«Sie haben einen sehr klaren Plan, wie sie mit dem Ball spielen wollen, sind sehr variabel. Sie können von hinten rausspielen, beherrschen das Mittelfeld, sind gefährlich in der letzten Zone.» Wer Patrick Rahmen an diesem frühen Montagabend an der Pressekonferenz im Wankdorf zuhört, könnte meinen, er spreche über den FC Barcelona zur Zeit von Lionel Messi, Andres Iniesta, Xavi und Sergio Busquets. Doch der Trainer der Berner Young Boys schwärmt vom ersten Gegner des Schweizer Meisters in der diesjährigen Champions-League-Kampagne, Aston Villa. Und das hat seine Gründe.
Selten wurde ein Team von Pep Guardiola so dominiert wie am 6. Dezember des vergangenen Jahres. Zwar gewann Aston Villa nur 1:0, doch die Mannschaft von Unai Emery spielte den Meister aus Manchester an eine Wand – nicht nur phasenweise, sondern während 90 Minuten. 22:2 Torschüsse widerspiegelten dies.
Aston Villa schlug eine Woche später auch Tabellenführer Arsenal und legte so den Grundstein für die erstmalige Qualifikation für die Champions League. 68 Punkte reichten am Ende für Platz 4. Erst einmal waren die Villans in der Premier League besser klassiert – als die Liga 1992/93 neu eingeführt wurde.
Dass es der Traditionsklub aus Birmingham in die Beletage des europäischen Fussballs schafft, schien vor nicht allzu langer Zeit illusorisch. Zwar ist Aston Villa einer der bedeutendsten Klubs des Landes; der Verein gewann einmal den Meistercup und holte je sieben Mal die Meisterschaft und den FA Cup. Doch die Erfolge liegen mehr als 40 Jahre zurück.
Aston Villa stieg 2016 aus der Premier League ab und brauchte drei Saisons, um sich von diesem Schock zu erholen. Auch nach der Rückkehr ins Oberhaus dümpelte der Klub im unteren Mittelfeld herum. Erst mit der Ankunft von Unai Emery, der den glücklosen Steven Gerrard im November 2022 auf der Trainerbank beerbte, kehrte der Erfolg in den Villa Park zurück. Der akribische Baske führte die Mannschaft von Position 13 auf Platz 7 und damit in den Europacup. In der vergangenen Spielzeit folgte schliesslich der Durchbruch.
So sehr der Erfolg die Handschrift von Unai Emery trägt, so sehr ist der Aufschwung von Aston Villa mit den Namen Nassef Sawiris und Wes Edens verbunden. Seit der ägyptische Unternehmer und der amerikanische Geschäftsmann den Klub 2018 übernommen haben, sitzt das Geld in der zweitgrössten Stadt Englands locker. In den letzten fünf Jahren investierten die beiden Milliardäre beinahe 800 Millionen Euro in neue Spieler.
Vor allem die Verpflichtungen von Stürmer Ollie Watkins und Flügelflitzer Leon Bailey erwiesen sich als massgebend für Aston Villas Erfolg. Der Engländer Watkins kam in der letzten Saison auf 40 Skorerpunkte, Jamaikaner Bailey erreichte je 14 Tore und Assists. In diesem Sommer wurden die Einnahmen aus den Verkäufen von Douglas Luiz und Moussa Diabay unter anderem in Sechser Amadou Onana und Linksverteidiger Ian Maatsen gesteckt. Sie alleine kosteten über 100 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Young Boys gaben im gleichen Zeitraum keine 30 Millionen Euro auf dem Transfermarkt aus.
Hervorzuheben, sagt Rahmen, sei aber nicht nur die individuelle Qualität. «Die Mannschaft ist sehr gut zusammengesetzt. Auf jeder Position hat der Spieler ein Profil, das zur Spielidee des Trainers passt.» Aston Villa sei spielerisch wie physisch stark und gut organisiert, lasse kaum Umschaltmomente zu. Es werde schwierig sein, Chancen zu kreieren. «Aber wir haben schon das eine oder andere gesehen», gibt Rahmen am Schluss seines Plädoyers zu Protokoll.
Den Gegner stark reden braucht Rahmen nicht. Obwohl sich Aston Villa zum ersten Mal überhaupt für die Champions League qualifizieren konnte, ist der englische Traditionsklub aus Birmingham der klare Favorit in der Partie mit dem Schweizer Meister. Während die «Villans» mit drei Siegen aus vier Partien gut in die neue Meisterschaft gestartet sind, wartet YB auch nach sechs Runden auf den ersten Sieg in der Super League und belegt mit lediglich drei Punkten den letzten Platz.
«Wir sind hinter den Erwartungen, müssen agieren und reagieren», sagt Rahmen zur Ausgangslage in der heimischen Liga. Vom Kopf her sei es einfacher, in der Champions League aufzulaufen als in der Meisterschaft, wo der Druck viel höher sei.
Ähnlich sieht dies Filip Ugrinic. Der offensive Mittelfeldspieler, der nicht erst seit dieser Saison auf dem Platz vorangeht, spürt «grosse Vorfreude» auf die Champions League. «Ich habe immer Gänsehaut, wenn ich die Hymne höre.» Jeder solle diese Bühne geniessen, die man sich durch zwei abgeklärte Leistungen gegen Galatasaray verdient habe.
Gutes Omen: Vor dem Playoff-Hinspiel im heimischen Wankdorf kamen die Young Boys im Cup eine Runde weiter. Spielten sie damals gegen den Zweitligisten Printse-Nendaz ihre Klasse aus und feierten einen nie gefährdeten 10:0-Sieg, musste sich die Mannschaft von Patrick Rahmen am Samstag in Vevey mehr strecken, gewann nach 2:0-Vorsprung und dem zwischenzeitlichen Ausgleich aber dennoch 4:2. «Von der Promotion League aufwärts gibt es keine einfachen Gegner, die haben alle Qualität», so der YB-Trainer. Wichtig sei die Reaktion gewesen, die sie nach dem Ausgleich gezeigt hätten. «Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und die Mannschaft füreinander einsteht.»
Ob das allerdings reicht, um gegen eine der besten Mannschaften der Premier League zu bestehen? «Wir können uns am Gegner orientieren. Da fällt es leichter, über den Verhältnissen zu agieren», sagt Rahmen. Ugrinic ergänzt: «Mit der Atmosphäre hier im Wankdorf haben wir schon einige magische Europacupnächte erleben dürfen. Hoffentlich wird das am Dienstag auch so eine werden.» Selbst ohne Messi, Iniesta und Xavi. (nih/sda)