Tina Deplazes kandidiert dieses Jahr zum zweiten Mal für den Nationalrat – obwohl sie weiss, dass sie mit dem 16. Listenplatz wenig Chancen hat.
Mit ihren 27 Jahren hat sie den Politiker-Duktus bereits verinnerlicht. Sie erklärt, dass sie zeigen möchte, dass es in der Schweiz viele junge Menschen gebe, welche sich im nationalen Parlament – und nicht auf der Strasse klebend – für eine bessere Zukunft einsetzen möchten.
Deplazes wuchs in Hinwil im Zürcher Oberland auf – in der Gemeinde, die durch Altbundesrat Ueli Maurer schweizweit bekannt wurde. Die SVP ist im Zürcher Oberland ohnehin beliebt – wäre Deplazes nicht prädestiniert gewesen für eine Karriere bei der Schweizerischen Volkspartei?
«Die Ansichten der SVP und meine sind nur selten deckungsgleich. Beispielsweise bei der Rentenaltererhöhung letztes Jahr waren wir beide dafür. Ansonsten kann ich wenig mit der Partei anfangen», erklärt sie.
17 Jahre lang war Deplazes Mitglied und Leiterin bei Jungwacht Blauring, dem grössten katholischen Kinder- und Jugendverband der Schweiz. Als sie 2018 der Mitte beitrat, hiess diese noch Christlichdemokratische Volkspartei (CVP). Ist sie also gläubig?
«Ich habe meine Kommunion und meine Firmung erhalten und bin katholisch. Aber ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal in der Kirche war. Ich würde mich weder als sehr gläubig noch als ungläubig bezeichnen.»
Das «christlich» in CVP habe sie damals nicht abgeschreckt. «Ich bin dieser Partei beigetreten wegen der politischen Inhalte. Beim Sammeln von Unterschriften habe ich dann festgestellt, dass bei gewissen Menschen eine Aversion gegen das ‹C› besteht.» Der neue Name käme geraden bei Jüngeren besser an.
Die Mitte ist die Partei mit dem höchsten Altersdurchschnitt im Nationalrat. Was reizt eine 27-Jährige, in einer solch überalterten Partei zu politisieren? «Ich will die Partei jünger und frischer machen. Es braucht einen guten Mix aus Jung und Alt.»
Ist das nicht langweilig? «Im Gegenteil! Wir sind die einzige Partei, die verschiedene Meinungen akzeptiert und darüber eine sachliche Diskussion führt.»
Einige Mitte-Ständeräte sind während der vergangenen Sessionen mehrfach aufgefallen: Sie haben mit ihren Stimmen Kernthemen der Mitte wie die Prämien-Entlastungs-Initiative abgeblockt. Hat Die Mitte also eine klare Linie, oder werden in der Partei vielleicht zu viele verschiedene Meinungen akzeptiert?
Deplazes' ausweichende Antwort erinnert an die einer Mediensprecherin: «Wir haben eine klare Parteilinie. Der Ständerat ist nicht dasselbe wie der Nationalrat, denn die Ständeräte müssen schlussendlich auch die Interessen ihrer Kantone vertreten. Deshalb sind sie nicht so stark an ihre Fraktion gebunden.»
Die Politik sei der nachhaltigste und effizienteste Weg, das zu erreichen, was man wirklich wolle: «Sich auf die Strasse zu kleben, bringt nichts. Mir ist das Klima auch wichtig, aber wenn man mit seinen Aktionen einfach die Mitbürger wütend macht, ist niemandem geholfen.»
Was ist ihr Ansatz? «Einen raschen Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien sowie Anreize, welche die Energiewende beschleunigen. Es ist absurd: Wir überweisen jedes Jahr Milliarden Franken für fossile Energie an Diktaturen. Investieren wir lieber konsequent in der Schweiz!»
Nebst dem Klimaschutz ist auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Tina Deplazes ein wichtiges Anliegen. Der Staat sollte ihrer Meinung nach die Rahmenbedingungen dafür setzen. Sie hätte die Einführung von Subventionen für die Kinderbetreuung – welche ebenfalls von gewissen Mitte-Ständeräten blockiert werden, in der Kommission – begrüsst.
Deplazes ist keine Verfechterin des traditionellen Familienbilds: Die «Ehe für alle» befürwortet sie. Der Samenspende für gleichgeschlechtliche Paare würde sie höchstwahrscheinlich ebenfalls zustimmen.
«Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder in seiner Entscheidung frei ist.» Einzig mit der immer weiter fortschreitenden Pränataldiagnostik hat Deplazes Mühe. «Die Natur ist noch immer die Natur. Wenn wir auf einmal Eingriffe durchführen, die wir nur wegen unserer extremen Forschung durchführen können, finde ich das kritisch.»
Was beispielsweise? «Wenn man den Embryo untersucht und dann sieht, dass ein Kind behindert ist, und es dann abtreibt. Das finde ich nicht okay. Denn auch diese Kinder mit einer Behinderung haben ein Recht auf das Leben.»
Ist Deplazes also gegen Abtreibung? «Nein. Ich halte die aktuelle Regelung für gut. Aber wenn man sich als Paar dafür entscheidet, ein Kind zu haben, sollte man es nicht abtreiben, nur weil es eine Behinderung hat.» Deplazes erklärt: «Mein Firm-Gottenmädchen ist blind. Vor allem der Austausch mit ihr hat mich für das Thema sensibilisiert und meine Ansichten beeinflusst.»
Allgemein müsse man die Inklusion weiter vorantreiben und Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt integrieren. «Diese Menschen müssen spüren, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind.»
Von der Inklusion zur Emanzipation: Wie engagiert sich Deplazes für die Gleichstellung von Mann und Frau? «Gesetzlich bestehen keine Unterschiede zwischen Mann und Frau – und bei jenen, welche noch bestehen, sind die Frauen im Vorteil.»
Gesellschaftlich müsse sich aber noch einiges tun: «Wir Frauen getrauen uns noch zu wenig. Beim Lohn gibt es in gewissen Branchen noch Unterschiede, das finde ich nicht richtig. Doch auch hier könnten wir Frauen mehr fordern und für uns einstehen.»
Sollte man nicht bei der Erziehung ansetzen und versuchen, sich so von patriarchalen Strukturen zu lösen? «Viele veraltete Ansichten sind in der Gesellschaft verankert. Den Mädchen gibt man Barbies und den Buben Autos. Das sind Vorurteile, die es nicht mehr geben sollte.»
Deplazes fühlt sich weder im Job noch in der Politik diskriminiert. Hat sie noch nie Sexismus erlebt? «Klar habe ich schon Sexismus erlebt. Man kann als Frau kaum an einer Baustelle vorbeigehen, ohne dass einem nachgepfiffen wird – mich persönlich stört das aber nicht so sehr.»
Catcalling sei jedoch vor allem ein gesellschaftliches Problem, das sich mit politischen Mitteln nicht lösen lasse. Es sei ein Wandel in der Gesellschaft notwendig, erklärt Deplazes. «Im Politischen würde ich beim Thema sexuelle Belästigung daher den Fokus eher auf Themen wie Vergewaltigung, Nötigung oder generell das Sexualstrafrecht legen. Hier haben wir noch grossen Nachholbedarf in der Schweiz.»
Von rechts wird im Wahljahr das Problem der Zuwanderung ins Zentrum gerückt. Deplazes sagt dazu: «Wir brauchen die Zuwanderung. Die Schweiz ist ein attraktives Einwanderungsland und das hilft auch unserer Wirtschaft und schafft mehr Wohlstand. Und: Viele Ausländerinnen und Ausländer zahlen mehr in die AHV ein, als dass sie bekommen. Das hilft den Schweizerinnen und Schweizern schlussendlich auch.»
Doch Deplazes sieht gewisse Herausforderungen für die Zukunft: Sie findet, dass man die Hotspots in der Schweiz dezentralisieren sollte. «Nicht alle Unternehmen müssen in der Stadt Zürich ihr Büro haben. Es sollte mehr Firmen auf dem Land und in der Agglomeration geben, damit wir nicht diese riesigen Pendlerströme bewältigen müssen.»
Deplazes fügt an: «Und nicht alle Menschen, die in der Stadt Zürich arbeiten, müssen auch dort wohnen. In der Stadt steigen die Mietpreise immer mehr und die ländlichen Regionen sind regelrecht entsiedelt. Wir sollten uns wieder auf kleinere Zentren fokussieren.» Sie selbst arbeitet zwar als Wirtschaftsprüferin in der Stadt Zürich, geniesst es aber, noch immer in Wetzikon im Zürcher Oberland zu leben.
Auf der Josefwiese im urbanen Zürich West hat die Mitte-Politikerin einen schweren Stand. Die Familien, mit denen Deplazes ins Gespräch kommt, machen ihr klar: Hier wählt man GLP. Oder vielleicht SP oder Grüne.
Eine Mutter mit zwei Töchtern – welche ebenfalls erklärt, dass sie dieses Jahr höchstwahrscheinlich wieder die Grünliberalen wählen wird – scheint jedoch sehr interessiert am Austausch mit Deplazes. Sie löchert die Jungpolitikerin mit Fragen:
Wie kann die Politik zugänglicher gemacht werden? Was muss sich in der Energiepolitik noch tun? Wofür steht Die Mitte? Deplazes antwortet souverän.
Im Gespräch wird klar, dass sich Die Mitte noch immer nicht ganz von dem «C» emanzipieren konnte – die Frau fragt Deplazes skeptisch, ob Die Mitte noch immer so christlich sei. Deplazes verneint – wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.
Aber die Mitte müsste deshalb attraktiv sein, weil sie halt so oft wie niemand sonst das Zünglein an der Waage ist. Will heissen: rechts und links wird gebellt, was das Zeug hält. Aber so, wie die Mitte stimmt, wird entschieden.