Der Jubel war riesig. Arsenal hat gerade das Derby von Nord-London gewonnen. Das wichtigste Spiel der Saison für die Fans der «Gunners» – gerade nach der 0:3-Pleite im Mai. Und wer hat für die Entscheidung gesorgt? Granit Xhaka. «Natürlich», ist man versucht zu sagen, weil der Schweizer in dieser Saison so enorm wichtig ist für den Klub. Gegen Tottenham traf Xhaka zum 3:1, dann zeigte er in Richtung der Fans. Er hat sie wieder lieb. Und sie ihn.
Das war nicht immer so. Immer wieder musste Xhaka als Sündenbock herhalten, wenn es Arsenal nicht so lief, wie erhofft. Xhaka wurde von den Fans ausgebuht und verschmäht. Der damalige Captain zoffte sich mit den Anhängern. Später schrieb er bei «The Player's Tribune»: «Ich weiss, dass wir nie beste Freunde werden.»
Die Beziehung mit den Fans beschrieb er als zerbrochenes Glas, das man zwar zusammensetzen könne, aber die Risse würden immer bleiben. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Arsenal steht nach acht Spieltagen mit 21 Punkten an der Tabellenspitze. So gut war der Klub zuletzt 2007 in eine Saison gestartet.
Und Xhaka hat daran entscheidenden Anteil. Er steht sinnbildlich für den starken Saisonstart des 13-fachen Meisters. Arsenal-Legende Thierry Henry zeigt sich «beeindruckt». Für Sebastian Stafford-Bloor von «The Athletic» war er im Spiel gegen die Spurs der beste Spieler des Teams. Der 30-Jährige ist Dreh- und Angelpunkt im System von Trainer Mikel Arteta.
Kein Mittelfeldspieler oder Angreifer berührt den Ball gemäss fbref.com häufiger als Xhaka, keiner spielt mehr Pässe, und nur Innenverteidiger Gabriel stand in dieser Saison länger auf dem Platz. Auch am Sonntagnachmittag, wenn das kriselnde Liverpool zu Gast im Emirates Stadium ist, wird Xhaka aller Voraussicht nach in der Startaufstellung stehen.
Besonders auffällig ist Xhakas Einfluss in der Offensive. Nach acht Ligaspielen hat er bereits zwei Tore und drei Assists auf dem Konto. In den letzten drei Saisons gelangen ihm über die gesamte Saison jeweils nur ein Treffer und zwei Vorlagen. Anders als zu Beginn seiner Zeit in London, wohin er im Sommer 2016 wechselte, wird er kaum noch im defensiven Mittelfeld eingesetzt. Dort ist nun Thomas Partey zu Hause.
Der Ghanaer ist ein wichtiger Faktor für Xhakas Form. Denn während Partey absichert, bekommt der Schweizer Nationalspieler deutlich mehr Freiheiten. Er wird nun als Achter eingesetzt. Im zentralen Mittelfeld spielt er neben Martin Ödegaard und kann sich stärker in Richtung des gegnerischen Tors orientieren. Arteta erklärte die Entscheidung gemäss «Sky Sports» so: «Manchmal muss man die Spieler aus ihrer Komfortzone herausholen und eine neue Tür öffnen.»
Dieser Kniff hat sich gelohnt. Granit Xhaka hat nun deutlich mehr Ballkontakte in der gegnerischen Hälfte als noch im letzten Jahr, wie «The Athletic» zeigt. Er taucht auch deutlich häufiger im gegnerischen Strafraum auf oder ist Empfänger von Pässen in die Tiefe. Dies nutzt der Basler dazu, um so viele Schüsse zu kreieren wie noch nie in seiner Premier-League-Karriere. Ligaweit ist in dieser Statistik nur Kevin De Bruyne deutlich besser. Gabriel Martinelli, Bukayo Saka und Gabriel Jesus sind nur knapp vor Xhaka, der auf dem 5. Platz steht.
Martinelli, Saka und Jesus bilden das Angriffstrio bei Arsenal. Vor allem die Verpflichtung des brasilianischen Stürmers Jesus hat sich als Coup herausgestellt. Er hat als einziger mehr Torbeteiligungen als Xhaka. 52,5 Millionen Euro haben sich die «Gunners» den 25-Jährigen kosten lassen. Er kam wie Oleksandr Sintschenko von Manchester City. Und auch der Transfer des Ukrainers kann bereits als Erfolg bezeichnet werden. Sintschenko ist als Linksverteidiger gesetzt. Auch diese Position musste Xhaka in der Vergangenheit schon bekleiden.
Nun wird er aber auf dem Feld nicht mehr herumgeschoben. Xhaka hat seine feste Position – und die dazugehörigen Freiheiten. Und davon profitieren er und sein Team. Doch auch in der Defensive glänzt der Mittelfeldspieler, der in der Vergangenheit auch mal für seine Verteidigungsarbeit kritisiert wurde und dafür, (zu) viele Verwarnungen zu holen. Gemäss «smarterscout» ist er an diesem Ende des Felds so stark wie lange nicht mehr. Zudem gehört er auf seiner Position zu den Besten, wenn es darum geht, den Ball zu erobern.
Auch deshalb wird er von Trainer wie Mitspielern geschätzt. «Er ist ein grossartiger Spieler und ein grossartiger Anführer», sagt Captain Ödegaard, der laut «Sport 1» ein enges Verhältnis zu Xhaka hat. Goalie Aaron Ramsdale bezeichnete ihn als «unverzichtbar für unser Team, auf wie neben dem Platz».
Mit Mikel Arteta verbindet Xhaka eine grosse gegenseitige Wertschätzung. Der Trainer sei der Grund, weshalb Xhaka noch in London sei. Und der Spanier schätzt seinen Spieler für seine «Bescheidenheit, und dass er immer nach vorne schaut und besser werden will».
Ausserdem bekomme er von den Fans nun auch den Respekt und die Unterstützung, die sich Xhaka wünscht. «Das hat er sich verdient», sagt Arteta. Und darüber freut sich der Captain des Schweizer Nationalteams so sehr, dass er nach seinem ersten Saisontor ein Herz in Richtung der Arsenal-Anhängerschaft zeigte. Plötzlich scheinen die Risse im Glas doch zu verschwinden und zwischen Xhaka und den Fans nicht nur Freundschaft, sondern gar eine Liebe zu entstehen.