«Ich habe mir immer gewünscht, besser sehen zu können», sagt Leonie M.* zu watson. Mit einer Sehschwäche von -9 Dioptrien nahm sie ihre Umwelt stark verschwommen wahr. Oft dachte sie darüber nach, sich einer Laserbehandlung zu unterziehen, um ohne Brille und Kontaktlinsen klar sehen zu können. Doch die Angst vor der Behandlung hielt sie zurück.
Die Hoffnung auf eine bessere Sicht durch Laserlicht haben tausende Menschen in der Schweiz, die sich jedes Jahr ihre Augen lasern lassen. «10’000 Augen» operiert nach eigenen Angaben allein die Klinikkette Betterview. Im November 2021 gegründet, hat sich der Augenlaser-Anbieter mit mittlerweile zehn Standorten in der Schweiz im Rekordtempo zum Marktführer gemausert. Der Name ist Programm: Betterview verspricht auf der Website nicht nur eine bessere Sicht, sondern wirbt bei gewissen Behandlungen mit «zurück zu 100 Prozent Sehkraft in nur 15 Minuten». Dazu präsentiert das Unternehmen eine durchschnittliche Google-Bewertung von 4,9 Sternen und eine Kundenzufriedenheit von über 95 Prozent.
Dieses Image hat auch Leonie überzeugt, nachdem sie im Spätsommer 2023 im Tram eine Werbung von Betterview gesehen hat. Kurz darauf macht sie einen Termin für ein unverbindliches Beratungsgespräch in der Filiale in Zürich ab. Dort empfiehlt man ihr aufgrund ihrer ausgeprägten Kurzsichtigkeit eine Trans-PRK-Laserbehandlung. Wenige Wochen nach diesem Termin schreibt Leonie eine vernichtende Google-Rezension: «Ich kann Betterview und Trans-PRK niemandem empfehlen und wünsche diese Schmerzen niemandem. Ich würde es nicht wieder tun.» Was genau ist vorgefallen?
Vor ihrer Laserbehandlung im September 2023 hatte Leonie drei Beratungs- und Vorbereitungstermine bei Betterview. Damals schien noch alles in Ordnung, obwohl sie «andauernd andere Ärzte» hatte, wie sie sagt. Das habe sie ein wenig verunsichert. Ihre Angst vor dem Augenlasern verflog jedoch nach jedem Gespräch wieder. Denn: «Die Betterview-Mitarbeitenden haben mir versichert, dass ich durch die Trans-PRK-Behandlung keine bis höchstens leichte Schmerzen haben werde und ich diese mit Augentropfen behandeln könnte.» Doch es kam anders.
Am Tag nach dem Eingriff fing es an. Eine Woche lang quälten sie «die schlimmsten Schmerzen, die sie jemals hatte», wie Leonie sagt. Dabei ist sie an starke Migräne gewöhnt. Doch die Schmerzen nach der Trans-PRK-Behandlung seien für sie Neuland gewesen: «Es hat sich angefühlt, als würde in beiden Augen eine Glasscherbe stecken.» Die ersten vier Tage verbrachte Leonie in dunklen Räumen. Die kleinste Lichteinwirkung hätte ein heftiges Brennen verursacht. Ihre Augen konnte sie in dieser Zeit nicht öffnen. Denn das bedeutete: noch mehr Schmerzen. «Ich fühlte mich dem Schmerz komplett ausgeliefert.»
Leonie rief in den Tagen nach der Behandlung mehrmals bei Betterview an und berichtete von ihren starken Schmerzen. Sie konnte zwar für eine Nachkontrolle in der Klinik vorbeigehen, aber fühlte sich mit ihrem Leiden nicht ernst genommen: «Auf mich machte es den Eindruck, dass sie, sobald es nicht mehr um ein Verkaufsgespräch ging, keine Zeit mehr hatten.» Besonders gestört hat sie, dass niemand vor der Behandlung vor den intensiven Schmerzen gewarnt hatte. «Betterview hatte mir komplett falsche Informationen gegeben.»
Auf der Website von Betterview steht über die Trans-PRK-Augenbehandlung klar: «Die Behandlung ist schmerzhaft … Es wird empfohlen, einige Tage zu Hause zu bleiben.» Im Jahr 2023, als Leonie zur Betterview-Kundin wurde, fand sich diese Formulierung allerdings nicht auf der Website. Das zeigt ein Blick in die Online-Vergangenheit mit der Waybackmachine– einem Onlinetool, das regelmässig Screenshots von Websites macht und diese veröffentlicht. Am 6. Dezember 2023 beschrieb Betterview die Trans-PRK-Behandlung als Methode, die «nur sehr wenige Nebenwirkungen verzeichnet». Von Schmerzen konnte man erst in den FAQ lesen, und zwar: «leichte Schmerzen, gut mit Augentropfen zu behandeln».
Obwohl es auf der Website nun zwar deutlich steht, dass starke Schmerzen auftreten können, wirbt Betterview in den sozialen Medien mit dem alten Wortlaut. In einem TikTok-Video heisst es: «Augenlasern soll schmerzhaft sein? … Nur ein Gerücht.» Oder: «Schmerzen haben bei unseren Laserbehandlungen nichts verloren.» Und am Schluss: «Sorgen um Schmerzen musst du dir nicht machen.»
Um andere über die Trans-PRK-Behandlung und die Nachversorgung von Betterview aufzuklären, verfasste Leonie eine 1-Sterne-Rezension bei Google. Die Reaktion folgte prompt, wie sie sagt: «Betterview schickte mir Blumen und man bat mich, die Rezension zu löschen. Sie haben mir sogar die Hälfte der Kosten von über 4000 Franken erlassen, um mich zu ködern.» Das Marketing-Team habe sie insgesamt dreimal kontaktiert, um sie dazu zu bringen, die Rezension zu löschen. Doch Leonie entschied sich vehement dagegen.
Etwas Gutes hatte ihr Leidensweg letztendlich für sie: Ihre Sehkraft wurde durch den Eingriff tatsächlich auf 100 Prozent verbessert. Weniger Glück mit Betterview hatten zwei weitere Kunden, mit denen watson gesprochen hat.
Leonies Rezension kam für Pamela W.* leider zu spät. Wegen ihrer Hornhautverkrümmung und einer Kurzsichtigkeit von -5,5 Dioptrien wurde ihr von Betterview im Spätfrühling 2023 eine Trans-PRK-Behandlung empfohlen. Die Augenlaserbehandlung in der Aarauer Klinik im Juli 2023 verlief einwandfrei. Die Probleme begannen erst danach.
So traten auch bei Pamela starke Schmerzen auf, über die sie sich von Betterview nicht aufgeklärt fühlte. Ihre Sehstärke wurde zwar nach der Behandlung langsam besser, aber «nie richtig gut». Sie sagt: «Seit dem Augenlasern nehme ich helle Lichter verzerrt oder verschwommen wahr.» Bei der letzten Nachkontrolle stellte Betterview fest, dass ihre Sehwerte in die Nähe schlechter wurden und immer noch eine Hornhautverkrümmung besteht. Pamela holte sich daraufhin eine Zweitmeinung ein, da ihr Vertrauen in Betterview erschöpft war.
Der andere Augenarzt habe erkannt, dass sie eine extreme Vernarbung auf den Augen habe, welche die schlechte Sehleistung auslöste. «Er ging davon aus, dass ich nach der Augenlaserbehandlung eine Entzündung hatte, die man bei Betterview übersah.» Laut dem Arzt hätten die schlechteren Sehwerte einen Hinweis darauf geben sollen. Pamela überlegt sich nun, eine Korrektur in einer anderen Klinik machen zu lassen, da sich ihre Sehleistung in den kommenden Jahren sonst sehr wahrscheinlich weiter verschlechtern könnte. Zudem hat sie sich an die Schweizerische Patientenorganisation SPO gewendet und klärt nun ab, ob sie rechtlich gegen Betterview vorgehen kann.
Ebenfalls nicht zufrieden ist Mario L.* Er unterzog sich im Frühling dieses Jahres wegen einer Kurzsichtigkeit von -1,75 Dioptrien einer Femto-Lasik-Behandlung in der Betterview-Klinik in Aarau. Und fiel, während der Laser auf sein linkes Auge gerichtet war, in Ohnmacht. Dem Personal sei das nicht aufgefallen, wie Mario erzählt. Mit schlimmen Konsequenzen: «Als ich verdutzt wieder zu mir kam, bewegte ich mich leider ruckartig in Richtung Laser und verletzte mich.» Eine Ader in seinem linken Auge sei geplatzt. Nun sehe er nur noch «doppelt oder in Regenbogenfarben».
Obwohl der Vorfall bereits rund sechs Monate her ist, kann er auf dem linken Auge noch immer 30 Prozent schlechter sehen als auf dem rechten Auge. Dafür macht Mario Betterview mitverantwortlich: «Ich war bei zwei anderen Augenärzten. Sie haben mir gesagt, dass Betterview meinen Kopf für die Behandlung hätte fixieren sollen. Das wurde bei mir nicht gemacht.»
Nicht nur Kundinnen und Kunden kritisieren Betterview. Auch die Konkurrenz und der Berufsverband beobachten sie kritisch. Christoph Kniestedt, Augenarzt und Präsident der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft (SOG-SSO), sagt zu watson: «Wir stehen absolut nicht hinter der Geschäftstaktik der Firma Betterview, allerdings sind die Firmeninhaber und die Ärzteschaft von Betterview nicht Mitglied in unserer Fachgesellschaft.»
Für die SOG stossend sei besonders die Art und Weise, wie Betterview Werbung mache – mit Versprechungen. Diese Versprechungen, die Betterview nicht einlösen könne, würden generell «ein schlechtes Licht auf den Berufsstand werfen». Die SOG habe im Mai wegen der «unlauteren Werbung» eine Beschwerde gegen Betterview bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich eingereicht.
watson hat Betterview mit den Vorwürfen der Kundschaft konfrontiert. Die Medienstelle der Klinik bestreitet, versucht zu haben, Kundin Leonie mit Preisreduktionen und einem Blumenstrauss davon zu überzeugen, ihre schlechte Google-Rezension zu löschen. Die Klinik schreibt: «Unsere Mitarbeiter haben klare Anweisungen und werden geschult, niemals Rabatte oder Ähnliches für das Löschen einer Rezension zu nutzen.» Betterview biete im Gegenzug für eine angepasste Bewertung keine Rabatte oder Incentivierungen an, betont die Klinik.
In ihrer Kundendatenbank hätten sie gesehen, dass sie Leonie aus Kulanz eine Rückerstattung gegeben hätten, weil diese «unzufrieden» mit dem Heilungsverlauf gewesen sei. «Gleichzeitig haben wir uns mit einem Blumenstrauss bei ihr entschuldigt.» Wenn dieses Vorgehen bei Leonie den Eindruck gemacht hätte, man habe sie zum Löschen ihrer Rezension motivieren wollen, tue ihnen das leid.
Gefragt wurde Betterview auch, weshalb das Schmerzempfinden der Behandlung auf TikTok anders beschrieben wird als auf der Website. Die Klinik antwortet lediglich, dass das Ziel des Videos sei, andere über «gängige Fehlinformationen und Vorurteile rund um die Behandlung» aufzuklären. «Wir versuchen, gute Informationen zu liefern», so die Klinik. Zugunsten der Kundschaft prüfe man derzeit auch die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle.
Doch was passiert, wenn jemand mit der Behandlung so unzufrieden ist wie Pamela W.? Betterview schreibt:
Wenn die Patientin diese jedoch verweigert, werde ein Versicherungsfall ausgelöst. Dafür benötige die Klinik die Einwilligung der Kundin, um den Fall extern beurteilen lassen zu können. «2024 haben wir bei 10’000 Operationen vier medizinische Versicherungsfälle bei der Zürich Betriebshaftpflicht angemeldet, drei davon wurden bereits entschieden – zu unseren Gunsten.» Betterview betont, dass Operationen immer mit Risiken verbunden seien. «Ohnmacht kommt aber äusserst selten vor. Uns sind in der Schweiz seit 2021 zwei Fälle bekannt», schreibt die Klinik zu Marios Fall, auf den sie nicht im Detail eingehen kann.
Bei allen Laserbehandlungen sei es so, dass «bei der kleinsten Bewegung sich der Laser innerhalb von Millisekunden automatisch abschalte». Dies würde eine ungewollte Verletzung verhindern.
Für Schlagzeilen sorgten kürzlich andere Firmen des vermeintlichen Betterview-Co-Founders Ertan Wittwer. So eröffnete das Zürcher Obergericht im August den Konkurs über Hair & Skin, ein Unternehmen, das Wittwer mitbegründet hat.
Zudem ist er Gründer von Bestsmile, welche er an die Migros verkauft hat – Anfang Oktober musste die Migros jedoch die Schliessung des Unternehmens bekannt geben. Beide Unternehmen lösten Kritik aus mit ihren Geschäftspraktiken. (Auch watson berichtete über Bestsmile und Hair & Skin.)
Wie ein Screenshot von watson vom 1. Oktober 2024 zeigt, hatte Ertan Wittwer auf seinem Linkedin-Profil noch selbst angegeben, «Co-Founder, Investor, Board Member» von Betterview zu sein. Im Laufe dieser Recherche hat er den Eintrag jedoch angepasst. Mittlerweile steht nur noch «Investor & Board Member».
watson hat Wittwer gefragt, weshalb er sich als Co-Gründer von Betterview auf Linkedin ausgegeben hatte und weshalb er es vor wenigen Tagen änderte. Er antwortete ausweichend:
*(Namen der Redaktion bekannt)
Diese kennt auch seriöse Kliniken, bei ihr sind es seit jahren etablierte Augenkliniken oder das Kantonsspital.
Die haben vielleicht nicht so fancy Praxen an Toplagen, dafür kann ich dort berechtigterweise auf eine seriöse Behandlung hoffen. Das klingt vielleicht altmodisch, doch damit bin ich gut gefahren. Operation werden nur aus medizinischener Notwendigkeit durchgeführt.
Sprich, bei jedem Zwanzigsten verläuft der Eingriff nicht erfolgreich. Finde ich jetzt nicht gerade berauschend, diese Quote. Ich hätte da jetzt eine Quote von 99,92% erwartet.