zu illegalem Aufenthalt im Problemquartier. Quasi als Beifang haben die Strafverfolgungsbehörden jetzt einen umfassenden mutmasslichen Sozialhilfebetrug aufgedeckt. Das kantonale Sozialamt hat darum Strafanzeige eingereicht.
Provisionen für Hausverwalter und Abwart
Gemäss bisherigem Erkenntnisstand haben der Verwalter des Gebäudes und der Hausabwart 41 Personen Mietverträge ausgestellt, die Briefkästen mit deren Namen beschriftet und sie geleert. Die 41 Personen, davon 20 Ehepaare, wohnten aber gar nicht wirklich an der Rue de Genève 85, sondern an anderen Orten in der Stadt oder im Kanton. Die Paare gaukelten den Behörden vor, sie würden getrennt voneinander leben. Es handelt sich dabei um Menschen aus Eritrea, Afghanistan, Somalia und der Schweiz im Alter von 29 bis 56 Jahren. Dank der Scheinwohnungen sollen sie zwischen 2018 und 2025 1,9 Millionen Franken Sozialhilfe erschlichen haben, pro Person knapp 5800 Franken pro Jahr.
Der Hausverwalter und der Abwart, die einige Zeit in Untersuchungshaft verbrachten, sollen für ihre Dienste etwa eine halbe Million Franken Provision garniert haben. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft Betrug, Geldwäsche und Urkundenfälschung vor.
In den Wohnungen an der Rue de Genève 85 waren gemäss Recherchen dieser Zeitung statt der Scheinmieter zum Teil Personen ohne Aufenthaltstitel untergebracht. Sie stehen im Verdacht, in den Drogenhandel verwickelt zu sein, der in Lausanne von Nigerianern dominiert wird.
Auch in diesem Bereich erzielten die Polizei und die Staatsanwaltschaft kürzlich einen Erfolg. Am 14. Mai 2024 drangen 60 Polizistinnen und Polizisten in mehrere Wohnungen im berüchtigten Gebäude an der Rue de Genève 85 ein. Dabei nahmen sie 39 Personen fest, fanden mehr als ein Kilogramm Kokain und beschlagnahmten 48'000 Franken.
Zwei der Verhafteten kassierten unmittelbar einen Strafbefehl, vier landeten in Untersuchungshaft, und drei wurden in andere Kantone transferiert, um dort Strafen zu verbüssen. Den festgenommenen Personen wird vorgeworfen, in den Kokainhandel in verschiedenen Städten des Kantons Waadt involviert zu sein. Es handelt sich um Staatsangehörige aus Nigeria und Ghana im Alter von 22 bis 40 Jahren. (aargauerzeitung.ch)
