Ein Garant für den Hype eines neuen Produkts ist im Jahr 2022 das Wort «nachhaltig». Wer mit diesen Buchstaben werben kann, trifft den Nerv der Zeit. Und erhält viel Aufmerksamkeit. Das Gleiche muss die Migros gedacht haben, als sie kürzlich ihre selbsternannte «grösste Produktinnovation in der Geschichte» präsentiert hat.
Das weltweit erste Kaffeekapsel-System ohne Kapseln soll es sein. Vollständig kompostierbar. Darum nachhaltig. Die Migros verspricht, mit CoffeeB «die Kaffeeindustrie radikal zu verändern», wie es in der Medienmitteilung heisst. Fabrice Zumbrunnen, Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschaft-Bundes, betonte sogar: «Mit CoffeeB vereint die Migros, was sich bisher nicht vereinen liess: ein volles Geschmackserlebnis, Convenience und keinerlei Abfall.» Zusammengefasst: Die Migros ist die Erste.
Anders sieht das Ole Bull, Inhaber von Bulls Coffee. Er sagt: «Es ist cool, dass die Migros beim Kaffee auf Nachhaltigkeit setzt. Aber die Ersten sind sie damit definitiv nicht. Wir hatten die Idee von kompostierbaren Kaffeekapseln schon länger.» Bereits seit November 2021 setzt Bull mit seiner Firma alles auf die Karte Nachhaltigkeit. Sein Produkt: Kaffeekapseln aus Holz.
Auf diese Erfindung ist Bull besonders stolz: «Unsere kompostierbaren Nespresso-kompatiblen Kapseln werden aus pflanzlichen Materialien wie unbehandelten Holzabfällen, beispielsweise Sägespäne, hergestellt.» Seine Kapseln bestehen dabei aus zwei Teilen: einem Deckel aus 100 Prozent Zellulosefaser und einem Boden aus FSC-zertifiziertem Holz. «Unsere Kapseln können ganz einfach zu Hause im Garten oder in der Küche kompostiert werden und sind ein toller Beitrag zum Schutz der Umwelt», erklärt Marco Fritsche. Der Fernsehmoderator ist Teilhaber und Markenbotschafter bei Bulls Coffee.
Im Gegensatz zur Migros kamen die Bulls Holzkapseln bereits im letzten November auf den Markt. In der ersten Woche verkaufte er bereits 40'000 Kapseln. Mittlerweile wurden schon über 400'000 Stück ausgeliefert – alle in der Schweiz. «Seit diesem Sommer sind wir zudem in 880 Filialen von Edeka, Rewe und Hieber’s Frische Center in Deutschland zu finden», freut sich Ole Bull. Nur im Heimatland will es mit dem Grosshandel nicht so funktionieren, wie er es sich wünscht.
«Volg und Coop haben uns mitgeteilt, dass sie keinen Markt sehen für unsere kompostierbaren Kapseln», erläutert Bull. Und dies, obwohl Bulls Kaffeekapseln bereits in einigen regionalen Volg-Filialen zu finden sind. «Wenn sie nicht gerade wieder ausverkauft sind», sagt Ole Bull. Die Hoffnung habe er aber noch nicht aufgegeben, seine Kapseln in der Schweiz gross herauszubringen.
Seine Strategie: Bull stellt die Holzkapseln Schweizer Röstereien zur Verfügung, damit diese ihren eigenen Kaffee abfüllen können. Mittlerweile benutzen bereits 32 Röstereien die Holzkapseln für ihre Kaffeesorten. Diese hätten für das nächste Jahr sogar 1,5 Millionen Kapseln vorbestellt. Zudem sei Bulls Coffee mit Alnatura im Gespräch: «Diese Partnerschaft wäre mein Traum, da sich unsere Werte vollkommen mit ihren decken».
Was eine Listung bei der Migros anbelangt, sieht es schwieriger aus. «Wir hatten die Migros eingeladen, unser Produkt kennenzulernen – ohne Erfolg. Zudem kommentierten wir einen Facebook-Post der offiziellen CoffeeB-Seite und fragten nochmals nach, ob wir unsere Holzkapseln präsentieren können. Kurz danach war der ganze Post wieder gelöscht», erklärt Ole Bull.
Nichtsdestotrotz freut sich der Bulls Coffee-Inhaber über die Einführung des CoffeeB-Produkts. Denn: «Die Migros gibt Millionen aus für die Entwicklung eines nachhaltigen Kaffeesystems. Das zeigt klar auf, dass der Grosshandel eben doch Potenzial sieht in biologisch abbaubaren Kaffeekapseln», ist Ole Bull überzeugt.
Angesprochen auf die Kritik von Bull teilt die Migros mit: «Es gibt tatsächlich viele verschiedene abbaubare Kapseln. Doch keine ist wie CoffeeB. Der Coffee Ball ist keine Kapsel und hat keinen «festen Körper», der den Ball schützt.» Die Migros möchte sich deshalb «voll auf die Etablierung des neuen innovativen Systems konzentrieren». Zum gelöschten Facebook-Beitrag lässt die Medienstelle verlauten: «Von Seiten Migros hat niemand einen Kommentar gelöscht.»
Klingt wie Trotz so eine Aussage.