Schweiz
Was ich wirklich denke

Freier im Zürcher Rotlichtviertel: «Ich gebe monatlich 500 Franken aus»

Rotlichtviertel Zürich Was ich wirklich denke
Erlebnisse im Rotlichtviertel: Bernhard erzählt, warum er regelmässig dort anzutreffen ist. Bild: keystone/watson
Was ich wirklich denke

Freier im Zürcher Rotlichtviertel: «Ich gebe monatlich 500 Franken aus»

Bernhard* geht regelmässig ins Bordell. Obwohl er sich Gedanken über die Machtverhältnisse zwischen Freiern und Sexarbeiterinnen macht, kann er auf seine Besuche nicht verzichten – weil sie ihn aus seiner Depression ziehen.
15.02.2025, 20:39
Mehr «Schweiz»
Was ist «Was ich wirklich denke»?
Bei «Was ich wirklich denke» geht es darum, Menschen, Experten oder Betroffene anonym zu einem Thema zu Wort kommen zu lassen, ohne dass sie dabei Repressalien befürchten müssen. Roh und ungefiltert. Wenn du dich selber als Betroffener zu einem bestimmten Thema äussern willst, dann melde dich bitte unter reporter@watson.ch.
Die Namen unserer Gesprächspartner sind frei erfunden.
  • Bernhard ist seit seiner Pensionierung oft im Zürcher Rotlichtviertel anzutreffen.
  • Für eine Stunde mit einer Sexarbeiterin bezahlt er 140 Franken.
  • Er weiss, dass viele den Job nicht freiwillig machen.
  • Trotzdem glaubt er, dass «seine Damen» gerne mit ihm zusammen sind.

Ich bin schon lange kein junger Mann mehr. Ich bin Witwer, pensioniert, und ja – ich habe noch sexuelle Bedürfnisse. Doch für eine feste Beziehung bin ich nicht mehr zu haben. Meine grosse Liebe, meine Ehefrau, verstarb vor ein paar Jahren. Seither versuche ich, das Leben alleine zu geniessen. Und das schaffe ich immer besser. Geholfen hat mir dabei das Zürcher Rotlichtviertel.

Das Langstrassenquartier ist für mich mehr als nur ein Ort für schnellen Sex. Ich kenne einige Frauen über Jahre hinweg und spreche mit ihnen auch über ihre Familie, Pläne, Reisen – es sind für mich Beziehungen, die weit über das hinausgehen, was man sich unter einem Bordellbesuch vorstellt. Ich wurde auch schon an Geburtstage von den Frauen eingeladen.

The Ole Ole Bar on the corner of Langstrasse and Lagerstrasse, at at the perimeter of the Europaalee, in Zurich, Switzerland, on July 12, 2018. (KEYSTONE/Christian Beutler)
Zürcher Langstrasse: Hier beginnt das Rotlichtviertel. Bild: KEYSTONE

Aber ich wäre naiv, wenn ich behaupten würde, dass das für alle Frauen gilt. Ich weiss, dass viele nicht freiwillig als Sexarbeiterinnen tätig sind. Sie arbeiten, weil sie Geld brauchen, um ihre Kinder in der Heimat zu ernähren oder ihre Familien über Wasser zu halten. Oder weil sie jemand dazu zwingt. Für viele sind die Arbeitsmöglichkeiten ausserhalb der Prostitution in ihrer Heimat so aussichtslos, dass sie hier bessere Chancen sehen. Ich halte mich deshalb von den Frauen fern, die unter Zeitdruck stehen oder unter einem Zuhälter arbeiten. Und Frauen unter 30 Jahren kommen für mich sowieso nicht infrage.

Ich habe aber auch keine Patentlösung für diese Frauen. Mehr Gesetze bringen nichts. Das Verbot der Prostitution würde die Frauen nur noch versteckter arbeiten lassen, das Gewerbe wäre noch schwerer kontrollierbar. Trotzdem wünsche ich mir, dass es für diese Frauen irgendwann bessere Möglichkeiten gibt und das Rotlichtviertel auch für sie sicherer ist.

«Ich habe Potenzprobleme»

Denn für mich ist es ein Ort der Sicherheit, an dem ich sein kann, wie ich bin. Der Ort, der mich aus meiner tiefen Depression geholt hat. Das glaubt man kaum, oder? Aber ich war lange so depressiv, dass ich eine unvorstellbare Angst davor hatte, unter Menschen zu gehen. Irgendwann war es so schlimm, dass ich nicht einmal mehr meine Haustüre öffnen konnte, wenn jemand klingelte.

Eine Therapeutin empfahl mir damals, an die Zürcher Langstrasse zu gehen. Und dort zu versuchen, mich in der Vielfalt der Menschen wohlzufühlen. Ohne die Erwartungshaltung von irgendjemandem erfüllen zu müssen. Das hat mir eine neue Welt eröffnet.

Mit den Frauen rede ich über alles, auch über meine Probleme. Ich habe Potenzprobleme, verursacht durch Medikamente gegen Depressionen. Viagra will ich aber keine nehmen. Die Frauen wissen damit umzugehen. Sie akzeptieren mich, so wie ich bin. Und ich weiss, dass es ihnen mit mir auch gefällt. Es muss nicht immer Sex sein. Ich achte darauf, dass die Frauen entscheiden, was passiert. Ich verlange nichts, was sie nicht wollen. Dafür erhalten sie etwa 140 Franken pro Stunde von mir. Pro Monat gebe ich rund 500 Franken im Rotlichtviertel aus.

Hast du schon eimal für Sex bezahlt?

«Bin ich Teil des Problems?»

Prostitution ist für mich notwendig, selbst in einer idealen Gesellschaft. Es wird immer Menschen geben, die dieses Ventil brauchen – aus Lust, aus Einsamkeit oder weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihre Wünsche auszuleben. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass viele Männer im Rotlichtmilieu unterwegs sind. Vielleicht 80 Prozent der Männer haben irgendwann einmal eine Prostituierte aufgesucht, würde ich grob schätzen. Aber kaum jemand spricht darüber, aus Angst, verurteilt zu werden.

Doch mich wird man hoffentlich noch lange im Rotlichtviertel antreffen. Denn es ist ein Gradmesser für meinen Zustand. Solange ich dorthin gehen kann, weiss ich, dass ich die Depression im Griff habe. Wenn ich an der Langstrasse stehe und die Menschen um mich herum sehe, beruhigt mich das. Es zeigt mir, dass das Leben roh, chaotisch und real ist – genau so, wie es sein sollte.

Aber ich bin nicht blind für die Schattenseiten. Wenn ich durch das Rotlichtviertel laufe und Frauen sehe, die das Lächeln aus reinem Pflichtbewusstsein aufsetzen, frage ich mich, ob ich nicht Teil des Problems bin. Doch das ändert nichts daran, dass ich es brauche. Und vielleicht ist genau das die tragische Wahrheit.

(aufgezeichnet von watson.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Sex-Abo-Falle
1 / 36
Die Sex-Abo-Falle
Die dubiose britische Firma Pulsira Limited hat zahlreiche Porno-Sites betrieben, Zutritt «Strikt ab 18 Jahren» ...
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Eine Schweiz ohne Freier wäre ...
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
178 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Atavar
15.02.2025 21:19registriert März 2020
Sex als Mittel zur Depressionsbehandlung habe ich auch jahrelang versucht. Schaffte bei mir eine neue Abhängigkeit. Kein Sex = zack, die Depressionssymptome waren wieder da.

Danke für den Bericht!

Allgemein zu käuflicher Liebe:
Legalisiert und Kontrolliert ist die Situation viel besser. Genau wie bei Drogen: ausmerzen lässt es sich eh nicht.
21331
Melden
Zum Kommentar
avatar
Papa Swappa
15.02.2025 21:29registriert September 2015
er hat potenzprobleme, probleme, unter menschen zu gehen und sich selbst zu sein, also braucht er menschen um sich, vor denen er sich nicht schämen muss, sich selber zu sein.
letztlich wird er die prostituierten wohl wie therapeutinnen brauchen und damit wohl kaum der einzige sein.
das macht prostitution in der form, wie sie heutzutage betrieben wird, nicht besser, aber das problem liegt wohl eher tiefer begraben - in einer gesellschaft, wo sich gewisse menschen nur noch sich selber sein können, wenn sie das gegenüber bezahlen.
12220
Melden
Zum Kommentar
avatar
Fridolin Kiesewetter
15.02.2025 20:48registriert Januar 2025
finde ich in diesem fall völlig nachvollziehbar und legitim
12456
Melden
Zum Kommentar
178
    Neuer Plan gegen hohe Zuwanderung in die Schweiz sieht drastische Massnahme vor
    Die FDP versucht, die SP für einen harten Vorschlag zu gewinnen – gegen die 10-Millionen-Initiative der SVP. Wer in die Schweiz zieht, soll eine jährliche Abgabe auf den Lohn entrichten.

    Im Bundesparlament kursiert ein neuer Vorschlag, wie die Zuwanderung in die Schweiz reduziert werden kann. Der Plan sieht einschneidende Massnahmen vor. Und er würde wahrscheinlich dazu führen, dass die EU-Kommission ein Verfahren gegen die Schweiz einleitet.

    Zur Story