Wie geht es eigentlich der Wirtschaft? Eine Frage, die manchmal nicht nur für Laien schwer zu beantworten ist. Zwischen den zahlreichen Komponenten wie Zinsen, Konsum, Börse, Wachstum und Konjunktur hindurchzusehen, kann ganz schön kompliziert sein. Vor allem deshalb, weil die einzelnen Bestandteile so stark voneinander abhängen.
Unsere Wirtschaft präsentiert sich derzeit typisch schweizerisch: «stabil». Trotzdem kommen 2024 einige Herausforderungen auf uns zu. Der kleine, grosse Überblick:
Die globale Wirtschaft hat sich 2023 angesichts der grossen Herausforderungen nach der Pandemie und dem Kriegsbeginn in der Ukraine sowie dem starken Inflationsdruck bemerkenswert gut geschlagen.
Doch dabei gibt es auffallend grosse Unterschiede: Während sich die Wirtschaft in den USA und China besser als von vielen erwartet zeigte, enttäuschte das Wachstum in der EU. Und auch die Aussichten sind eher bescheiden. Insbesondere Deutschland hat Mühe, wieder in Schwung zu kommen, es schwächelt vor allem der Industriesektor. Nach 2023 (schätzungsweise -0,6 Prozent) wird das Wachstum in unserem nördlichen Nachbarn wohl auch im neuen Jahr negativ sein.
Weil die Schweiz im Vergleich aussergewöhnlich stark vom Ausland abhängig ist – und zwar über unsere Exporte –, ist das Wachstum auf der Welt und vor allem in der EU für uns von grosser Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich unsere Wirtschaft gerade durch und durch stabil. In der Wirtschaftssprache heisst das: nicht schlecht, aber eben auch nicht übermässig gut. Denn auch bei uns ist klar: Wir bleiben unter der langjährigen Norm. Derzeit sieht es so aus, als komme das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 bei einem Plus von 1,3 Prozent zu liegen. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor ist die Schweizer Wirtschaft um 2,6 Prozent gewachsen.
Trotzdem darf man nicht vergessen: Vor allem dank der starken Erholungsjahre 2021 und 2022 befindet sich die Schweiz wieder auf ihrem gewohnten Wachstumspfad. Das heisst, unsere Produktion ist wieder auf dem Niveau angelangt, das ohne Pandemieeinbruch zu erwarten gewesen wäre. Anderen Ländern ist das noch nicht gelungen.
Für das neue Jahr erwartet das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) noch ein etwas geringeres Wachstum von 1,1 Prozent. Die Ökonomen der Schweizerischen Zentralbank SNB rechnen mit einem Wert zwischen 0,5 und 1,0 Prozent. Mit anderen Worten: Es geht «stabil» weiter, aber es sind auch Herausforderungen da. Um die Frage nach dem Warum zu beantworten, müssen wir uns die einzelnen Komponenten etwas genauer anschauen.
Wie es mit der Wirtschaft weitergeht, hängt entscheidend von ihnen ab: den Leitzinsen und damit den Nationalbanken. Werden die Zinsen gesenkt, dann kurbelt das in der Regel die Wirtschaft an – Investitionen werden wieder billiger, Sparen lohnt sich weniger und die Nachfrage steigt.
Nach historischen Leitzinserhöhungen rund um den Globus im vergangenen Jahr wird 2024 das Jahr der Wende sein. Das sind für viele Bereiche zwar positive Nachrichten, aber: Weil gerade in der EU ein schwaches Wirtschaftswachstum erwartet wird, sind die Zinssenkungen auch schlicht eine Notwendigkeit, um die Konjunktur zu stützen.
Von der amerikanischen Notenbank Fed wird erwartet, dass sie die Leitzinsen stärker senkt als bis vor kurzem angenommen. Es war mit ein Grund, weshalb die amerikanischen Börsen zum Jahresende hin so stark gestiegen sind. Allerdings ist das Spektrum der Prognosen gross. Derzeit liegen die Zinsen bei hohen 5,25 bis 5,5 Prozent (im Gegensatz zu anderen Nationalbanken gibt das Fed die Zinsen in einer Bandbreite an). Von Leitzinssenkungen zwischen 0,75 und 2,75 Prozent könnte im nächsten Jahr so ziemlich alles drinliegen.
Auch von der Europäischen Nationalbank EZB wird erwartet, dass sie ihre Zinsen bald zu senken beginnt. Dasselbe gilt für die Schweizerische Nationalbank SNB – allerdings auf viel tieferem Niveau. Weil die Inflation in der Schweiz viel geringer ausfiel, war die SNB weniger gezwungen, mit hohen Zinsen zu reagieren. Zurzeit liegen diese hierzulande bei 1,75 Prozent. Auch hier wird erwartet, dass die SNB 2024 mehrere kleine Senkungen vornehmen wird, wahrscheinlich ab Mitte Jahr.
Global gesehen sinken die Inflationsraten stärker als zuletzt erwartet. Das sind gute Nachrichten, weil die steigenden Preise grossen Teilen der Bevölkerung – vor allem in den USA, aber auch in der EU – Kaufkraft weggefressen haben.
In der Schweiz liegt die Teuerung mit 1,4 Prozent sogar wieder innerhalb des sogenannten Zielbands der SNB von maximal 2 Prozent. Doch ein kurzer Rückblick zeigt, dass auch viele Schweizerinnen und Schweizer an Kaufkraft verloren haben. Denn: Die Löhne stiegen zumeist nicht im selben Masse wie die Preise.
Auf dem Papier sieht also alles wieder gut aus, in der Realität ist es etwas anders. Denn auch 2024 gibt es einiges, das teurer wird:
Fazit: Dass die Preise von Nahrungsmitteln, Kleidung und Co. wieder zurückgehen, dürfte sich für die meisten kaum im Portemonnaie auswirken. Im November schrieb die UBS dazu: «Unter Einbezug der steigenden Krankenkassenprämien ergibt sich sogar ein Kaufkraftverlust für 2024.»
Erwartet wird vom SECO eine Inflation von 1,9 Prozent (2023 lag die Teuerung bei 2,1 Prozent).
Unsere starke Währung wird für die Schweiz auch 2024 ein Knackpunkt. Denn der Euro und der Dollar verlieren kontinuierlich an Wert gegenüber dem Franken. Vor knapp einem Jahr wurde wahr, was zuvor lange als undenkbar galt: Die Parität wurde erreicht, das heisst, ein Franken kostete ungefähr gleich viel wie ein Euro.
Das hat sich zuletzt noch weiter verschärft. Ende Dezember gab es einen weiteren Rekord, der Euro war gerade mal 0,93 Franken wert.
Für Einkaufstouristinnen und Feriengänger sind das gute Nachrichten: Der Konsum im (nahen) Ausland wird billiger. Und auch sonst hatte der starke Franken bisher einen netten Nebeneffekt: Er dämpfte die sogenannte importierte Inflation, die sich durch höhere Preise unserer Importe bemerkbar macht, deutlich.
Die Kehrseite: Die Industrie schwächelt. Denn durch den starken Franken werden unsere Exporte teurer, was die Nachfrage nach Schweizer Produkten schwächen kann. Das ist bereits spürbar, die Schweizer Industrie kämpft mit einem Abschwung. Für das kommende Jahr gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass der Franken sich abschwächen könnte.
Die gute Nachricht für das Wachstum ist aber trotzdem: Schweizerinnen und Schweizer sind nach wie vor konsumfreudig. Sie stützen damit die Nachfrage aus dem Ausland, die unter Druck kommt.
2023 waren in der Schweiz nur gerade zwei Prozent ungewollt arbeitslos. Ein historisch tiefer Wert, von dem andere Länder nur träumen können: In der EU zum Beispiel liegt der Durchschnitt bei sechs Prozent. Dort geht derzeit die Angst vor einem Abschwung der Arbeitsmärkte um. Diesem Abschwung widersteht die Schweiz bisher erstaunlich gut.
Zwar wird im kommenden Jahr eine leichte Erhöhung der Arbeitslosenquote auf 2,3 Prozent erwartet, das Stellenwachstum wird sich etwas verlangsamen. Das wohl grösste Problem der Unternehmen ist aber weiterhin der Fachkräftemangel, der schon Ende letztes Jahr einen neuen Rekordwert erreichte. Das ist unerfreulich für die Firmen – nicht aber für die Angestellten. Sie können eher davon ausgehen, dass sie ihren Job auch in Zeiten von weniger Wachstum behalten können. Der Grund: Die Arbeitgeber werden es sich zweimal überlegen, Mitarbeitende zu entlassen, da ihnen die Fachkräfte dann beim nächsten Aufschwung wieder fehlen könnten.
Und dann wundern sich firmen, dass ihre Mitarbeiter nicht treu sind.