Suva enthüllt massiven Betrugsfall auf Luzerner Grossbaustelle
Schwarzarbeitskontrolleure der Luzerner Industrie- und Gewerbeaufsicht KIGA und Kantonspolizei rückten im Juli 2023 nach einem anonymen Hinweis auf eine Grossbaustelle in Kriens aus. «Insgesamt wurden 89 Personen kontrolliert. Vier wurden wegen Verdachts auf Schwarzarbeit festgenommen», teilte die Luzerner Polizei danach mit. Und: «Bei den festgenommenen Personen handelt es sich um vier Kosovaren im Alter von 22 bis 44 Jahren, welche für ein Subunternehmen tätig waren.»
Betroffen von der Schwarzarbeit in grossem Stil war ausgerechnet die Baustelle Eichhof West, wo für rund 150 Millionen Franken das neue kantonale Sozialversicherungszentrum (WAS Luzern) errichtet wird.
WAS steht für Wirtschaft Arbeit Soziales. Unter dem Dach von WAS Luzern koordinieren die Ausgleichskasse, die IV und die Geschäftsstelle Wirtschaft und Arbeit inklusive RAV ihre Leistungen und Beratungen.
Das Subunternehmen, von dem die Polizei sprach, war eine betrügerische Eisenleger-Firma mit Sitz im Kanton Zürich. Details zum Fall gehen aus einem Urteil des Zürcher Sozialversicherungsgerichts hervor.
Prämien-Nachforderung von 680'000 Franken
Das Gericht entschied, die Eisenleger-AG müsse für die Jahre 2019 bis 2021 Suva-Prämein in der Höhe von rund 682'000 Franken nachzahlen. Die Suva erhielt vollumfänglich recht. Sie hatte die offensichtlich kriminelle Firma nach dem Auffliegen der Krienser Schwarzarbeiter einer Revision unterzogen und auf verschiedenen Baustellen eine nicht deklarierte Lohnsumme von insgesamt rund 8 Millionen Franken belegen können.
Im Urteil schreibt das Zürcher Sozialversicherungsgericht, die Eisenleger-AG habe ein «Firmenkonstrukt zum Zwecke der Prämienumgehung» eingesetzt. Ziel sei gewesen, «die Lohnkosten niedrig zu halten».
Das Urteil legt zahlreiche Details zum dreisten Betrugsmodell offen. Einmal mehr zeigt sich, dass in diesem Gewerbe insbesondere Akteure aus dem Balkan, vorwiegend Kosovo und Nordmazedonien, aus der Türkei sowie der Schweiz am Werk sind.
Der Ablauf ist immer der gleiche. Eine Bauunternehmung vergab Armierungsarbeiten an die Eisenleger-AG. Diese verpflichtete sich, die Arbeiten als Subunternehmer selbst auszuführen. Die Bauunternehmung überwies ihr nach und nach die vereinbarten Honorare.
Elf Fake-Firmen eingesetzt
Doch die Eisenleger-AG reichte die Arbeiten an Sub-Subunternehmen weiter – allerdings nur zum Schein. In Tat und Wahrheit führte sie die Arbeiten mit von ihr bezahltem Personal selbst aus.
Die Suva fand heraus, dass die Zürcher Eisenleger-AG elf Fake-Subunternehmer benutzte. Diese gaben vor, eigenes Eisenleger-Personal zu beschäftigen. Tatsächlich aber waren es leere Hüllen, «ohne Geschäftsräumlichkeiten, ohne Materiallager oder Betriebsmittel», so das Zürcher Urteil. «Für die behaupteten Mitarbeiter» hätten «keine Dokumente wie Lohnmeldungen, Arbeitsverträge, Lohnzahlungsnachweise» bestanden. Sie zahlten keine Sozialabgaben. Der einzige Zweck der Fake-Arbeitgeber war Betrug an Sozialversicherungen wie Suva, AHV, BVG, Bau-Vorsorgestiftung FAR und den Steuerverwaltungen.
Der einzige Verwaltungsrat der Eisenleger-Firma ist kein unbeschriebenes Blatt. Der Schweizer mit Kosovo-Hintergrund sass in den letzten Jahren in mindestens zwei Firmen, die in Konkurs gingen. Zuletzt sass aber nicht mehr er selbst drin, sondern serbische und slowakische Strohleute.
Balkan-Szene Haupttreiber beim Betrug
Der Trick war immer gleiche: Die Eisenleger-AG leitete Geld, das sie vom Bauunternehmen erhielt, an ihre Fake-Subunternehmen weiter. In allen diesen Unternehmen war als Gesellschafter und Geschäftsführer jeweils eine Person eingetragen. Diese hob das Geld meist sofort wieder ab und übergab es mutmasslich in bar dem Absender zurück: Der Eisenleger-AG. Abzüglich einer Provision für die geleisteten Dienste.
Jede der elf identifizierten Fake-Firmen erhielt von der Eisenleger-AG in den Jahren 2019 bis 2021 zwischen einigen Hunderttausend und mehreren Millionen Franken weitergeleitet. Die Firmen bestanden rund zwei Jahre, dann wurden sie in Konkurs geschickt.
Beispielsweise die M. GmbH, die von der Eisenleger-Firma zwischen August 2021 und Juli 2022 Zahlungen von 2,6 Millionen erhielt und lediglich eine Lohnsumme von 22'500 Franken deklarierte. Suva-Prämien zahlte sie nie, versuchte aber noch, einen Schaden geltend zu machen, namentlich einen Unfall eines nicht existierenden Bauarbeiters. Die Firma ging Ende 2022 in Konkurs. Die Pfändung konnte trotz Einsatz der Polizei nicht vollzogen werden, da der als Strohmann eingesetzte, einzige Gesellschafter «nach unbekannt abgereist» war.
Dieses System ist schweizweit verbreitet. Manche Inhaber solcher Fake-Firmen betreiben mehrere solche Vehikel. Mit jedem generieren sie Geld. Die Firmen, aufgesetzt und beglaubigt meist von Schweizer Notaren und Treuhändern, dienen während einigen Jahren für verschiedene Arten von Betrug und Geldwäscherei. Wenn die Vehikel auffliegen, sind für die Behörden in der Regel keine Täter mehr greifbar, und das Geld ist weg. Zu diesem Zweck setzen die Kriminellen Strohleute ein, neuerdings häufig Personen aus Ländern wie Rumänien oder Bulgarien. Sie reisen, wenn überhaupt, kurz in die Schweiz ein, übernehmen zum Schein die Betrugs-Firma und reisen wieder aus.
In der Baubranche ist das Betrugsmuster bekannt. Insider sagen seit Langem: Bauunternehmen, die Aufträge an Firmen wie die Eisenleger-AG vergeben, müssen wissen, dass da etwas nicht stimmt. Aber mangels Solidarhaftung kommen die Baufirmen heute ungeschoren davon. Also lohnt sich das dubiose Geschäft. Das will SVP-Nationalrätin Tanja Gutjahr mit ihrer parlamentarischen Initiative zur Bekämpfung der Schwarzarbeit ändern.
Aber das dauert noch, und bis dann haben Kriminelle fast freie Bahn.
Das Zürcher Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es gilt die Unschuldsvermutung.
