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Ungleichheit in der Schweiz: 3 Experten zur Vermögensverteilung

Vermögensungleichheit
Ungleichheit: In der Schweiz haben viele wenig und wenige viel Vermögen. Bild: Shutterstock

Ungleichheit: So viel Geld hortet das reichste Prozent der Schweiz – 3 Experten packen aus

Das Vermögen in der Schweiz ist konzentriert. Experten rechnen für die Zukunft mit einem deutlichen Anstieg. Die Gefahr der gesellschaftlichen Einflussnahme von Superreichen soll dadurch zunehmen.
29.02.2024, 13:0301.03.2024, 09:38
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Wer hat, dem wird gegeben. Die Ungleichheit in der Vermögens- und Einkommensverteilung in der Schweiz ist eine Tatsache. Besonders ausgeprägt ist es beim Vermögen.

Laut einer neuen Schätzung der Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung 44,8 Prozent des gesamten Reinvermögens. Die obersten 10 Prozent vereinen satte 77,8 Prozent auf sich.

Man kann dies auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Die «ärmere» Hälfte der Schweizer Bevölkerung besitzt gerade einmal knapp 4 Prozent des Vermögens, so die World Inequality Database.

Seit Jahren geht die Arm-Reich-Schere auseinander. Bis auf eine Ausnahme, wie das ESTV im Februar mitteilte: «Im Covid-19-Jahr 2020 stieg die Ungleichheit der steuerbaren Vermögen nicht an. Damit endet vorerst ein langjähriger Trend, denn seit dem Ende der Finanzkrise ist der Anteil der Vermögen, der vom obersten Prozent der Steuerpflichtigen gehalten wird, kontinuierlich angestiegen.»

Private Jet, Private Plane, Privatjet
Können sich nur die Reichsten leisten: Flüge im Privatjet.Bild: Shutterstock

«Rückgang der Einkommensungleichheit»

Nicht nur auf das Vermögen der Bevölkerung hatte das Covid-19-Jahr 2020 einen Einfluss, sondern auch auf die Einkommenssituation. Noch vor drei Jahren gaben in einer KOF-Umfrage von 142 befragten Ökonominnen und Ökonomen 70 Prozent an, dass die Corona-Krise die Ungleichheit bei den Einkommen verstärken werde.

Doch laut den neuesten Zahlen des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern, hatte die Pandemie im Jahre 2020 keinen Einfluss auf die «langfristig stabile Einkommensverteilung». Im Gegenteil, so schreibt das IWP: «Gesamthaft verzeichnete jeder Kanton im Jahr 2020 einen leichten Rückgang der Einkommensungleichheit.»

So vereinten die Top 10 Prozent der Verdiener 2020 nach Steuern insgesamt 30,18 Prozent des Gesamteinkommens. 2019 lag der Schweizer Durchschnitt noch bei 30,88 Prozent. Als Grund für diese Entwicklung werden vom IWP unter anderem die «gezielten Massnahmen wie Corona-Hilfskredite und Kurzarbeitsentschädigung» erwähnt, die eine Zunahme der wirtschaftlichen Ungleichheit verhindert habe.

«Ungleichheit wird unterschätzt»

Isabel Martinez
Beschäftigt sich mit der Vermögensverteilung: Isabel Martínez. Bild: zvg/Florian Bachmann

«Keine Trendwende» in der Vermögensungleichheit sieht ETH-Dozentin Isabel Martínez von der Konjunkturforschungsstelle (KOF). Sie sagt zu watson: «Nach der Finanzkrise kam es zu einem kurzen Knick. Dasselbe ist im ersten Corona-Jahr passiert. Aber nach der Börsenrally 2021 würde es mich erstaunen, wenn die Ungleichheit zurückgegangen wäre.» Martínez ist sogar überzeugt, dass die Ungleichheit unterschätzt werde.

«Wir haben keine verlässlichen Daten, wie sehr die Pauschalbesteuerung gewichtet wird. Das führt dazu, dass Pauschalbesteuerte oft ärmer ausfallen, als sie wirklich sind, weil wir ihre konkreten Ausgaben nicht kennen», sagt sie. Anders sieht es Martínez bei der Einkommensungleichheit, die durch die Covid-Massnahmen abgebremst wurden: «Die Entwicklung beim Einkommen ist generell moderater – ausser man betrachtet dort die Top 0,1 Prozent.»

Laut NZZ-Berechnungen mit Daten vom Bundesamt für Sozialversicherung stiegen seit 1991 die Löhne des obersten Promille um 95,1 Prozent, während der Medianlohn um 19,3 Prozent anstieg. Zum obersten Promille gehört man ab einem Jahreslohn von über 890’000 Franken. In der Schweiz sind das rund 5165 Erwerbstätige.

«Bald keine Milliardäre mehr»

Ähnlich tönt es von Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart von der Universität Lausanne: «Die Einkommensverteilung ist stabil. Die Schere macht sich vielleicht am ganz oberen Ende noch etwas weiter auf, aber statistisch betrachtet über die gesamte Bevölkerung fällt das kaum ins Gewicht.» Kritischer beurteilt er die Schlussfolgerung der ESTV zur Entwicklung der Vermögensungleichheit, dass ein «langjähriger Trend ende». Brülhart sagt: «Ein Jahr, in dem die Ungleichheit nicht steigt, ist nicht aussagekräftig dafür, was langfristig passiert.» Die Schere beim Privatvermögen öffne sich seit Jahren.

Man müsse dabei eines berücksichtigen: «Wer grosse Vermögenswerte besitzt, kann grossen Einfluss nehmen – etwa über Spenden an die Politik oder indem man eine Zeitung kauft.» Brülhart findet es darum wichtig, die Chancengleichheit zu stärken, indem man dem öffentlichen Bildungssystem, aber auch öffentlich-rechtlichen Medien Sorge trägt.

Marius Brülhart
«Wer grosse Vermögenswerte besitzt, kann grossen Einfluss nehmen»: Marius Brülhart.

Wegen der zunehmenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich fordert die Juso, dass Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuert werden. Brülhart sieht darin keine Lösung. «Es ist wichtig, über Erbschaftssteuern zu reden. Aber diese Initiative geht fast in Richtung Enteignung. Dann hätten wir wohl ziemlich bald keine Milliardäre mehr in der Schweiz», sagt Brülhart.

«Eine der höchsten Ungleichheiten»

Sabin Bieri ist Direktorin des Zentrums für Entwicklung und Umwelt der Universität Bern und beschäftigt sich mit Ungleichheit. Sie sagt zu watson: «Die Schweiz hat international eine der höchsten Vermögensungleichheiten. Wenn wir Chancengleichheit schaffen wollen, müssen wir über neue Kanäle der Umverteilung nachdenken.»

Sabin Bieri
«Die Schweiz schöpft ihr Potenzial nicht aus»: Sabin Bieri.Bild: screenshot unibe.ch

Auch sie findet eine Erbschaftssteuer interessant, weil sie sich «gut mit der liberalen Theorie des Leistungsprinzips» vertrage. Bieri wünscht sich jedoch eine öffentliche Debatte über zukunftsweisende Alternativen: «Daten-Besteuerung oder Energie-Besteuerung wären Möglichkeiten, die die Einkommen nicht tangieren und damit die Kaufkraft erhalten.» Eine Energiesteuer könnte beispielsweise dann zum Zug kommen, wenn Arbeitsplätze durch Technologie ersetzt würden.

Bieri würde die Einnahmen dazu verwenden, die öffentliche Grundversorgung – etwa Gesundheit oder Bildung – zu stärken – «für alle.» Sie sagt: «Die Schweiz schöpft ihr Potenzial nicht aus, wenn man sieht, dass an den Universitäten hauptsächlich Akademiker-Kinder studieren.

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148 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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WatSohn?
29.02.2024 13:44registriert Juni 2020
Die Ungleichheit ist gewollt und wurde vor Jahren in die Wege geleitet, mit immer neuen Steuersenkungen, von denen stets nur die Reichen wirklich profitieren. Gleichzeitig gibt es in diesem Land Leute, sogenannte working poor, die bei vollem Arbeitspensum nicht mehr über die Runden kommen. Das ist das Resultat neoliberaler Politik von bürgerlicher Seite, SVP, FDP und in gewissem Masse von der Mitte. Wirklich Schuld sind aber nicht die Bonzen, sondern die Wähler, die auf die Rattenfänger mit ihren billigen Rezepten hereinfallen, und alle jene, die nicht wählen.
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Lowend
29.02.2024 13:19registriert Februar 2014
«Die Gefahr der gesellschaftlichen Einflussnahme von Superreichen soll dadurch zunehmen» und das in einem Staat, wo die grösste Partei seit Jahrzehnten einem Multimilliardär und dessen Familie gehört?
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buddelflink
29.02.2024 13:27registriert März 2020
Ich frage mich, was der Nutzen der extremen Vermögensunterschiede für die Gesellschaft ist. Es liegt ja an uns zu entscheiden, wie wir zusammenleben wollen und es ist kein Naturgesetz, dass es Superreiche geben muss. Ich bin nicht neidisch auf den Besitz anderer Leute, finde es aber störend, dass Einzelne durch ihr Vermögen so viel mehr Macht und Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können, dass es schon als undemokratisch zu bezeichnen ist. Warum leisten wir uns das, was bringen uns Superreiche?
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