Bis die Schweizer Fussball-Nati ihr erstes WM-Spiel absolviert, dauert es noch drei Tage. Doch bereits jetzt sorgt mit Gianni Infantino ein Schweizer für Schlagzeilen an der Endrunde in Katar. Viel Aufmerksamkeit erhielt die Rede, welche der Walliser am Samstag vor versammelter Weltpresse hielt.
Eingangs seines einstündigen Monologs sagte Infantino: «Heute fühle ich mich katarisch, heute fühle ich mich arabisch, heute fühle ich mich afrikanisch, heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Gastarbeiter.»
Damit wollte der Schweizer seine Unterstützung mit den Unterdrückten zum Ausdruck bringen. «Ich weiss, was es bedeutet, diskriminiert zu werden. Ich wurde gemobbt», so Infantino. Er sei Sohn von Gastarbeitern und als Kind wegen seiner roten Haare gehänselt worden.
Diese Aussagen brachten dem FIFA-Präsidenten viel Kritik ein. «Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, schwul zu sein, Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, behindert zu sein, Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, afrikanisch zu sein», meinte etwa die südafrikanische Fussball-Journalistin Melissa Reddy. Nur weil man rote Haare und Sommersprossen gehabt habe, könne man nicht sagen, wie diese Leute sich fühlen würden.
"I think this will be the World Cup that really underpins just how dirty the game is."
— Sky Sports News (@SkySportsNews) November 19, 2022
Melissa Reddy picks apart Gianni Infantino's 'astounding' and 'disrespectful' statement 🔊 pic.twitter.com/AFtVX83uBT
Reddy war mit ihrer Kritik nicht alleine. Auch Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter ging hart mit Infantino ins Gericht. «Eines Fifa-Präsidenten war diese Rede schlichtweg unwürdig», schrieb der 86-Jährige auf «Linkedin». «Infantino, der seit rund einem Jahr in Doha wohnt, hat jegliche Distanz zu Katar verloren.»
Manch einer fragte sich am Samstag, ob da ein Irrer am Mikrofon sitzt, der nicht weiss, was er gerade von sich gibt. In Tat und Wahrheit dürfte Infantino aber ziemlich genau gewusst haben, was er tat.
Denn seine Rede wurde in weiten Teilen der Welt äusserst gut aufgenommen. Infantino hat nämlich nicht nur über seine Gefühle gesprochen, sondern auch die europäische Doppelmoral angekreidet. So sagte Infantino: «Für das, was wir Europäer in den letzten 3000 Jahren weltweit gemacht haben, sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anderen Moralpredigten halten.»
Infantino hielt sich mit dieser Aussage zwar nicht an die Fakten – vor 3000 Jahren gab es das Konzept von Europa noch gar nicht –, doch er traf damit einen wunden Punkt. Tatsächlich brachten die Europäer während der Kolonialzeit viel Leid über weite Teile der Erde. Um ihren Reichtum zu vermehren, setzten sie selbst Sklavenarbeit und Unterdrückung ein.
Und so erhielt der Schweizer für seine Rede auch viel Applaus. Ein Tweet von ESPN mit besagtem Zitat erhielt über 120'000 Likes und 25'000 Retweets. Auch auf Tiktok ging Infantinos Kritik am Westen viral. Auf dem Kanal «Middle East Eye» geben Infantino viele User recht. Dort heisst es etwa: «Absolute Unterstützung aus Mexiko», «Danke Ihnen, absolut korrekt», «Er liegt richtig. Die Welt besteht nur noch aus Heuchlern».
FIFA President Gianni Infantino on Europe's criticism of the Qatar World Cup. pic.twitter.com/7LkOXAKcAv
— ESPN FC (@ESPNFC) November 19, 2022
Zusammengefasst: Infantino hat mit seiner Rede viele Europäer und vielleicht einige Nord-Amerikaner vor den Kopf gestossen – und deren Ärger ist durchaus verständlich. Seine Forderung, man solle Katar nicht kritisieren dürfen, lässt westlichen Journalisten zurecht die Haare zu Berge stehen. Die Behauptung, dass Katar die «beste WM aller Zeiten» abhalten werde, ist angesichts der Toten beim Stadionbau und dem Klima-Aspekt untragbar.
Doch das interessiert Infantino nur wenig. Denn weite Teile Südamerikas, Afrikas und Asiens, die unter dem Kolonialismus litten, haben die Rede des FIFA-Präsidenten mit Wohlwollen aufgenommen.
Und für seine Wiederwahl als oberster Chef des Weltverbands im März 2023 braucht er die Stimmen der Europäer gar nicht. Wenn er die Unterstützung der asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Nationalverbände hat, sitzt er sicher auf seinem Präsidentenstuhl. Letztere kommen zusammen auf 110 Stimmen, während Europa deren 53 hat.
Das hat der Schweizer natürlich bestens verstanden. Er weiss haargenau, wie er die Hebel der Macht bedienen muss. Für die nächste Präsidentschafts-Wahl im kommenden Frühling gibt es genau einen Bewerber, wie die FIFA vergangenen Donnerstag bekannt gegeben hat. Er heisst Gianni Infantino.
Pümpernüssler
Wackelarmiger Windhosenkamerad
sansibar