Noch nie war es so einfach, an Sexvideos zu gelangen. Ein paar Klicks auf dem Smartphone reichen, zum Teil werden sogar Filmchen oder Bilder verschickt. Der Basler Sexualmediziner Johannes Bitzer sieht hier grossen Aufklärungsbedarf.
In der Gesundheitsstudie «Health Forecast» von Sanitas schreibt der Gynäkologe: «Jugendliche müssen den Umgang mit diesen Medien lernen. Wir empfehlen auch, dass Lehrpersonen in der Schule über Pornos sprechen oder sich mit ihren Schülerinnen und Schülern einen Film anschauen.»
Bitzer, der gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zur Thematik forscht, hält besonders die realitätsferne Darstellung von Körperbildern und Sexualität in Pornos problematisch. Gegenüber «20 Minuten» sagt er: «Wenn ein Teenager sich diese Filme alleine ansieht, gibt es keine Auseinandersetzung damit.» Zwar könne man das auch mündlich besprechen, aber mit einer gemeinsamen kritischen Betrachtung von Pornos sei besser vermittelbar, welches Zerrbild die Filme vermitteln würden.
Patrick Keller ist Oberstufenlehrer im Kanton St. Gallen und hält von Bitzers Vorschlag wenig. «Ich würde nie Pornos im Unterricht zeigen, das kommt nicht in Frage.» Im Sexualkundeunterricht adressiere er die Geschlechter- und Körperbilder, die zum Teil durch solche Filme vermitteln werden. «Ich frage durchaus auch die Schülerinnen und Schüler, ob sie Pornos gesehen haben, und rede mit ihnen darüber, dass das dort vermittelte Frauen- und Männerbild nicht der Realität entspricht.»
Ausserdem ziehe Keller die Schulsozialarbeit bei: In geschlechtergetrennten Klassen könnten die Schülerinnen und Schüler so einer neutralen Person Fragen stellen. In seinen Augen werden Kinder und Jugendliche damit genug sensibilisiert.
Der Fakt, dass man Jugendlichen und Kindern kein pornografisches Material zeigen darf, birgt eine Gefahr für Minderjährige selber: Wenn ein Teenager anderen Jugendlichen unter 16 Jahren einen Porno zeigt oder weiterleitet, macht auch er sich strafbar. Das scheint in den letzten Jahren immer mehr zu passieren. Die Anzahl straffälliger Jugendlicher in diesem Bereich schnellte in den letzten zwei Jahren in die Höhe.
Dass diese Straftaten derart zugenommen haben, schockiert Gabriela Heimgartner vom Elternverein «Schule Elternhaus». Gleichzeitig hat sie Verständnis: «Viele Jugendliche wissen nicht, was strafbar ist. Wenn man einfach sagt: ‹Du darfst solche Videos nicht weiterschicken›, kann das auch seinen Reiz haben.»
Heimgartner fände es besser, wenn in Schulen externe Fachpersonen über Sex und soziale Medien aufklären würden. «Das machen in meinen Augen heute noch zu oft die Lehrpersonen. Fachpersonen sind viel besser darüber informiert, wie schnell man im Internet an dieses Material kommt und was Jugendliche dazu animiert, es weiterzuleiten.» Auch sei es für die Schülerinnen und Schüler einfacher, mit einer externen Fachperson über ihre Erfahrungen mit Pornos und Sexualität zu sprechen, findet Heimgartner.
In der Deutschschweiz ist es den Lehrpersonen häufig freigestellt, ob sie eine Fachperson für den Sexualkundeunterricht beiziehen wollen. Ausserdem läuft der Aufklärungsunterricht nach Vorgabe des «Lehrplans 21». Dieser sieht Ziele vor, was Kinder über Sexualität lernen sollten. Der Aufklärungsunterricht startet ab der fünften Klasse und wird in der Oberstufe ausgedehnt, beispielsweise in den Fächern:
Der Umgang mit neuen Medien ist hingegen Gegenstand des Fachs «Medien und Informatik». Geht durch diese Fächertrennung verloren, wie man mit pornografischen Bildern im Netz umgeht? Nein, findet Franziska Peterhans vom schweizerischen Lehrerdachverband. «Das Thema wird einfach mit unterschiedlichen Schwerpunkten thematisiert.»
Auch Peterhans findet es grundsätzlich gut, externe Fachpersonen für den Aufklärungsunterricht beizuziehen. Von Pornos als Unterrichtsmaterial hält sie hingegen wenig: «Man macht ja auch nicht Gewaltprävention, indem man möglichst gewaltvolle Videos zeigt», so Peterhans.
Dieser Meinung ist auch Lilo Gander von der Fachstelle Lust und Frust. «Es gehört dazu, die Kinder über Pornos aufzuklären. Aber das geht auch, ohne dass man pornografische Videos und Bilder zeigt.»
Die Fachstelle wird von Lehrerinnen und Lehrern für den Aufklärungsunterricht angefragt. Im ergänzenden Unterricht von vier Lektionen pro Klasse gehe es darum, Fragen zu klären. Eine sei bei Jugendlichen besonders zentral: «‹Bin ich normal? › Jugendliche wollen wissen, ob sich ihr Körper normal entwickelt und vergleichen sich dann oft mit Bildern, die sie sehen», sagt Gander.
Dort berge Porno-Material besondere Gefahr. Häufig wollten Jugendliche auch wissen, ob der Intimbereich immer rasiert sein oder der Penis eine bestimmte Länge haben müsse, was auf bestimmte Bilder in den Köpfen hinweise. «Aber hier kann man gut mit Gesprächen, Zeichnungen oder Werbebildern arbeiten und erklären, wie viel zum Teil fake ist.»
Auf die vielen Straftaten wegen Pornografie angesprochen, sagt Gander: «Ja, vielen Jugendlichen ist nicht bewusst, dass sie sich strafbar machen, wenn sie pornografische Inhalte an ihre Freunde und Freundinnen weiterleiten.» Deshalb gehöre zu einem Aufklärungsunterricht die Informationen zu Rechten und Gesetz. «Mit dem Lehrplan21 sind wir auf einem guten Weg. Es braucht weiterhin eine ganzheitliche Aufklärung in der Schule. Das wird oft auch gemacht.»
Was hältst du davon, dass man im schulischen Kontext begleitet Pornos schaut? Schreibs in die Kommentare.
Vielleicht sollte man dieses Gesetz endlich anpassen, sodass es nur Erwachsene erfasst.
Pornos haben mit real existierender Sexualität in etwa so viel gemeinsam wie WWE-Wrestling mit einer Schlägerei.