Der genossenschaftlich organisierten Raiffeisen Bank steht am Samstag wohl eine der bewegtesten Delegiertenversammlungen ihrer Geschichte bevor. Das Treffen der Delegierten der Regionalverbände steht im Zeichen der Aufarbeitung der Ära des ehemaligen CEO Pierin Vincenz.
Dessen Geschäftsführung ist ins Visier von Finanzaufsicht und Justiz geraten. Die Delegierten dürften dabei ihrem Ärger über die nicht abbrechenden Negativ-Schlagzeilen Luft verschaffen.
Die Versammlung der 164 Delegierten von 21 Raiffeisen-Verbänden am Samstagnachmittag in Lugano ist allerdings nicht öffentlich. Auch die Traktandenliste wurde von Raiffeisen nicht publiziert. Gespannt darf man vor allem darauf sein, ob die Delegierten dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung die Entlastung erteilen werden.
In den Medien war in den vergangenen Tagen spekuliert worden, dass das Traktandum über die Entlastung der Verantwortungsträger kurzfristig gestrichen werden könnte. Stattdessen würde der Entscheid auf eine für November angekündigte ausserordentliche Delegiertenversammlung verschoben, hiess es etwa im «Tagesanzeiger».
Bei einer ausserordentlichen Sitzung am Freitagabend wurde die Traktandenverschiebung bestätigt.
Auf Kritik gestossen war auch die im April bekannt gewordene Entschädigung für den Raiffeisen-Verwaltungsrat für 2017, die um rund 44% über dem Vorjahreswert lag. Die harsche Kritik der Finanzmarktaufsicht Finma vom Donnerstag zur Rolle des Verwaltungsrats in der Vincenz-Ära könnte diesbezüglich zusätzliches Öl ins Feuer giessen.
Die Entlöhnung des Verwaltungsrats werde an der Versammlung «sicher in der einen oder anderen Form diskutiert» werden, sagte eine Raiffeisen-Sprecherin dazu lediglich.
Zur Aufarbeitung der Vincenz-Ära dürften den Delegierten am Samstag auch erste Ergebnisse einer internen Raiffeisen-Untersuchung präsentiert werden. Raiffeisen hatte im April eine Untersuchungskommission unter Führung von Professor Bruno Gehrig eingesetzt.
Ziel der Kommission sei «eine lückenlose Aufklärung der Vergangenheit», hiess es damals. Im Anschluss an die Delegiertenversammlung soll der Zwischenbericht auch den Medien vorgestellt werden.
Der heute elfköpfige Raiffeisen-Verwaltungsrat befindet sich derweil im Umbau. Auf die Delegiertenversammlung in Lugano hin treten vier Mitglieder ab. Nominiert für eine Neuwahl sind nur zwei Personen, es handelt sich um den Wirtschaftsprüfer und Bankenexperten Rolf Walker sowie den Unternehmer Thomas Rauber.
Weitergehen soll die Erneuerung des Verwaltungsrats dann an der ausserordentlichen DV im November, wo auch eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger für den interimistischen VR-Präsidenten Pascal Gantenbein bestimmt werden soll. Gantenbein, der seit 2017 im Raiffeisen-VR sitzt, hatte das Präsidentenamt von Johannes Rüegg-Stürm übernommen, der im März aufgrund der Ereignisse um Vincenz per sofort zurückgetreten war.
Die Finanzmarktaufsicht Finma hatte dem Verwaltungsrat am Donnerstag im Bericht zu ihrem Verfahren zur Durchsetzung des Aufsichtsrechts gegen Raiffeisen vorgeworfen, die Aufsicht über den früheren CEO Vincenz vernachlässigt und Interessenkonflikte ungenügend gehandhabt zu haben. Vincenz war von 1999 bis 2015 Chef von Raiffeisen und galt damals als einer der profiliertesten Bankmanager der Schweiz.
Beim Verfahren der Zürcher Staatsanwaltschaft gegen Vincenz geht es um Geschäfte im Zusammenhang mit früheren Raiffeisen-Beteiligungen, aber auch um Firmenübernahmen der Kreditkartengesellschaft Aduno, die Vincenz ebenfalls präsidiert hatte. Vincenz solle sich persönlich bereichert haben, so lautet der Vorwurf.
Er selbst bestreitet dies vehement. Ende Februar war Vincenz in Untersuchungshaft genommen worden, freigekommen war er erst am vergangenen Dienstag nach rund 15 Wochen Haft.
Derzeit nicht im Schussfeld der Behörden ist der heutige Raiffeisen-Chef Patrik Gisel, der in der Vincenz-Ära in der Geschäftsleitung Einsitz hatte. So hat die Finma nach eigenen Angaben «keine Anhaltspunkte gefunden, die ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen heutige Führungskräfte der Raiffeisen Schweiz rechtfertigen würden». Vor einem endgültigen Entscheid will sie aber die Ergebnisse der internen Raiffeisen-Untersuchung abwarten. (thomas pohl/awp/sda)