Kaum eine Bevölkerungsgruppe ist im Bundeshaus derart «übervertreten» wie die Bauern. Die Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier, zu der man nur auf Einladung zugelassen wird, umfasst rund 30 Mitglieder von National- und Ständerat. Nochmals ein Stück grösser ist der Landwirtschaftliche Klub der Bundesversammlung mit 84 Mitgliedern.
Im «Klub» können alle mitmachen, die sich für landwirtschaftliche Themen interessieren. Weshalb man auf der Mitgliederliste Namen wie Meret Schneider und Cédric Wermuth findet. Für gewöhnlich umfasst sie gegen 100 Personen. Die rückläufige Beteiligung ist für den Präsidenten des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) ein Problem.
Sein Fazit der abgelaufenen Legislaturperiode falle «sehr durchzogen» aus, meinte der St.Galler Mitte-Nationalrat Markus Ritter im Gespräch mit watson. Im Nationalrat sei es schwierig geworden, Mehrheiten für wichtige Anliegen zu organisieren. Denn die grosse Kammer wurde bei den Wahlen 2019 jünger, grüner und damit auch bauernkritischer.
Dies war selbst für einen schlauen Lobbyisten wie Ritter eine Herausforderung. Kaum jemand im Parlament versteht es so meisterhaft, seine Forderungen durchs Parlament zu «pushen», ob mehr Geld oder weniger Auflagen für die Landwirtschaft. Erfolglos war er auch in den letzten vier Jahren nicht. So kippte die Bauernlobby die ökologischen Ziele aus der Agrarpolitik 22+.
Dennoch ist der Rheintaler Biobauer unzufrieden. Als Negativbeispiel erwähnt er das Schleppschlauch-Obligatorium. Demnach darf Gülle nur noch mit solchen Schläuchen auf den Feldern verteilt werden, damit weniger Ammoniak freigesetzt wird. Die Umsetzung per 1. Januar 2024 sei «schwierig und administrativ enorm aufwändig», meint Ritter.
Das revidierte Raumplanungsgesetz mit neuen Regeln für das Bauen ausserhalb der Bauzone ist für den SBV-Präsidenten «plus minus positiv». Kritisch beurteilt Ritter hingegen den angestrebten Mindestanteil von 3,5 Prozent an Biodiversitätsflächen auf Ackerböden: «Damit fallen 10’000 Hektaren Kulturland aus der Produktion weg. Auf dieser Fläche konnten wir Weizen für Brot für eine Million Menschen pro Jahr produzieren.»
Der Ständerat hat am letzten Donnerstag beschlossen, daran festzuhalten, die Einführung aber um ein Jahr bis 2025 aufzuschieben. Der WWF zeigte sich in einer Mitteilung empört und verwies auf den schlechten Zustand der Biodiversität in der Schweiz. Und selbst SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin sprach von einem Verstoss «gegen Treu und Glauben».
Der Konflikt um die Artenvielfalt, der sich auch an der Biodiversitäts-Initiative und dem vom Bauernverband vehement bekämpften Gegenvorschlag des Bundesrats entzündet, illustriert die aus Sicht der Bauernlobby entscheidenden Konfliktlinien: Der Ständerat wollte den Gegenvorschlag versenken, während der Nationalrat in der Herbstsession daran festhielt.
Wirkungslos war die «grüne Welle» nicht. Sie trug 2019 Kilian Baumann ins Parlament. Der 42-jährige Berner ist Biobauer wie Markus Ritter, setzt politisch jedoch andere Akzente. Das gilt auch für die Legislatur-Bilanz: «Es braucht wahnsinnig viel Durchhaltewillen, um Veränderungen zu erzielen.» Gemessen daran habe man jedoch «recht viel erreicht».
Das gilt aus Baumanns Sicht besonders für den Absenkpfad zur Pestizidreduktion, den «informellen» Gegenvorschlag zur Trinkwasser- und zur Pestizid-Initiative. Sie wurden im Juni 2021 nach einem gehässigen Abstimmungskampf abgelehnt. Grünen-Nationalrat Kilian Baumann hatte sie befürwortet. Er und seine Familie waren deshalb massiv bedroht worden.
Es sei eine «sehr emotionale» Zeit gewesen, sagt er heute: «Aber ich blieb standhaft, trotz des enormen Drucks.» Er habe auch positive Reaktionen erhalten: «Selbst bei uns im Berner Seeland haben einige erkannt, dass es Veränderungen braucht.» Und dank der beiden Initiativen seien im Parlament knappe Mehrheiten für den Absenkpfad zustande gekommen.
Der Abstimmungskampf zu den beiden Agrar-Initiativen war vordergründig ein Triumph für den Bauernverband. Laut Erhebungen beteiligen sich rund 80 Prozent der Bevölkerung mehr oder weniger regelmässig an Abstimmungen, sagt Markus Ritter: «Bei den beiden Initiativen waren wir auf dem Land nahe an diesem Wert.»
Nun möchte der «oberste» Bauer die Landbevölkerung bei den nationalen Wahlen in zweieinhalb Wochen in ähnlichem Mass mobilisieren. Und scheut keine Mühe: «Wir gehen nahe an die Basis, bis in die einzelnen Haushalte.» Dabei macht Ritter eine klare Vorgabe: Er will 15 zusätzliche National- und Ständeräte aus dem ländlichen Raum ins Parlament bringen.
Die Tamedia-Zeitungen zeigten sich alarmiert: Ritter wolle «noch mehr Macht, noch mehr Leute für die Landwirtschaft und das Gewerbe im Bundeshaus in Bern». Er selber beschwichtigt: «Wir wollen für die wirtschafts- und landwirtschaftsfreundliche Seite drei zusätzliche Sitze im Ständerat und zwölf im Nationalrat. Das entspricht der Hälfte der Verluste, die wir 2019 im Nationalrat verzeichnet haben.»
Zumindest in der kleinen Kammer könnte Ritters Rechnung aufgehen. Er rechnet mit einem Sitzgewinn in St.Gallen – der mit Esther Friedli (SVP) eigentlich schon realisiert wurde – sowie Solothurn und Tessin. In diesen beiden Kantonen haben die Bürgerlichen tatsächlich eine reelle Chance, der SP ihre bisherigen Mandate zu «entreissen».
Ob der «Sturm» auf den Nationalrat klappt, ist eine offene Frage. Das Bündnis «Perspektive Schweiz», das der Bauernverband schon letztes Jahr mit Economiesuisse, Arbeitgeber- und Gewerbeverband geschlossen hat – von den Gegnern als «Geld und Gülle»-Allianz verspottet –, soll dazu beitragen, mehr bäuerliche Stimmen nach Bern zu bringen.
Kilian Baumann nimmt die Anstrengungen wahr, mit Plakaten im ländlichen Raum und grossen Aufrufen in den Agrarmedien. Doch er bezweifelt, dass die Sitzgewinne realistisch sind. Markus Ritter tue so, «als ob das Land geschlossen auf seiner Seite wäre». Dabei bestehe «nicht die gleiche Emotionalität wie bei den beiden Initiativen».
Die Umfragen allerdings lassen auf einen gewissen Rechtsrutsch schliessen. Das könnte nichts Gutes bedeuten für die Biodiversität und eine ökologischere Landwirtschaft, wie sie der Bundesrat mit seiner kürzlich vorgestellten Klimastrategie anstrebt. Auch für den Wolf, ein Reizthema für viele Bauern, könnten noch schwierigere Zeiten anbrechen.
Das knappe Nein zum Jagdgesetz im November 2020 zählt für Markus Ritter ebenfalls zu den Minuspunkten der Legislatur. Die emotionalen Debatten um den Schutz des Raubtiers hätten «nicht zu einem guten Einvernehmen mit den Umweltverbänden beigetragen», kritisiert der Ostschweizer: «Wir können beim Wolf kein exponentielles Wachstum ertragen.»