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Wirtschaft

«Viele Arbeitnehmer schreiben ihre Zeugnisse selber – deshalb braucht es Referenzen»

Verliert das Arbeitszeugnis an Bedeutung?
Verliert das Arbeitszeugnis an Bedeutung?bild: shutterstock
Interview

Chefs holen Referenzen ungefragt ein – «Falls das stimmt, wäre es erschreckend!»

60 Prozent der Arbeitgeber holen persönliche Referenzen ohne explizites Einverständnis von Bewerbern ein, wie eine aktuelle Studie zeigt. «Erschreckend» findet Headhunter Frank Zwicky diese hohe Zahl. 
30.08.2018, 09:2730.08.2018, 21:31
Helene Obrist
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Herr Zwicky, haben Sie als Headhunter auf der Suche nach einem passenden Arbeitnehmer auch schon informelle Quellen angezapft und ungefragt Ex-Chefs angerufen? 
Frank Zwicky:
Wir holen nur bei den Personen Referenzauskünfte ein, die offiziell angegeben sind. Um auch noch inoffizielle Drittpersonen zu befragen, hätten wir gar keine Zeit. 

Frank Zwicky ist Headhunter und Geschäftsführer der international tätigen Personalberatungs-Gruppe IESF mit Sitz in Zürich.
Frank Zwicky ist Headhunter und Geschäftsführer der international tätigen Personalberatungs-Gruppe IESF mit Sitz in Zürich.bild: zvg

Eine aktuelle Studie zeigt: 60 Prozent der Arbeitgeber holen persönliche Referenzen auch ohne explizites Einverständnis von Bewerbern ein. Haben die Arbeitgeber ihren Anstand verloren?
Ich bin sehr überrascht von dieser hohen Zahl. Ich erlebe es in der Praxis mit Kunden anders. Falls dies aber tatsächlich stimmt, wäre es erschreckend. 

Studie zum Schweizer Arbeitsmarkt
Die Studie «HR Today Research Survey» wurde von April bis August 2018 vom Karriereberatungsunternehmen von Rundstedt in Zusammenarbeit mit der Fachzeitschrift «HR Today» durchgeführt. Insgesamt nahmen 536 Personalfachkräfte aus der Schweiz an der Befragung teil. Themen der Untersuchung waren unter anderem der Arbeitsmarkt-Trends, Fachkräftemangel und die Wirksamkeit von Blindbewerbungen.  

Die Arbeitgeber machen sich mit diesem Handeln strafbar und verstossen gegen das Datenschutzgesetz. Hängt diese Dreistigkeit womöglich auch mit den sozialen Medien und dem gläsernen Bürger zusammen?
Das kann gut sein. Hinzu kommt, dass die Schweiz ein sehr kleines Land ist. Hier kennt praktisch jeder jeden. Da ist schnell einmal eine inoffizielle Referenz eingeholt. Im Ausland und besonders im EU-Raum geht man wegen der neuen Datenschutzverordnung wesentlich sensibler mit den persönlichen Daten der Bewerber um. Völlig legitim hingegen ist, den zukünftigen Arbeitnehmer zu googlen oder dessen Profile in den sozialen Medien zu sichten.

Aber auf den sozialen Kanälen zeige ich mich als Privatperson. Was geht es meinen Arbeitgeber an, welche Bilder ich von mir online stelle?
Privates und Geschäftliches sollte man eigentlich auseinanderhalten. Mit der Digitalisierung und besonders Social Media verfliessen die Grenzen jedoch. Den Arbeitgeber interessiert längst nicht mehr nur der Geschäftssinn einer Person. Soziale Kompetenzen und Persönlichkeit sind genauso wichtig. Und darüber erfährt man einiges auf Facebook und Co. 

Wie sollte ich mich auf den sozialen Kanälen denn verhalten, damit ich die besten Jobaussichten habe?
Selfie um Selfie schiessen und sich als der/die Schönste und Beste zu inszenieren, ist eher kontraproduktiv. Wer jung ist, sein Netzwerk ausbauen und sich auf dem Markt behaupten möchte, der sollte aber auf den sozialen Kanälen im normalen Mass präsent sein. Manager und CEO haben bereits ein gutes Netzwerk, da spielt Social Media nicht mehr so eine wichtige Rolle. 

Die aktuelle Untersuchung zum Schweizer Arbeitsmarkt zeigt auch, dass die Aussagekraft von Zeugnissen abnimmt. Stirbt das Arbeitszeugnis bald aus?
In der Schweiz ist das Arbeitszeugnis nach wie vor wichtig. Es ist eine Schweizer Eigenheit. In den angelsächsischen Ländern kennen die Leute die Institution des Arbeitszeugnisses gar nicht. Man bewirbt sich mit dem Lebenslauf und gibt Referenzen an. Ich denke, dass das Arbeitszeugnis in der Schweiz noch über längere Zeit bestehen bleibt. Tatsache aber ist, dass viele Arbeitnehmer Teile ihrer Zeugnisse selber schreiben. Das ist auch in grossen Konzernen der Fall. Oft weiss die Personalabteilung nicht genau, was die konkreten Tätigkeiten des Mitarbeiters waren. Deshalb sind Referenzauskünfte so wichtig. Im Zeugnis sieht man, welche Aufgaben die Person im Job ausführte. Mit der persönlichen Referenz lernt man den Kandidat besser kennen. Bei uns geht niemand durch den Bewerbungsprozess, ohne dass wir persönliche Referenzen eingeholt haben.  


Wie sieht es eigentlich umgekehrt aus. Holen sich auch Arbeitnehmer Referenzen über den neuen Arbeitgeber ein?
Das passiert sehr viel, vor allem in der Schweiz. Die Kleinräumigkeit führt dazu, dass man sich häufig Infos über Geschäftsvorfälle steckt. Und die sozialen Medien spielen auch hier eine wichtige Rolle. Die meisten Firmen sind dort vertreten und geben einiges preis. Einzig mittlere und kleinere Unternehmen bleiben häufig eine Blackbox für den Bewerber. 

Wird Ihr Job nicht anstrengender, wenn nebst Ihren Kunden neu auch die Kandidaten immer wählerischer werden?
Natürlich gibt es unter den Arbeitnehmern eine Firmenwunschliste. Die Bewertungskultur ist aber begrüssenswert. Schliesslich kann man heute im Netz auch jedem Hotel ein paar Sterne verleihen, wieso also nicht auch dem Arbeitgeber? So müssen die Firmen noch stärker darauf achten, dass die Mitarbeiter zufrieden sind. Das sorgt dafür, dass das Mitarbeiterkapital wieder höher gewichtet wird. Und das ist eine gute Entwicklung. 

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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kalsarikännit
30.08.2018 11:27registriert Februar 2018
Ach ja, das Bewerbungsprozedere. Ein Wechselspiel aus Motivation, Frust und purem Hass, geträufelt mit ein wenig Zukunftsfantasien. Ich darf mich gerade diesen Gefühlen ergötzen und eine Stelle suchen, ach, wie ich das hasse.
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so wie so
30.08.2018 10:39registriert Juli 2015
Leider ist es tatsächlich so, dass neue Arbeitgeber (und auch Vermieter) versuchen heimlich Referenzen einzuholen. Als ehemaliger Arbeitgeber bestätigen wir nur den letzten Jobtitel und die Anstellungsdauer, falls eine Einverständniserklärung vorliegt. Sobald aber ein Chef keine Arbeitsgesetzkenntnisse hat, kommt man sehr einfach an Infos ran. Die wissen teilweise nicht, was sie sagen dürfen und was nicht.

Dass man als Bewerber gegoogelt wird, kann man nicht verhindern. Haltet eure Internet Visitenkarte sauber und gebt nicht zu viel Preis.
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Hierundjetzt
30.08.2018 10:42registriert Mai 2015
Den Arbeitgebern ist aber schon bewusst, dass falsche Referenzauskünfte einklagbar sind? Das ist gemäss Arbeitsgesetz nicht einfach ein normales Telefongespräch...

Ich wäre einfach uuuuuunglaublich vorsichtig informationen ohne Einwilligung des MA rauszugeben. Es kommt eh immer aus, dann ist der Referenzgeber seine Stelle los.

Ein falsches Wort des neuen Arbeitgebers auf Basis des „neu erworbenen Wissens“, voilà, Du hast dermassen Probleme, dass es tätscht

Wenn ich ein ungutes Gefühl bei einem Kandidaten habe, dann lass ich es einfach sein.

Aber rumtelefonieren? Viel zu heikel!
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