Wer täglich auf das Auto angewiesen ist, hat es vor Tagen bemerkt: Der Preis für Benzin und Diesel ist massiv angestiegen. Autofahrerinnen und Autofahrer liessen auf Instagram und Tiktok ihre Wut darüber aus – aus verständlichen Gründen: Eine Tankfüllung belastet Geringverdienende enorm und führt teilweise zu empörten Äusserungen zur Politik oder zum Krieg in der Ukraine.
Entschieden wird der Preis an der Zapfsäule auf einem weltweit herrschenden Markt. Auf diesem wird nicht in erster Linie das Endprodukt «Benzin» oder «Diesel» gehandelt, sondern das Rohöl. Aus diesem entsteht in Raffinerien der Sprit.
Vor dem Kriegsausbruch war der Markt offen: Europa kaufte überall dort ein, wo es günstig war – auch in Russland. Seit der russischen Invasion meiden aber Raffinerien, Banken und Reedereien den riesigen Rohstoffmarkt Russlands. Etwaige Sanktionen spielen also keine grosse Rolle: Europäische Unternehmen «sanktionieren sich selbst» und sorgen derzeit für einen Wettlauf um Rohöl aus nichtrussischen Quellen. Mit der Konsequenz, dass der Preis an den Zapfsäulen steigt.
Der Krieg hat den Wettlauf um nicht-russisches Rohöl massiv beschleunigt. Die steigenden Preise haben aber eine längere Vorgeschichte. Veranschaulichen lässt sich das mit der Entwicklung des Preises für ein Fass (159 Liter) Rohöl der europäischen Sorte «Brent»:
Die Marktwirtschaftslehre besagt, dass ein Preis in erster Linie durch Angebot und Nachfrage entschieden wird. Beim Rohöl kommt aber ein entscheidender Faktor dazu: die Politik. Diese konzentriert sich seit über 60 Jahren in der Organisation erdölexportierender Länder (kurz Opec) und ist das, was eigentlich im Kapitalismus verboten ist: ein Kartell. Dort wird entschieden, wie viel Rohöl ein Staat fördern darf. Begründet wird das mit der Wichtigkeit von Öl in unserem Alltag: Eine künstliche Verknappung der Produktionsmenge soll den Preis für den Kraftstoff unserer Wirtschaft stabilisieren und längerfristige bzw. ökonomische Planungen berücksichtigen können.
Die weltweite Corona-Pandemie lieferte ein Paradebeispiel dafür: Der Wirtschaftseinbruch führte zu Chaos auf den Rohöl-Märkten und zwang die Opec dazu, die Produktionsmenge zu verknappen. Von diesem Kurs wollten die Opec-Länder nur zögerlich wegkommen: Im Jahr 2021 stieg der Rohöl deshalb zunehmend an: Die Industrie lief wieder an, die Flugbranche konnte wieder häufiger fliegen. Kurz gesagt: die Nachfrage stieg schneller als das Angebot. Damit auch der Preis: Zwischen Weihnachten und Februar 2022 gab es einen Anstieg von über 25 Prozent. Dieser Trend verschärfte sich mit dem Kriegsausbruch.
Die Energiewirtschaft wurde bislang grösstenteils von weltweiten Sanktionen verschont. Die russische Invasion, die mutmasslichen Kriegsverbrechen und unzählige Angriffe auf die zivile Bevölkerung führten aber dazu, dass kaum eine Händlerin russisches Öl kaufen wollte.
Die Anfrage nach der europäischen Rohöl-Sorte «Brent» explodierte, was zu einer Negativspirale führte: Der erste Preisanstieg führte dazu, dass panische Händlerinnen und Händler weitere Käufe tätigten. Angetrieben wurden sie durch Hausbesitzerinnen, die aus Furcht vor höheren Preisen ihre Heizöl-Bestellungen tätigten. Auch nervöse Tankstellen-Grosshändler beteiligten sich am Preiskampf, der teilweise zum Glücksspiel mutierte.
«Früher erlebten wir Kurssprünge in der Höhe von 10 Franken vielleicht in einem oder zwei Monaten – heute passiert das innerhalb eines Tages», berichtet ein mit dem Rohöl-Handel vertrauter Schweizer Unternehmer. Er ergänzt: «Wer das Risiko nicht eingehen kann, beteiligt sich an diesem Wettkampf.» Mit Risiko meint er die schwierige, längerfristige Planung von Tankstellen-Betreiberinnen und Fluggesellschaften. Sie hätten zwar alle Reservelager und könnten damit gewisse Kurssprünge ausgleichen. Niemand wisse aber, wie lange der Krieg noch andauere und wie sich der weltweite Markt verändern werde.
Zusätzliche Unruhe gebe es auch durch Diskussionen über Öl-Importverbote. Sie brächten zwar der Schweiz kaum gravierende Konsequenzen, da nur ein Bruchteil des hierzulande raffinierten Benzins und Diesels aus Russland kommt. Verzichtet aber ein grosses Land wie die USA komplett auf russisches Öl, so treibt das auch die Einkaufspreise der Schweiz in die Höhe.
Die Preise sind regional unterschiedlich – im Durchschnitt kostet ein Liter Benzin derzeit rund 2.23 Franken, für Diesel werden 2.35 Franken verrechnet.
Regionale Unterschiede haben mit der unterschiedlichen Zahlungsbereitschaft der Autofahrenden zu tun. Tankstellen verlangen in Innenstädten wie Zürich einige Rappen mehr als im Aargau, Solothurn oder Biel. Die Unterschiede sind teilweise frappant: So kostete ein Liter Bleifrei an einer Tankstelle im Zürcher Seefeld am Freitag rund 10 Rappen mehr als an einer Zapfsäule im St.Galler Oberland.
Genaue und gesammelte Daten dazu gibt es jedoch kaum: Tankstellen-Betreiber machen Gewinne mit der Gewohnheit und der Not von Autofahrern.
Eine genaue Prognose ist nicht möglich. Die Entwicklung des Rohöl-Preises deutet aber auf mögliche Good News für wenigverdienende Autofahrerinnen und Autofahrer: Der Preis ist innerhalb von zwei Tagen um 15 Prozent gesunken.
Angefragte Schweizer Tankstellen-Betreiber bestätigen diese Vermutung: Sie sagen, dass sich der erhitzte Rohöl-Markt spürbar beruhigt habe. Wann genau sie das an Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben wollen, verraten sie jedoch aus Wettbewerbsgründen nicht.
Wenn sie damit nur annähernd so schnell sind wie bei der Erhöhung wäre das ja schön. Aber wieso beeilen, wenn es grad so schön klimpert im Kässeli.