Ich bin schon lange kein junger Mann mehr. Ich bin Witwer, pensioniert, und ja – ich habe noch sexuelle Bedürfnisse. Doch für eine feste Beziehung bin ich nicht mehr zu haben. Meine grosse Liebe, meine Ehefrau, verstarb vor ein paar Jahren. Seither versuche ich, das Leben alleine zu geniessen. Und das schaffe ich immer besser. Geholfen hat mir dabei das Zürcher Rotlichtviertel.
Das Langstrassenquartier ist für mich mehr als nur ein Ort für schnellen Sex. Ich kenne einige Frauen über Jahre hinweg und spreche mit ihnen auch über ihre Familie, Pläne, Reisen – es sind für mich Beziehungen, die weit über das hinausgehen, was man sich unter einem Bordellbesuch vorstellt. Ich wurde auch schon an Geburtstage von den Frauen eingeladen.
Aber ich wäre naiv, wenn ich behaupten würde, dass das für alle Frauen gilt. Ich weiss, dass viele nicht freiwillig als Sexarbeiterinnen tätig sind. Sie arbeiten, weil sie Geld brauchen, um ihre Kinder in der Heimat zu ernähren oder ihre Familien über Wasser zu halten. Oder weil sie jemand dazu zwingt. Für viele sind die Arbeitsmöglichkeiten ausserhalb der Prostitution in ihrer Heimat so aussichtslos, dass sie hier bessere Chancen sehen. Ich halte mich deshalb von den Frauen fern, die unter Zeitdruck stehen oder unter einem Zuhälter arbeiten. Und Frauen unter 30 Jahren kommen für mich sowieso nicht infrage.
Ich habe aber auch keine Patentlösung für diese Frauen. Mehr Gesetze bringen nichts. Das Verbot der Prostitution würde die Frauen nur noch versteckter arbeiten lassen, das Gewerbe wäre noch schwerer kontrollierbar. Trotzdem wünsche ich mir, dass es für diese Frauen irgendwann bessere Möglichkeiten gibt und das Rotlichtviertel auch für sie sicherer ist.
Denn für mich ist es ein Ort der Sicherheit, an dem ich sein kann, wie ich bin. Der Ort, der mich aus meiner tiefen Depression geholt hat. Das glaubt man kaum, oder? Aber ich war lange so depressiv, dass ich eine unvorstellbare Angst davor hatte, unter Menschen zu gehen. Irgendwann war es so schlimm, dass ich nicht einmal mehr meine Haustüre öffnen konnte, wenn jemand klingelte.
Eine Therapeutin empfahl mir damals, an die Zürcher Langstrasse zu gehen. Und dort zu versuchen, mich in der Vielfalt der Menschen wohlzufühlen. Ohne die Erwartungshaltung von irgendjemandem erfüllen zu müssen. Das hat mir eine neue Welt eröffnet.
Mit den Frauen rede ich über alles, auch über meine Probleme. Ich habe Potenzprobleme, verursacht durch Medikamente gegen Depressionen. Viagra will ich aber keine nehmen. Die Frauen wissen damit umzugehen. Sie akzeptieren mich, so wie ich bin. Und ich weiss, dass es ihnen mit mir auch gefällt. Es muss nicht immer Sex sein. Ich achte darauf, dass die Frauen entscheiden, was passiert. Ich verlange nichts, was sie nicht wollen. Dafür erhalten sie etwa 140 Franken pro Stunde von mir. Pro Monat gebe ich rund 500 Franken im Rotlichtviertel aus.
Prostitution ist für mich notwendig, selbst in einer idealen Gesellschaft. Es wird immer Menschen geben, die dieses Ventil brauchen – aus Lust, aus Einsamkeit oder weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihre Wünsche auszuleben. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass viele Männer im Rotlichtmilieu unterwegs sind. Vielleicht 80 Prozent der Männer haben irgendwann einmal eine Prostituierte aufgesucht, würde ich grob schätzen. Aber kaum jemand spricht darüber, aus Angst, verurteilt zu werden.
Doch mich wird man hoffentlich noch lange im Rotlichtviertel antreffen. Denn es ist ein Gradmesser für meinen Zustand. Solange ich dorthin gehen kann, weiss ich, dass ich die Depression im Griff habe. Wenn ich an der Langstrasse stehe und die Menschen um mich herum sehe, beruhigt mich das. Es zeigt mir, dass das Leben roh, chaotisch und real ist – genau so, wie es sein sollte.
Aber ich bin nicht blind für die Schattenseiten. Wenn ich durch das Rotlichtviertel laufe und Frauen sehe, die das Lächeln aus reinem Pflichtbewusstsein aufsetzen, frage ich mich, ob ich nicht Teil des Problems bin. Doch das ändert nichts daran, dass ich es brauche. Und vielleicht ist genau das die tragische Wahrheit.
(aufgezeichnet von watson.ch)
Danke für den Bericht!
Allgemein zu käuflicher Liebe:
Legalisiert und Kontrolliert ist die Situation viel besser. Genau wie bei Drogen: ausmerzen lässt es sich eh nicht.
letztlich wird er die prostituierten wohl wie therapeutinnen brauchen und damit wohl kaum der einzige sein.
das macht prostitution in der form, wie sie heutzutage betrieben wird, nicht besser, aber das problem liegt wohl eher tiefer begraben - in einer gesellschaft, wo sich gewisse menschen nur noch sich selber sein können, wenn sie das gegenüber bezahlen.