Mit 109 zu 79 stimmte der Nationalrat am Dienstag einer Lockerung des Arbeitsrechts zu. Diese soll dazu dienen, weiteren Läden den Sonntagsverkauf zu ermöglichen. Eine Mehrheit im Nationalrat votierte damit gegen die Interessen des Bundesrats, vieler Kantone und wohl auch der Bevölkerung. Schliesslich lehnte das Stimmvolk bereits zahlreiche Vorlagen zu einer Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten ab, so zuletzt im Wallis Anfang März.
Das Bestreben zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts kommt dabei nicht allein. Im Parlament sind mehrere Vorstösse hängig, die ebenfalls auf das Arbeitsrecht abzielen. Mal betrifft es Start-Ups, mal das Home-Office – in jedem Fall müsste aber dafür das Gesetz zum Schutz für Arbeitnehmende geändert werden.
Vier Vorschläge, die gerade – oder seit geraumer Zeit – im Parlament behandelt werden:
Das aktuellste Geschäft ist die Motion von Philippe Nantermod zu den erwähnten Ladenöffnungszeiten am Sonntag. Der Entscheid des FDP-Nationalrats wird von der Linken sowie von den Gewerkschaften scharf kritisiert: Eine Liberalisierung würde «die bereits prekären Arbeitsbedingungen im Detailhandel» weiter angreifen, so die Unia. Es sei Tatsache, dass regelmässige Sonntagsarbeit die physischen und psychischen Belastungen verstärke und zu grossem Stress führe.
In den Augen des FDP-Nationalrats aus dem Wallis bedeutet dieser Vorstoss aber keinen grundsätzlichen Angriff auf das Verbot der Sonntagsarbeit. Er begründet dies damit, dass es den Kantonen weiterhin freisteht, den Läden den Sonntagsverkauf zu verbieten. Mit seiner Motion soll der Schritt der Liberalisierung denjenigen Kantonen, die das wollen, jedoch rechtlich ermöglicht werden. Zudem gehe es in erster Linie darum, «kleinen, lokalen Geschäften mit einem Lebensmittel-Sortiment» in Dörfern den Sonntagsverkauf zu erlauben.
Der Motion Nantermod muss der Ständerat allerdings noch zustimmen. Der Dachverband der ehemalig christlichen Gewerkschaften Travail Suisse beurteilt dabei positiv, dass mit der Motion eine Gesetzesänderung angestrebt wird – dadurch werde ein Referendum gegen die Vorlage möglich.
FDP-Nationalrat und Digitec-Gründer Marcel Dobler fordert mit einer parlamentarischen Initiative flexible Arbeitszeiten für Start-ups. In seinen Augen ist das heutige Arbeitsgesetz für innovative und junge Firmen nicht mehr zeitgemäss. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK) hat aus Doblers Initiative eine grössere Lockerung des Arbeitsgesetzes gemacht, die eher einer Reform gleichkommt.
Nicht nur die Gewerkschaften, auch der Bundesrat und die meisten Kantone zeigten sich zumindest kritisch. Das Hauptargument ist dabei das in ihren Augen hohe Missbrauchspotenzial: Der ausgearbeitete Entwurf sei «unausgereift und nicht mehrheitstauglich», der vorgeschlagene Gesetzestext «unpräzis» und es sei unklar, welche Firmen genau davon betroffen wären und welche nicht, so der Bundesrat in einer Stellungnahme. Travail Suisse und die Gewerkschaft Unia sind gemäss eigenen Aussagen derzeit daran, als Sozialpartner einen Verordnungsentwurf zu erarbeiten. «Der Ausgang ist allerdings offen», so der Gewerkschaftsdachverband. Der Nationalrat wird nach einer Fristverlängerung frühestens kommenden Herbst darüber abstimmen.
Die nationalrätliche Wirtschaftskommission schlägt mit ihrem Entwurf vor, zentrale Pfeiler des Arbeitsrechts für Start-ups quasi zu streichen. Konkret sollen bei Mitarbeitenden, die in einer neu gegründeten Firma tätig sind, in den ersten fünf Jahren die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten, die geregelten Pausen- und Ruhezeiten zwischen Arbeitstagen sowie das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot nicht mehr gelten. Dies unter der Voraussetzung, dass die Mitarbeitenden in irgendeiner Weise am Unternehmenserfolg teilhaben.
Bereits 2016 hat FDP-Ständerat (damals noch Nationalrat) Thierry Burkart eine parlamentarische Initiative zu den Arbeitsbestimmungen im Homeoffice eingereicht. In den Augen des FDP-Chefs können Arbeitnehmende mit dem bestehenden Gesetz ihre Arbeitszeit, die sie im Homeoffice verbringen, zu wenig flexibel gestalten. «Wenn die Arbeit um 7 Uhr aufgenommen wird, darf ab 21 Uhr nicht mehr gearbeitet werden. Einem Arbeitnehmenden, der um 18 Uhr sein Kind in der Krippe abholt, ist es daher nicht erlaubt, am Abend, nachdem das Kind ins Bett gegangen ist, beispielsweise noch dringende E-Mails abzuarbeiten», so Burkarts Argumentation.
Konkret will die zuständige Kommission im Nationalrat den täglichen Arbeitszeitrahmen auf 17 Stunden ausdehnen. Bis jetzt muss Beginn und Ende der Arbeitszeit – einschliesslich Pausen und allfälliger Überzeit – innerhalb von 14 Stunden liegen. Dazu sollen gelegentliche Arbeitsleistungen von kurzer Dauer nicht als Unterbrechung der Ruhezeit gelten. Ausserdem soll Arbeit in der Nacht und am Sonntag ohne Bewilligung ermöglicht werden, solange sie im Homeoffice verrichtet wird.
Auch diese Lockerung des Arbeitsrechts sorgt für Kritik. Die Gewerkschaften sprechen gar von einem «skandalös radikalen» Vorschlag, und die SP sieht das Recht auf ungestörte Freizeit sowie das heutige Arbeitsgesetz in Gefahr: «Eine Neuregelung des Homeoffice wird vorgeschoben, um einen Totalangriff auf das Arbeitsgesetz zu starten», sagt SP-Nationalrat David Roth. Erst jüngst hätten sich die Sozialpartner auf Lockerungen geeinigt, um betroffenen Branchen entgegenzukommen. «Unnötigerweise will die Politik das komplett übersteuern.»
Das Anliegen ist gerade wieder aktuell, nachdem in diesem Geschäft lange nur wenig geschehen ist. 2018 hat die Kommission im Ständerat der parlamentarischen Initiative Folge gegeben, woraufhin erst im Februar dieses Jahres die Wirtschaftskommission im Nationalrat die Initiative angenommen hat. Nun muss die Bundesverwaltung einen Entwurf erarbeiten.
Mitte-Ständerätin Andrea Gmür reichte ihre Motion im Herbst 2022 ein – damals war die Angst vor einer Energiemangellage aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gross. Die Motion verlangte, dass Arbeitszeiten im Fall einer Energiemangellage «rasch und befristet flexibilisiert werden können». Eine solche Lage könne ein «dringendes Bedürfnis» für Nacht- oder Sonntagsarbeit darstellen.
Sowohl der National- als auch der Ständerat haben die Motion angenommen. Im Februar 2024 hat der Bundesrat eine entsprechende Revision der Verordnung zum Arbeitsgesetz verabschiedet: Damit kann den Betrieben neu bei behördlich angeordneten Massnahmen gegen eine Mangellage eine (befristete) Bewilligung für Nacht- oder Sonntagsarbeit gewährt werden.
Gemäss Travail Suisse ist dieser Schritt in der Praxis aber «keine Veränderung der aktuellen Regelung». Nacht- und Sonntagsarbeit waren bereits zuvor in Ausnahmefällen möglich – der Bundesrat hat mit der neuen Regelung lediglich explizit festgehalten, dass eine Strommangellage einen solchen Ausnahmefall (sprich, ein «dringendes Bedürfnis») darstellt. Die Gewerkschaften sahen die Motion und die Pro-Stimmen vonseiten der Bürgerlichen darum eher als weiteren, generellen Angriff auf das Arbeitsrecht statt einer notwendigen Massnahme.
Eine Motion von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen wollte aus ähnlichen Motiven noch weiter gehen: Mit einer Jahresarbeitszeit (statt der gesetzlichen Wochenarbeitszeit) sollte ein Anreiz geschaffen werden für «Energiesparmassnahmen durch freiwillige temporäre Schliessungen von Produktionsstätten und Betrieben». Dieser Vorstoss wurde zwar Ende Februar vom Nationalrat abgelehnt – mit 96 zu 92 Nein-Stimmen allerdings äusserst knapp.
Und wenn ich um 7 morgens anfange muss ich nach 18 Uhr genau gar nichts mehr tun. Schon gar nicht bis 21:00.
FDP-ler sind echt ein verlorener Haufen.
so ein quatsch muss ja von der fdp kommen. in der realität ist das schnurzegal und wenn es einem „peace of mind“ gibt, kann man die dringenden emails spät abends machen (sogar mit zeitverschobenem versenden) oder am wochenende, wie man lust hat. das arbeitgesetzt ist aber dafür da, um die arbeitnehmenden davor zu schützen, dass die firma darauf pocht bzw das von einem angestellten erwarten kann