Vieles am WEF 2022 ist anders als früher. Wegen der Omikron-Variante des Coronavirus wurde das Jahrestreffen der wirtschaftlichen und politischen Eliten ins Frühjahr verschoben. Es findet ohne Schnee statt und in der Zwischensaison, was für Veranstalter, Behörden und die Davoser Hotellerie eine zusätzliche Herausforderung darstellt.
Auch sonst werden andere Akzente gesetzt: Ein Beispiel ist das Gebäude auf der Davoser Promenade, in dem sich jeweils das «Russia House» befand. Jetzt hat sich die Stiftung des ukrainischen Oligarchen Viktor Pintschuk eingemietet und es in «Russian War Crimes House» umbenannt. Gezeigt wird eine Ausstellung mit Fotos russischer Kriegsverbrechen.
Der Überfall auf die Ukraine hat das World Economic Forum und seinen Gründer Klaus Schwab zum beispiellosen Schritt bewogen, alle russischen Teilnehmer auszuschliessen. China schickt wegen seiner faktischen Corona-Isolation nur eine Mini-Delegation ins Bündnerland. Das WEF 2022 wird mehr oder weniger zum Western Economic Forum.
Die US-Regierung allerdings ist nur mit der zweiten Garde vertreten. Überhaupt sind kaum politische Hochkaräter anwesend, mit Ausnahme des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. US-Präsident Joe Biden tourt durch den indopazifischen Raum und zimmert eine Wirtschaftsallianz gegen China.
Das sagt einiges aus darüber, wie sich die Welt seit dem letzten «realen» WEF im Januar 2020 verändert hat. Damals lief die Weltwirtschaft auf Hochtouren. Ein Krieg in Osteuropa schien undenkbar. Zwar gab es Berichte über eine mysteriöse und hochansteckende Lungenkrankheit in China. Aber kaum jemand in Davos nahm die Bedrohung ernst.
The Rest is History, wird in solchen Fällen bekanntlich gerne gesagt. Und noch viel mehr: Die Welt des Jahres 2022 ist gleich mit mehreren schweren Krisen konfrontiert:
Diese beispiellose Häufung an Krisen sorgt dafür, dass die Nationen vermehrt für sich selber schauen. Der Begriff «Deglobalisierung» hat derzeit Hochkonjunktur. WEF-Direktor Alois Zwinggi nahm ihn in der SRF-«Tagesschau» selbst in den Mund. «Die Welt wird fragmentierter, wahrscheinlich zerbrechlicher», meinte Gründer Klaus Schwab in der NZZ.
Für den «Berufsoptimisten», wie ihn die NZZ bezeichnet, ist «sein» Forum ein Teil der Lösung. In Wirklichkeit ist es jedoch ein Teil des Problems. «Davos ist der Inbegriff einer der grössten Herausforderungen für die heutige Gesellschaft: selbstgefällige Eliten», sagte Jeffrey Sonnenfeld, ein Management-Professor an der Universität Yale, auf CNN.
Das WEF war stets ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, gemessen an seinen hohen Ansprüchen mehr Schein als Sein. Der «Davos Man» nutzte das Treffen in erster Linie fürs Business. Die Debatten über soziale und ökologische Herausforderungen ignorierte oder belächelte er. Die Globalisierung werde es schon richten, lautete die Devise am Jahrestreffen der Eliten.
«Der Fortschrittsglaube ist bei vielen Teilnehmern des Treffens tief verwurzelt und oft verbunden mit der Überzeugung, dass sich die eigenen Geschäftsstrategien auch für die Lösung politischer Probleme eignen müssten», brachte es der «Spiegel» auf den Punkt. Die aktuellen Krisen entlarven die von Sonnenfeld angeprangerte Selbstgefälligkeit.
Und Klaus Schwab war stets mittendrin, etwa wenn er «Disruptoren» wie Donald Trump oder Xi Jinping den roten Teppich ausrollte. Oder als er während der Pandemie ein Buch mit dem schönen Titel «The Great Reset» veröffentlichte und sich damit zur Zielscheibe von Verschwörungs-Fetischisten machte, in einer Reihe mit Bill Gates oder George Soros.
Beide sind Stammgäste in Davos. So absurd die Vorwürfe sein mögen, sie treffen einen wunden Punkt, denn Schwab tendiert zur Selbstüberschätzung. Selbst Leute, die ihn seit Jahrzehnten kennen und durchaus schätzen, bezeichnen den gebürtigen Deutschen als schwierig. Er ist masslos eitel und hat eine sehr hohe Meinung von sich selbst.
Der 84-Jährige scheint sich für unersetzlich zu halten. Er hat nach wie vor keine Nachfolge aufgebaut. Nicht nur die «Sonntagszeitung» fragt sich, ob Schwab «selbst noch die Kraft hat, sein Lebenswerk in den nächsten Jahren zu erneuern». In letzter Zeit hat er laut dem NZZ-Interview hauptsächlich an einer Präsenz des WEF im Metaverse gearbeitet.
Ob dies angesichts der real existierenden Krisen die richtige Priorität ist, darf man bezweifeln. Es könnte das Image des WEF als Treffen abgehobener Eliten festigen. Und es überflüssig machen. Die «Sonntagszeitung» warnte Davos und die Schweiz vor dem Szenario, dass das globale Elitetreffen künftig «nur noch als ‹Wefli› durchgehen wird».